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Letzte Aktualisierung: 25.04.2024

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Frischer Wind im Weinland Deutschland

Interessantes Buch zeigt die Facetten des Kulturguts Rebensaft

von Michael Hoerskens

(06.12.2021) „Weinland Deutschland“ – so lautet der Titel eines Fachbuches des international bekannten Weinexperten Stuart Pigott. Auf ebenso unterhaltsame wie informative Weise beleuchtet der Autor die vielfältigen Facetten des Rebensaftes in deutschen Regionen.

Kurzweiliges Lesevergnügen: Wissenswertes über die vielen Facetten beim Wein
Foto: Tre Torri
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Die deutschen Weine sind weitaus besser geworden als ihr früherer Ruf, so das eindeutige Urteil des englischen Weinjournalisten, der seit über 30 Jahren von seiner Wahlheimat in der Taunusgemeinde Eppstein aus die deutschen Weinbaugebiete bereist und unter anderen für die Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und Bayrischen Rundfunk tätig war. Pigott besuchte Weingüter quer durch deutsche Lande, in Baden und Franken, er weilte an der Ahr, an der Nahe oder in der Pfalz und natürlich auch im Rheingau. Und tauchte immer tiefer in die Materie ein, optimierte ständig seinen Sachverstand.

Pigott spricht von einer „wahrhaft wundersamen Verwandlung“, welche die guten Tropfen der Republik durchlaufen hätten. In Deutschland, so seine Wahrnehmung, habe er erstaunliche Weinlandschaften erlebt und viele interessante Winzerpersönlichkeiten kennengelernt. Viele junge Winterinnen und Winzer, die Neues wagen und sich der Welt öffnen, tragen nach seiner Aussage einen großen Anteil an dem Aufschwung.

In dem Fachbuch widmet sich der Brite den Weinregionen der Bundesrepublik, beschreibt verschiedene Traubensorten, benennt verschiedene „verborgene Schätze“ oder spart auch das Thema Klimawandel nicht aus. Und er blickt auch auf seinen Einstieg in die Szene als Jungwinzer, der in einem Wingert an der Mosel Ende der 1980er Jahre und 2005 im Weingut Scherrer im kalifornischen Sonoma County die harte Arbeit der Traubenlese erlebt hat. Und danach an der renommierten Fachhochschule für Weinbau in Geisenheim im Rheingau studierte. Diese bezeichnet er als „Keimzelle der deutschen Weinzukunft.“

Stuart Pigott, der in einem Vorort von London aufgewachsen ist, tauchte im Sommer 2005 weiter in die Materie Wein ein, als ein damaliges Mannheimer Stadtmagazin davon überzeugt wurde zusammen mit einer Pfälzer Jungwinzergruppe und der Mitwirkung Pigotts eine große Weinparty im Heidelberger Schloss zu veranstalten. Ausgegossen wurde ein pechschwarzen Wein mit 20 Prozent Alkohol. „Ein weinkulturelles Erdbeben“ bezeichnete der Journalist das Ereignis, der deutsche Wein sei weiland gründlich entstaubt worden.

Immer mehr, so beobachtete Pigott, lösten sich junge Winzerinnen und Winzer landauf, landab von der Generation ihrer Eltern.  Und sie gingen neue Wege. Mit positiven Auswirkungen in allen Weinregionen. So entfernten sich etwa viele Winzer aus Rheinhessen „aus dem Süßwein-Sumpf“ und verbesserten das Image des größten deutschen Weinbaugebiets, beschreibt der Autor die Entwicklung dort.

Ein Kapitel in seinem Werk nennt der Brite „Rotwein Revolution“. Ihren Anfang habe diese in dem damals unbekannte Pfälzer Weinort Laumersheim genommen, bei einem Weingut namens Knipser. Dort brachte ein Portugieser einst überraschende Ergebnisse, ab 1985 wurden dort die ersten Spätburgundertrauben geerntet. Einen anderen „Rotwein-Revoluzzer“ machte Pigott im nicht weit entfernten Bad Dürkheim kennen: Thomas Hensel machte sich dort einen Namen als „Junger Wilder“. Dieser kelterte mit der neuen deutschen Traubensorte Cabernet Cubin seinen pechschwarzen „Ikarus“. Und da das Weingut an einem kleinen Sportflugplatz liegt folgte eine „Höhenflug“-Serie, die rote „Aufwind-Cuvée“ aus einem Cabernet Sauvignon und der wiederentdeckten urdeutschen Traubensorte St. Laurent.

Einen speziellen Trend hat Pigott ebenso im Visier: „Ökowein ist modern und cool“, unterstreicht der Autor nachdrücklich. Und auch hier führte ihn die Fährte in die Pfalz, genauer gesagt in die Südpfalz nach Siebeldingen. Dort befindet sich das Weingut Ökonomierat Rebholz, Mitglied im VDP, dem Eliteverband der deutschen Winzer und nach Ansicht von Stuart Pigott „einer der weltweit besten Erzeuger von trockenen Weißweinen“. Hier erfolgte die Umstellung auf Öko-Weine im Jahr 2005.  Für den Autor sind die Großen Gewächse von Hansjörg Rebholz und seinen Söhnen Hans und Valentin aus den Spitzenlagen wie dem Kastanienbusch die größte Innovation des Weinguts, das seine Philosophie der Nachhaltigkeit konsequent verfolgt und schon mit vielen Auszeichnungen geehrt wurde. Etwas weiter nördlich, an der Mittelhaardt, hat der englische Experte eine „Speerspitze des ökologischen Weinbaus in Deutschland“ entdeckt: Das noble Weingut Dr. Bürklin-Wolf in Wachenheim. Hier Bettina Bürklin-von Guradze das nach ihrem Großvater Dr. Albert Bürklin benannte Weingut ebenfalls 2005 komplett auf ökologischen Weinbau umgestellt.

Doch auch in anderen Weinregionen spiele „Öko“ eine stets größer werdende Rolle. Etwa an der Mosel, wo Clemens Busch und seine Frau Rita ihr Weingut bereits 1985 auf ökologischen Weinbau gesetzt haben. Deren gute Tropfen haben nach Aussage von Pigott enorm viel Kraft und einen intensiven Duft.  Quasi ums Eck, in Bacharach am Mittelrhein, ist das ökologische Weingut von Dr. Randolf Kauer beheimatet. Der ist nicht nur Winzer, sondern auch Professor für ökologischen Weinbau an der Fachhochschule Geisenheim, verbindet also Theorie und Praxis. „Schlanke uns geradlinige herbe Rieslinge“ hat Pigott hier entdeckt.

Ein immer aktueller werdende Thematik spart das Buch ebenso nicht aus: die Klimaerwärmung.  Auch sie trägt, so Stuart Pigott, zur Qualitätssteigerung der deutschen Weine bei.  Reben sind Sonnenanbeter, Licht und Wärme seien Notwendigkeit, attestiert der Autor. Wissenschaftliche Studien prognostizieren einen Temperaturanstiege von 1,5 bis 3,5 Grad in den nächsten 50 Jahren. Die nördliche Grenze der Weinbauregionen, so heißt es in dem Werk, werde sich um einige hundert Kilometer nach Norden verschieben.

Big is beautiful, daher widmet sich der Autor auch größeren Weingütern. Wie dem Juliusspital in Franken, 1576 als Stiftung von Julius Echter von Mespelbrunn gegründet und heute das zweitgrößte Weingut Deutschlands. Hier liegt der Fokus auf dem trockenen Silvaner, Große Gewächse stammen aus den berühmten Lagen Würzburger Stein und Iphöfer Julius-Echter-Berg, erfährt der Leser. Fritz Keller aus dem badischen Oberbergen wiederum besitzt neben einem Weingut noch eine Weinhandlung und ein Restaurant. Seit 2007 produziert er gute Weine für Aldi, etwa Weißburgunder.

Auch Quereinsteigern widmet Pigott Raum.  So die früher mittellosen Geisenheim-Absolventen Hans-Bert Espe und Silke Wolf mit ihrer „Shelter Winery“ in Kenzingen im Breisgau. Das Start-up liegt in einem ehemaligen Bunker der kanadischen Luftwaffe in Lahr. Ihr erster Rotwein, ein 2003er Pinot Noir sorgte schon für große Aufmerksamkeit. Und Matthias Adams, so berichtet der britische Autor, war einst im Finanzvorstand beim Chip-Hersteller Infineon und ist heute Winzer im Weingut von Racknitz in Odernheim an der Nahe. Konstantin Weiser aus Bayern arbeitete einst als Bankkaufmann, studierte dann Weinbau in Heilbronn und keltert nun Reben an der Mosel.

Im Kapitel Traubensorten berichtet Stuart Pigott über die Biodiversität beim Rebensaft, es existieren mehr Trauben- als Apfel- oder Rosensorten. Vom Riesling sagt er, dass kein Weißwein so fruchtig ist, „die Natur übereicht uns hier einen ganzen Früchtekorb im Glas.“ Seinen Ursprung hat die Traube im Rheingau, wo sie 1435 bereits erwähnt wurde und noch heute Leitsorte ist.  Spätburgunder etwa sind für Pigott schwungvolle, seidige und feine Weine, die sinnlich rot funkeln. An der Ahr, oder im Markgräflerland entstehen Weine, die laut Pigott keine Vergleiche mit Tropfen aus dem Burgund scheuen müssen. Den Grauburgunder bezeichnet er als „prototypische“ badische Traubensorte. Bei der es um die glückliche Vermählung von Frucht mit Schmelz und Kraft gehe. Gute Grauburgunder bestechen mit belebender Frucht und nachhaltiger Frische, sagt er.  Der Weißburgunder wiederum, weiß der Autor, zählt zu den feinsten Rebsorten der Welt und gleitet wie Samt die Kehle hinunter. Seine angestammte Hochburg ist die Pfalz.

Nicht zuletzt geht Pigott auf die deutschen Weinregionen ein.  Baden nennt er einen „Schmelztiegel und eine Weinwunderwelt“. Er zeigt sich überzeugt von „geschliffenen Spätburgundern“, weißen Burgundern“ oder „wahrhaft köstlichen Muskatellern von substantieller Frische und hochfeinen Traminern. An der Badischen Bergstraße bei Heidelberg werde mit in Holzfässern ausgebauten Weinen an einem Qualitätskonzept gefeilt. Und am Kaiserstuhl hat der Autor knackige, taufrische Silvaner entdeckt.

Der Rheingau hat sich traditionell dem Riesling zugewandt. Nach einer Schwächeperiode habe man dort aber wieder das Ruder herumgerissen und den Aufschwung eingeleitet. Die Hessischen Staatsweingüter Kloster Eberbach, größtes Weingut Deutschlands, haben richtig zugelegt und 2008 dann eine neue Kellerei in Betrieb genommen. Ergebnis sind, so der Journalist, „federleichte, springlebendige“ Riesling-Kabinett-Weine. Auch um Flörsheim-Wicker und Hochheim hat sich einiges getan, weiß der Buchautor. So habe Rainer Flick die Straßenmühle in Wicker auf Vordermann gebracht und rekultivierte die Wickerer Lagen Nonnberg und Mönchsgewann, wo man nun, so Pigott, geballte Riesling-Energie erzeugt - am Nonnberg mit aufregenden Kräuteraromen, wie Weinkenner Stuart festgestellt hat, der Tropfen vom Mönchsgewann entdeckte er eine reintönige Frucht. Bei einstigen Flaggschiffen habe eine neue Generation von Gutsverwaltern das Zepter übernommen und eine Renaissance eines modernen Rheingaus eingeleitet, so der gebürtige Engländer.

Der Pfalz attestiert Pigott eine „boomende Entwicklung“. Die Region, mit 1800 Sonnenstunden im Jahr oft als Toskana Deutschlands bezeichnet, ist ebenfalls für außergewöhnliche Rieslinge bekannt. Hier genießen an der Mittelhaardt die drei großen “B´s“ – Dr. von Bassermann-Jordan, Dr. Bürklin-Wolf und Reichsrat von Buhl – hohes Ansehen. Aber auch brillante Rotweine stammen aus dieser Region, urteilt Pigott. Auch an Historisches traute man sich heran, etwa in der Südpfalz mit einem Gräfenhauser Spätburgunder, der wiederentdeckt wurde. Erfolge einer jungen Winzergeneration hätten die renommierten Betriebe wachgerüttelt und so die Qualitätsstufe in dem Landstrich verbessert.

An der Ahr dominiert der Rotwein. In Deutschlands nördlichem Anbaugebiet, einem 25 Kilometer langen Abschnitt zwischen Bad Neuenahr und Altenahr, hat von der zunehmenden Klimaerwärmung deutlich profitiert. Daraus resultiert laut Stuart Pigott nicht zuletzt ein Qualitätsanstieg.  Die Winzer können heute ein ganzes Füllhorn an üppigen Rotweinen ernten, teilt der Buchautor mit. Ab dem Jahrgang 1997 hätten die Spätburgundern von hier Alkoholgradationen von 14 Volumenprozent und mehr.

In den Weinregionen in Deutschlands Osten tut sich ebenso eine Menge, schreibt Pigott.  Dem Anbaugebiet Saale-Unstrut attestiert der Buchautor ein „Comeback des coolen Nordens“. Der märchenhafte Aufstieg des Rotkäppchen-Sekts aus Freyburg an der Unstrut sei eine gelungenes Beispiel für den Aufbau Ost.  An der Saale-Unstrut haben einst Zisterziensermönche wichtige Impulse gegeben und unter anderem das Kloster Pforta mit reichliche guten Weinbergen ausgestattet, erfährt der Leser. Die modernen Weine des Gebietes schmecken reifen Früchten, präsentieren sich rassig und körperreich, befindet der Autor.

Ohne die Begegnung Wein wäre er vielleicht ein langweiliger Schuhverkäufer in einem langweiligen Vorort Londons geworden, schreibt der Autor augenzwinkernd mit einem Hauch britischem Humor. Unterstützt bei dem Fachbuch „Weinland Deutschland“ wurde Stuart Pigott von seinem Kollegen Manfred Lüer, einem Journalisten und Weinkritiker, der im Rheingau bei Wiesbaden lebt.

 

Info: Stuart Pigott, Weinland Deutschland, Tre Torri Verlag Wiesbaden / Hallwag, ISBN 978-3-96033-126-1, 29,90 €