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HESSEN im 20. Jahrhundert

Eine politische Geschichte

Walter Mühlhausen hat sich als Erster gewagt, Hessen als politische Einheit im 20. Jahrhundert in einer eigenen Buchausgabe zusammenzufassen. Freilich gab es Hessen in seiner heutigen Fassung zu Beginn des Zeitabschnittes noch nicht, sondern spiegelte sich in hessischen Teilstaaten wider - wie etwa Rheinhessen, Hessen – Nassau, Großherzogtum Darmstadt, Waldeck, Volksstaat Hessen ect.
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Hessen
Foto: Foto: Cover – Buch von Karl-Heinz Stier

„Es gab auch vor 1945 Gemeinsamkeiten und Verbindungslinien der seinerzeit durch politische Grenzen getrennte Gebiete. So handelte es sich bei der damalig vorliegenden Darstellung um eine Geschichte eines Raumes, der als Einheit zunächst gar nicht existierte“, so Mühlhausen. Zumindest bis zum Jahre 1933, als dann mit der nationalsozialistischen Diktatur über Zentralisierung, Gleichstellung und Nivellierung deutlich wurde, dass politische Unterschiede verwischten, zumal Elemente von demokratischer Politik fehlten. Trotzdem kamen Entwicklungen nach 1900 und der Weimarer Republik zum Vorschein, die Hessen als eingeschränkter Landesteil in Ansätzen deutlich machten.

Die Schöpfung des eigentlichen heutigen Hessen wurde 1945 durch die amerikanischen Sieger, also die amerikanische Besatzungsmacht als neue politische Zuordnung, ermöglicht. Alle Landesteile, die Hessen in ihrem Namen führten einschließlich Waldeck, wurden politisch zusammen gefasst, nur Rheinhessen blieb außen vor, weil die Franzosen als Alliierten auch ein Stück Kuchen für sich beanspruchten. Nach Wahlen und Selbstbestimmung entwickelte sich ein demokratisch verfasstes Hessen. In den ersten Jahrzehnten gingen daraus meist sozialdemokratische Führungspersönlichkeiten hervor, wie Georg August Zinn, der die Hessen durch Ereignisse wie Hessentage oder  bildungspolitische Entscheidungen zu einem politischen Land zusammen gebunden hat. Seine Nachfolger Albert Oswald und Holger Börner setzen diese Gemeinsamkeiten für alle Bürger fort. Auch Walter Wallmann (CDU), der sich sogar mit Thüringen verbinden wollte und scheiterte, Hans Eichel, Roland Koch und Volker Bouffier. „Es gehörte zu den Wesenskernen hessischer Regierungspolitik, dem übergeordneten Reichs- und Bundesgefüge nicht unkritisch zu folgen, sondern eigene Akzente zu setzen und eigene Interessen zu realisieren. Das war bereits in der ersten Republik so, als man demokratiegefährdende zentralistische Maßnahmen (wenn zumeist auch erfolglos) anprangerte und setzte sich 1945 fort, dann besonders in Zeiten, als zwischen Wiesbaden und Bonn/Berlin kein Gleichklang der Regierungsbündnisse bestand – und das war auch die meiste Zeit so. Die Hessen waren immer gewillt, die Möglichkeiten im bundesdeutschen Förderalismus auszureizen und aktiv die grundgesetzlich verbrieften Länderrechte einzufordern“, analysierte Autor Mühlhausen. Die ersten Verfassungen nach dem Zweiten Weltkrieg waren gekennzeichnet durch eine betont soziale Ausrichtung, verfügte fortschrittliche Regelungen im bildungspolitischen Bereich wie der Lernmittelfreiheit als zentralem Baustein und setzte Regularien für eine konsequente Sicherung der Demokratie, insbesondere der emanzipatorischen Kräfte wie der Frauenbewegung.

Das alles führte Walter Mühlhausen zu der Schlussfolgerung: „Die Mehrzahl der Bürgerinnen und Bürger fühlt sich generell wohl im Lande. Und die Mehrheit , einschließlich der Flüchtlinge und Vertriebenen, also trotz aller unterschiedlichen Mentalitäten als Hessen, ohne dies im Außenverhältnis besonders hervorzukehren. Zu dieser Identität dürfte auch der erfolgreiche Kampf der Hessen des 20. Jahrhunderts um Demokratie, Freiheit und sozialen Ausgleich beigetragen haben“.

Hessen im 20.Jahrhundert von Walter Mühlhausen
Erschienen im Verlagshaus Römerweg Wiesbaden (Waldemar Kramer Marix Verlag)
ISDN: 978-3-7374-0500-3, 606 Seiten, Ladenpreis: 34  Euro