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Letzte Aktualisierung: 18.04.2024

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Gedenken an den Todesmarsch als überregionale Verpflichtung

Bilanz ein Jahr Geschichtsort Adlerwerke mit neuem Ausstellungsteil

von Ilse Romahn

(27.03.2023) Am Freitag, 24. März, jährte sich zum 78. Mal die Auflösung des KZ „Katzbach“ in den Frankfurter Adlerwerken und der Start des Todesmarschs der darin verbliebenen 360 bis 370 Häftlinge nach Hünfeld. Einen Tag später beging der „Geschichtsort Adlerwerke: Fabrik, Zwangsarbeit, Konzentrationslager“ sein einjähriges Bestehen.

Außenansicht der Adlerwerke
Foto: Stadt Frankfurt am Main, Foto: Salome Roessler
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Aus diesen Anlässen hatte Kultur- und Wissenschaftsdezernentin Ina Hartwig die Kommunen und Landkreise der Todesmarschroute in den Geschichtsort Adlerwerke zu einem Austausch eingeladen.

Gedenken als gemeinsame Aufgabe
Kurz vor dem Einmarsch der Alliierten in Frankfurt im Frühjahr 1945 versuchten die Nationalsozialisten, die Spuren ihrer Verbrechen in den Adlerwerken zu vertuschen und lösten das Konzentrationsaußenlager unter dem Decknamen „Katzbach“ auf. So wurden rund 450 erschöpfte Häftlinge ins Konzentrationslager Bergen-Belsen deportiert. Nur elf Überlebende dieses Transports sind bekannt. Denn mehrere Tage blieben die Waggons verplombt und ohne jegliche Verpflegung auf den Gleisen stehen, bevor der Zug sich in Bewegung setzte.

Die übrigen 360 bis 370 Häftlinge wurden am Abend des 24. März 1945 auf einen „Evakuierungsmarsch“ geschickt. Dieser entpuppte sich als ein Todesmarsch. Die Route führte von Frankfurt über Maintal, Hanau, Erlensee, Langenselbold, Gründau, Gelnhausen, Biebergemünd, Wächtersbach, Bad Soden Salmünster, Steinau an der Straße, Schlüchtern, Flieden, Neuhof, Eichenzell, Fulda, Petersberg und Burghaun nach Hünfeld, wo der Marsch am 29. März endete. Entlang dieses Weges, den die erschöpften Menschen zu Fuß unter Schikanen ihrer SS-Peiniger und in steter Lebensgefahr zurücklegen mussten, fanden zahlreiche Hinrichtungen statt. Marschunfähige Männer oder solche, die einen Fluchtversuch unternahmen oder sich wehrten, wurden von den SS-Wachen grausam ermordet. „Diese Verbrechen geschahen nicht im Verborgenen, denn der Todesmarsch ging zum großen Teil mitten durch die Ortschaften. Daraus erwächst eine die ganze Region betreffende Verpflichtung, an die Opfer des Todesmarsches zu erinnern und ihrer zu gedenken“, sagt Kulturdezernentin Hartwig zur gemeinsamen Verantwortung der Kommunen.
 
Seit Jahrzehnten organisieren engagierte zivilgesellschaftliche Akteurinnen und Akteure mit Performances, Lesungen, Vorträgen und weiteren Formaten in den einzelnen Städten und Gemeinden der Route das Gedenken an den Todesmarsch von Frankfurt nach Hünfeld. Diese Arbeit weiter auszubauen und das lokale Gedenken miteinander zu verknüpfen, auch im Hinblick auf den 80. Jahrestag in zwei Jahren, ist Ziel des von der Kulturdezernentin einberufenen Treffens im Geschichtsort Adlerwerke. „Über die Frankfurter Initiative einer überregionalen Kooperation bei der Gestaltung des Gedenkens an den Todesmarsch bin ich sehr froh. Dadurch lastet das Gedenken in der Zukunft hoffentlich nicht mehr alleine auf den Schultern der zivilgesellschaftlichen Initiativen“, sagte der aus dem Main-Kinzig-Kreis stammende Kuratoriumsvorsitzende der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung, Christoph Degen, der der Einladung der Dezernentin in den Geschichtsort folgt.

Im Anschluss an den Austausch im Geschichtsort waren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ab 18 Uhr zu der öffentlichen Gedenkveranstaltung im Gallus Theater eingeladen. Die gemeinsame Veranstaltung vom Gallus Theater, dem Geschichtsort Adlerwerke: Fabrik, Zwangsarbeit, Konzentrationslager, dem Verein Leben und Arbeiten in Gallus und Griesheim  sowie dem Förderverein für die Errichtung einer Gedenk- und Bildungsstätte KZ-Katzbach in den Adlerwerken und zur Zwangsarbeit in Frankfurt am Main beinhaltet Beiträge des Ensembles des Jungen Schauspiel Frankfurts und einen Vortrag der Historikerin Andrea Rudorff vom Fritz Bauer Institut zum Thema „Ausgebliebene Gerechtigkeit – Die Verbrechen an den Häftlingen der Adlerwerke vor Gericht“. Begleitet wurde der Abend durch die Pianistin Miharu Ogura mit zwei Etüden und einer Sonate des polnischen Komponisten Witold Lutosławski (1913–1994).

Geschichtsort Adlerwerke feiert einjähriges Bestehen
Am 25. März 2022 öffnete die Gedenk- und Bildungsstätte zum ersten Mal ihre Türe. Seitdem besuchten mehr als 3000 Menschen die Ausstellung am authentischen Ort der einstigen Verbrechen auf dem Fabrikgelände der ehemaligen Adlerwerke in der Kleyerstraße. Der Geschichtsort Adlerwerke: Fabrik, Zwangsarbeit, Konzentrationslager blickt damit auf ein erfolgreiches erstes Jahr zurück.

„Die mehr als dreißigjährige ausschließlich zivilgesellschaftlich vorangetriebene Forderung nach einer dauerhaften Stätte für die Erinnerung an die Opfer in den Adlerwerken mündete vor einem Jahr in der Eröffnung des Geschichtsortes. Der unermüdliche und unnachgiebige Einsatz hat sich gelohnt. Innerhalb eines Jahres hat sich der Geschichtsort Adlerwerke zu einer Institution in der erinnerungskulturellen Landschaft in Frankfurt und weit darüber hinaus etabliert“, sagt Dezernentin Hartwig.

Alexander Jehn, Direktor der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung, ergänzt: „Gedenkstätten und Dokumentationszentren zu den Verbrechen des Nationalsozialismus sind maßgebliche Akteure der außerschulischen historisch-politischen Bildungsarbeit. Sie bereiten mit ihren Aktivitäten einen fruchtbaren Boden für ein kritisches Geschichtsbewusstsein sowie für die Entwicklung von Haltungen zu gegenwartsrelevanten Herausforderungen wie etwa zum Wert von Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit. Eine lebendige Erinnerungskultur wird von Menschen getragen, die Verantwortung übernehmen: Verantwortung für ihre eigene, heutige offene plurale Gesellschaft mit deren Vergangenheiten. Verantwortung übernehmen und für demokratische Werte einstehen – dazu mahnt der Erinnerungsort Adlerwerke.“

Thomas Altmeyer, Leiter des Geschichtsortes Adlerwerke und Kurator der Ausstellung, führt weiter aus: „Die Mühen, innerhalb von 15 Monaten den Geschichtsort Adlerwerke zu verwirklichen, haben sich gelohnt. Unsere Konzeption bekommt sowohl von Kolleginnen und Kollegen aus den Gedenkstätten und Museen aber auch von jungen und älteren Besucherinnen und Besuchern einen mehr als positiven Zuspruch. Die Nachfrage nach unseren pädagogischen Angeboten übertrifft zum Teil unsere Kapazitäten.“

Das einjährige Bestehen des Geschichtsortes wurde mit einer öffentlichen Matinee-Veranstaltung am Samstag, 25. März begangen. Es wurde ein neuer Ausstellungsteil zur Geschichte der Auseinandersetzung um die Erinnerung an das KZ „Katzbach“ und die Zwangsarbeit in den Adlerwerken präsentiert. Die Themen „Arbeit“, „Anerkennung und Entschädigung“ und „Erinnerung“ stehen im Fokus dieses vorerst abschließenden Ausstellungsteils. Zwei Vorträge und ein Podiumsgespräch sollen das Gespräch über Erinnerung, Politik und Gedenken über das KZ „Katzbach“ vertiefen. Weitere Infos gibt es unter geschichtsort-adlerwerke.de. (ffm)