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Letzte Aktualisierung: 16.09.2024

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Frau Geywitz und die ländlichen Regionen

Buchempfehlung: Durchs irre Germanistan

von Norbert Dörholt

(12.02.2024) Der Titel des Buches verrät schon Einiges: „Durchs irre Germanistan – Notizen aus der Ampel-Republik“. Geschrieben haben es zwei renommierte Autoren, Henryk M. Broder und Reinhard Mohr. Man könnte es auch „Von der Ideologie zur Idiotie“ titeln. Wir hatten in Frankfurt-Live schon mehrfach auf dieses Muss am deutschen Büchermarkt hingewiesen, wollen aber noch ein letztes Mal einen Textauszug daraus veröffentlichen, weil es gar zu schön geschrieben ist.

Wer dieses Buch noch nicht kennt, sollte das nachholen. Es zu lesen ist gut investierte Zeit.
Foto: Europa Verlag München
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Wir hoffen, Ihnen verehrte Leser, damit genügend Appetit auf dieses Werk gemacht zu haben. Wenn Sie mehr davon lesen wollen, dann müssen Sie es sich nunmehr wohl endlich kaufen, sofern Sie das nicht schon längst getan haben. Die jeweiligen Kapitel über Personen und Zustände sind, wie schon gesagt, kurz gefasst und die Texte mit einem kräftigen Schuss Humor gewürzt. „Leider gehört auch Humor zur Mangelware in der Ampel-Republik, denn Ironie passt nicht zur woken, politisch korrekten, achtsamen, diversen und nachhaltigen Gesellschaft, die niemanden zurücklassen will und eben deshalb nicht vorwärtskommt“, haben die Autoren selbst zum Thema Humor angemerkt. Als Leseprobe haben wir dieses Mal einen Beitrag über die Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen Klara Geywitz ausgesucht. Da ist Folgendes zu lesen:

„Unter den Politikern und Politikerinnen, die auch fast zwei Jahre nach ihrem Eintritt in das Kabinett von Olaf Scholz weitgehend unbekannt geblieben sind, nimmt Klara Geywitz eine Spitzenposition ein. Dabei ist es noch nicht lange her, dass sie sich als Sidekick von Olaf Scholz um den Vorsitz der SPD bewarb. Vergeblich, aber nicht ganz erfolglos. Kaum war Scholz als Bundeskanzler vereidigt, holte er Klara Geywitz in sein paritätisch besetztes Kabinett als »Ministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen«. Unter Horst Seehofer waren das Abteilungen im Ministerium für Inneres und Heimat. Im Zuge der Regierungsbildung wurden die Bereiche ausgekoppelt, zusammengelegt und der diplomierten Politikwissenschaftlerin übergeben, die bis zu ihrer Ernennung als Ministerin beim Landesrechnungshof Brandenburg als Prüfgebietsleiterin gearbeitet hatte.

Was Stadtentwicklung und Bauwesen angeht, war Frau Geywitz ein unbeschriebenes Blatt; allein beim Wohnen könnte man eine gewisse Kompetenz vermuten, wohnt sie doch in Potsdam, in einer ausgesprochen »angesagten« Wohngegend. Darüber hinaus ist Frau Geywitz die »Beauftragte der Bundesregierung für den Berlin-Umzug und den Bonn-Ausgleich«, zwei Herausforderungen, die auch ein Vierteljahrhundert nach der Verlegung der Hauptstadt von Bonn nach Berlin offenbar noch nicht abgearbeitet sind.

Mir ist Frau Geywitz zum ersten Mal aufgefallen, als sie Ende letzten Jahres bekannt gab, man werde das Ziel von 400 000 neuen Wohnungen »nicht erreichen«, wolle aber daran »festhalten«. Das klang nicht nur nach »überholen, ohne einzuholen«, es kam auch meiner Vorstellung von zielgebundener Beharrlichkeit nahe: Ich weiß, dass ich es nie schaffen werde, bei der Formel 1 mitzufahren, aber ich halte an diesem Ziel unbeirrt fest. Wie Moses, der die Israeliten 40 Jahre durch die Wüste führte, um am Ende der Wanderung nur einen kurzen Blick aus der Ferne auf das Heilige Land zu werfen.

Nun ist der Wohnungsbau eines der zentralen Anliegen der jetzigen Bundesregierung, gleich nach innerer Sicherheit und Preisstabilität. Es klappt nur nicht richtig. Steigende Zinsen und explodierende Preise für Baumaterialien, brüchige Lieferketten und Mangel an Facharbeitern machen das Bauen zu einem Glücksspiel. Die Nachfrage ist gewaltig, das Angebot dürftig.

In dieser Situation hatte Klara Geywitz eine Idee, die sie sogleich der Funke-Medien-Gruppe mitteilte, damit die Welt erleuchtet werde. Um die Wohnungsnot in den Städten zu lindern, sollten mehr Menschen aufs Land ziehen. »In Deutschland gibt es schätzungsweise 1,7 Millionen leer stehende Wohnungen. Der überwiegende Teil dieser Wohnungen befindet sich in ländlichen Regionen.« Man müsste nur »das Leben auf dem Land attraktiver machen«, dann würden sich »mehr Menschen für ein Leben dort entscheiden und den Wohnungsmarkt in den Städten entlasten«.

Eine fantastische Idee! Einfach genial und genial einfach. Und eine Win-win-Situation für alle. Die Städter, die aufs Land ziehen, würden nicht nur an Lebensqualität zugewinnen, ihre Stadt-Wohnungen könnten von denjenigen übernommen werden, die bei der Wohnungssuche die schlechtesten Chancen haben: alleinerziehende Mütter, kinderreiche Familien, Geflüchtete, Langzeitarbeitslose und Opfer des Konsumterrors, die Privatinsolvenz anmelden mussten. Das würde den Wohnungsmarkt in den Städten wesentlich entlasten. Vorher müsste nur eine Frage geklärt werden: Wo fängt der ländliche Raum an?

In Berlin zum Beispiel etwa 20 bis 30 Kilometer jenseits der Stadtgrenze. Alles dazwischen gehört zum »Speckgürtel«, wo die Lebenshaltungskosten ebenso hoch sind wie in der Hauptstadt.

In Hamburg, Köln, Stuttgart, Leipzig und Dresden ist es genauso, der »ländliche Raum« rund um München reicht im Osten bis Passau, im Westen bis Augsburg, im Norden bis Ingolstadt und im Süden bis Garmisch-Partenkirchen. Wirklich kostengünstig sind nur noch wenige Regionen: Preußisch-Sibirien rund um die Stadt Gerolstein in der Eifel, die Kleinstadt Kelbra im Kyffhäuserkreis im Harz, Troschenreuth im sächsischen Vogtland. Eine Ausnahme von der Regel ist Duisburg-Marxloh, wo Hunderte von Häusern und Wohnungen leer stehen. Wer sich dort dauerhaft niederlassen möchte, muss freilich resilient sein, also psychisch und physisch extrem belastbar.

Um das Leben im ländlichen Raum für Stadtmenschen attraktiv zu machen, darüber sind sich alle Experten einig, müsste die Infrastruktur ausgebaut werden. Das heißt: gute Verbindungen in die nächste Großstadt, schnelles und stabiles Internet, Kitas, Schulen, Jugendzentren, Arztpraxen, Sport- und Spielhallen.

Das alles kann nicht innerhalb weniger Monate aus dem Boden gestampft werden. Wenn es Jahre dauert, bis alle Formalitäten für den Bau einer Kläranlage oder eines Windrades erledigt sind, kann der ländliche Raum nicht von jetzt auf gleich komplett umgebaut werden. Man muss auch mit dem Widerstand der indigenen Bevölkerung rechnen, die nicht tatenlos zusehen wird, wie ihr »Lebenstraum« den Bach runtergeht.

So gut sich der Plan von Frau Geywitz im ersten Moment anhört – man möchte ihr spontan um den Hals fallen und »Weiter so, Klara!« rufen –, er leidet unter einem Schönheitsfehler. Es ist der gleiche Fehler, der zur Energiewende führte, der die Elektromobilität in Gang setzte, der offene Grenzen für alternativlos erklärte und eine Willkommenskultur etablierte, die mehr Fremdenfeindlichkeit produziert hat, als es die AfD je geschafft hätte. Nicht zu reden von der Zerstörung intakter Kraftwerke, dem laxen Umgang mit der Inflation und der Umwandlung von Schulden in »Sondervermögen«.

So betrachtet steht Klara Geywitz, Ministerin für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und ländliche Regionen, stellvertretend für die Neue Berliner Republik da – den Größenwahn, die Mittelmäßigkeit und das Zwanghafte, immer wieder denselben Fehler zu begehen und sich darüber zu wundern, dass die Folgen auch dieselben sind.“

(„Durchs irre Germanistan – Notizen aus der Ampel-Republik“, ISBN-Nummer lautet 978-3-95890-593-1, Europa Verlag München, 20 Euro)