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Letzte Aktualisierung: 19.04.2024

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Gelungener Neustart der Buchmesse

Besucher und Veranstalter mit positiver Resonanz und Bilanz

von Michael Hörskens

(29.10.2021) Es war ein Neustart: Unter dem Motto “Re:connect” präsentierte sich 73. Frankfurter Buchmesse in einem reduzierten Umfang. Doch damit setzte man für die Kulturbranche ein wichtiges Zeichen in der Pandemie. Durch ein umfangreiches Hygienekonzept mit exakten Kontrollen oder auch einem verbreitertem Wegesystem in den Hallen ging die Messe als die erste große Präsenzveranstaltungen der internationalen Buchbranche wieder über die Bühne.

Bildergalerie
Endlich konnten wieder Besucher über die Frankfurter Buchmesse schlendern.
Foto: Hörskens
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Podiumsdiskussion zum Antisemitismus mit Dr. Botmann, Dr. Körner-Wellershaus und Dr. Spaenle (v.l.)
Foto: Hörskens
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Das verspricht Spannung und gute Unterhaltung: Obama und Springsteen als Literaten
Foto: Hörskens
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„Die 73. Frankfurter Buchmesse markiert nach 18 Monaten einen Neubeginn und hat angesichts der weltweit geltenden Reisebeschränkungen unsere Erwartungen weit übertroffen“, freute sich Juergen Boos, Direktor der Frankfurter Buchmesse. Dies zeige, wie resilient und kreativ die Branche sei. Die Resonanz an der Veranstaltung war durch die Corona-bedingte lange Abstinenz groß. Rund 36.000 Fachbesucher aus 105 Nationen und 37.500 Leser aus 85 Ländern besuchten die Frankfurter Bücherschau. Insgesamt 2013 Unternehmen aus 80 Ländern präsentierten sich in den Hallen, an den neuen Workstations oder etwa als digitale Ausstellern im Netz. Und insgesamt 2500 Medienvertreter aus 39 Ländern waren für die diesjährige Buchmesse akkreditiert. Die gesamte Publishing-Branche und alle Kulturfans hatten sich danach gesehnt, sich wieder mit inspirierenden Menschen zu treffen.

„Viele Aussteller und Fachbesucher äußerten sich sehr zufrieden über die Qualität der Gespräche. Man konnte die Wiedersehensfreude in den Hallen förmlich spüren. Mit unserem digitalen Fachprogramm haben wir eine Brücke zu Teilnehmer geschlagen, die in diesem Jahr nicht reisen konnten“, erklärte Juergen Boos.

Ehrengast auf der Frankfurter Buchmesse war in diesem Jahr Kanada. Unter der Motto „Singular Plurality – Singulier Pluriel“ präsentierte das Land seine einzigartige Vielfalt. „Wir sind stolz darauf, dass wir die Gelegenheit hatten, unsere Literatur, Kunst und Kultur mit unseren deutschen Freunden und dem Rest der Welt zu teilen“, erklärte S. E. Steven Guilbeault, Minister für kanadisches Kulturerbe. Er betonte, dass Kanada ein Land mit vielen verschiedenen Stimmen sei. „Wir sind uns sicher, dass unser Ehrengastauftritt diese Singular Plurality unseres Landes in den Fokus gerückt hat – die einzigartige Vielfalt, in der wir unsere Unterschiede annehmen und feiern.“

Der Kanadische Pavillon wurde offiziell von der kanadischen Generalgouverneurin, Ihrer Exzellenz Mary May Simon eröffnet: Besucher erwartete ein Parcours durch eine Installation, die mit den Elementen kanadischer Landschaft spielte. Der Pavillon, zu dem es in diesem Jahr erstmalig auch ein virtuelles Pendant gab, führte die Kreativität und Vielfalt der kanadischen Literatur- und Kulturszene vor Augen. Insgesamt 60 kanadischen Autoren und Illustratoren gestalteten das kanadische Literaturprogramm – darunter acht herausragende Literaten, die Kanada in diesem Jahr vor Ort in Frankfurt vertraten. Neben Lesungen und interaktiven Formaten dieser acht Künstler auf dem Messegelände haben über 50 Autoren an einer Vielzahl virtueller Veranstaltungen teilgenommen. Dies beinhaltete auch virtuelle Auftritte von Margaret Atwood und Joséphine Bacon bei der Eröffnungsfeier. Die „Books on … Canada“ Ausstellung im Ehrengast-Pavillon zeigte knapp 400 Neuerscheinungen zu Kanada aus 165 Verlagen.

Wohl waren einige bekannte Verlage dieses Jahr nicht auf der Buchmesse präsent, aber viele namhafte aus der Branche.  So etwa Rowohlt, C.H.Beck, Klett Cotta, Random House, dtv, Dupont, Emons, S.Fischer, Heyne, Ullstein oder Suhrkamp. Die Palette reichte wie immer von Romanen über Sachbücher bis zu Bildbänden. Krimis weckten ebenso Interesse wie Auto/Motor-Literatur oder historische und politische Werke. Ein neues Buch stach besonders ins Auge und weckte höchstes Interesse. Da haben sich zwei weltberühmte Männer nun auch literarisch gefunden: Barack Obama und Bruce Springsteen haben gemeinsam das Werk „Renegades“ geschrieben, erschienen im Penguin Verlag.

Gut frequentiert waren auch diesmal Podiumsveranstaltungen oder Autorenlesungen mit Interviews. Viele wurden digital live von der Messe gesendet. „Bildung gegen Antisemitismus“ lautete etwa das aktuelle Thema in einem Programm des neuen Forums Bildung, einer Kooperation der Frankfurter Buchmesse mit dem Verband Bildungsmedien.  Antisemitismus hat viele Ausprägungen, hieß es da. Es bleibt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, ihn zu erkennen, seine Ursachen zu beseitigen und ihn zu ahnden. Das Bildungssystem spielt dabei eine wichtige Rolle. Bildungsmedien sehen sich immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt, antisemitisch zu sein oder den Antisemitismus zu fördern.

Dr. Daniel Botmann, Geschäftsführer des Zentralrats der Juden in Deutschland monierte bei dem Gespräch, dass in vielen Ethik- und Religionsunterrichte das jüdische Leben fehlerhaft dargestellt würde. „Das verfestigt sich dann“, erklärte er. Dr. Ilas Körner-Wellershaus, Vorsitzender Verband Bildungsmedien e. V. erwähnte, dass viele Schulbuchverlage ihre Darstellungen gut gemeint, aber nicht zu Ende gedacht hätten. „Es wurden jetzt aber Workshops von Redaktionen gebildet und Kontakt zum Zentralrat der Juden hergestellt“, so Körner-Wellershaus. „Das Thema Judentum und Antisemitismus sind Felder, die zu Missverständnissen anregen“, sagte Dr. Ludwig Spaenle, Beauftragter der Bayerischen Staatsregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus. „Wir müssen mit Wissen gegen Judenhass vorgehen“, so Spaenle. „Es gibt inzwischen eine deutsch-israelische Schulbuchkommission“, betonte Daniel Botmann. „Wir bewegen uns in die richtige Richtung.“

Livestreams machten die Buchmesse auch für ein sehr breites Publikum erlebbar. Zum digitalen Fachprogramm “Frankfurt Studio: Inside Publishing” wurde in 27 Sessions allein auf der Website der Frankfurter Buchmesse über 15 500mal in 97 Ländern eingeschaltet. Das deutschsprachige Live-Programm für das Privatpublikum im “Frankfurt Studio Festival” in Kooperation mit Buchjournal wurde bei 34 Sessions über 5200mal eingeschaltet. Die ARD-Buchmessenbühne wiederum zeigte 46 Stunden Programm im Livestream. Das physische BOOKFEST city-Programm kam auf insgesamt 85,5 Stunden. Zusätzlich konnte ein Großteil des Live-Programms dieser Livestreams auch über Facebook und YouTube verfolgt werden. Die Inhalte stehen im November auf buchmesse.de in einer Mediathek zur Verfügung.

Der Boykottaufruf einer Autorin auf Grund der Präsenz eines Verlages der „Neuen Rechten“, hat die Netz-Community aufgebracht die Öffentlichkeit gespalten: Wo kann ein Veranstalter wie die Frankfurter Buchmesse die Grenze ziehen, welche Verlage zugelassen werden? Wo endet die Meinungsfreiheit, wo beginnt Zensur? „Wir bedauern zutiefst, dass Autoren ihren Auftritt auf der Frankfurter Buchmesse abgesagt haben“, sagte Juergen Boos. „Wir haben mit unseren Partnern ein umfangreiches diverses Programm zusammengestellt, um viele Perspektiven aufzuzeigen. Die Stimmen dieser Autoren haben gefehlt. Mit ihrer Anwesenheit hätten sie ein Zeichen gesetzt.“

„Internationale Buchmessen leben von der Vielfalt der Meinungen und Inhalte sowie vom Austausch auf Augenhöhe“, so der Buchmesse-Chef. Inzwischen gäbe es regelmäßig die Forderung nach Zensur und Ausschluss bestimmter Inhalte und Unternehmen – so auch in diesem Jahr. Boos: „Für die Buchmesse gelten seit jeher zwei Grundsätze: Die Meinungsfreiheit darf nicht über die vom Staat gezogenen Grenzen hinaus eingeschränkt werden.“ Als Veranstalter der größten internationalen Buchmesse verwahre man sich mit aller Schärfe gegen die Instrumentalisierung der Veranstaltungen, erklärte er und unterstrich: „Die Freiheit des Wortes ist für uns nicht verhandelbar.“

Auch Auszeichnungen und Preise gab es wieder bei der Frankfurter Buchmesse. So wurde Tsitsi Dangarembga, Schriftstellerin und Filmemacherin aus Simbabwe, in der Frankfurter Paulskirche mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet worden. Ihre philosophische und hochpolitischen Dankesrede traf ins Herz dieser Buchmesse, die mit der Debatte um rechte Verlage tiefe Risse in der Gesellschaft spiegelte. Markus K. Brunnermeier erhielt den Wirtschaftsbuchpreis für das Buch „Die resiliente Gesellschaft. Wie wir künftige Krisen besser meistern können“, erschienen im Aufbau Verlag. Die Jury lobt den Ökonomen dafür, die Krise nicht nur beschrieben, sondern auch Lösungen aufgezeigt zu haben.

Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels erklärte in ihrem Fazit: „Die Frankfurter Buchmesse war geprägt von Wiedersehensfreude und Aufbruchsstimmung. Die Branche geht gestärkt aus der Pandemie hervor und hat die Messetage für die persönliche Begegnung, den Austausch über wichtige Branchenthemen und den Ausbau von Geschäftskontakten genutzt. Unterstützt durch ein breites digitales Angebot hat das Buch so eine weithin sichtbare Bühne bekommen.“