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Letzte Aktualisierung: 19.04.2024

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Frankfurt zum Lesen: Bücherzettel Winter / Teil 1

von Ilse Romahn

(20.12.2021) Vielleicht mehr als sonst bieten sich in diesem erneuten Pandemie-Winter Bücher als Weihnachtsgeschenk und zum Selberlesen an. Nach wie vor bietet Frankfurts Vergangenheit nicht nur der Wissenschaft Stoff zum Forschen und Publizieren, auch Autoren historischer Romane greifen Themen der Stadtgeschichte auf und verbinden kurzweilige Lektüre mit solide recherchierter Sachinformation.

Collage Buchcover der vorgestellten Bücher Teil 1,
Foto: Copyright: Verlage
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Von dieser jüngsten Vergangenheit ist es nur ein kurzer Weg in die aktuellen Diskussionen dieser Tage. Dazu warten manche Krimis mit Handlungen auf, die man sich mit leichtem Gruseln auch als reales Geschehen vorstellen kann. Wenn Wetter und Viren es zulassen, kann der Rhein-Main-Bewohner dann auch wieder auf Entdeckungsreisen in der Region gehen, und bis dahin schon einmal die Tourenplanung zwischen den Buchdeckeln in Angriff nehmen: Vorfreude ist bekanntlich die schönste Freude!
 
Von Miethaien und Erbschleichern
Ein Immobilienmakler liegt tot im Sinai-Park, brutal erstochen. Der bereits aus früheren Roman bekannte Kriminalkommissar Ulf Steiner beginnt mit dem Nächstliegenden: Er ermittelt im Milieu des heftig umkämpften Frankfurter Immobilienmarktes, in dem es für Akteure häufig nicht mehr darum geht, Häuser und Wohnungen zu vermitteln – das erledigt sich fast von selbst. Vielmehr gilt es, attraktive Objekte in die Hände zu bekommen, und Steiner findet auch bald Hinweise, dass manchen Maklern dazu jedes Mittel recht ist.

Steiners Lebensgefährtin, die ebenfalls schon krimi-erprobte Psychologin Jona Hagen, wurde für eine Luxussanierung die Wohnung gekündigt, und nun mietet sie sich ausgerechnet in der Bleibe des Mordopfers in einer alten Villa ein. Soviel sei verraten: auch wenn man quasi nebenbei sehr vieles über die skrupellosen und bisweilen kriminellen Geschäftspraktiken der Immobilienbranche erfährt, verfolgt Jona alsbald eine ganz andere Spur.

Denn nach und nach lernt man durch ihre Augen die Bewohner der alten Villa im Dichterviertel, eine stumme Hauptperson des Romans, und deren zunächst undurchschaubares Beziehungsgeflecht kennen: Alle etwas schrullig, und, je näher man ihnen kommt, sind sie immer weniger das, was sie auf den ersten Blick zu sein scheinen. Aber auch die erfahrene Therapeutin und – einmal mehr unfreiwillige – Ermittlerin braucht lange, um Sein und Schein zu unterscheiden und als sie schließlich richtig abbiegt, gerät sie im temporeichen Finale des über weite Strecken sehr ruhig, aber facettenreich erzählten Romans in tödliche Gefahr.
Sonja Rudorf: Faule Mieten, Societäts-Verlag 2021, 304 Seiten, 15 Euro
 
Von Rache und Gerechtigkeit
Frankfurt 1947: Hannah Bloch, die das Euthanasielager in Hadamar im ersten Band der als Trilogie angelegten Romanserie überlebt hatte, fahndet als Angehörige einer US-amerikanischen Einheit nach den Tätern der Krankenmorde. Zu dieser Zeit hatten sich die führenden NS-Verbrecher ihrer Verantwortung durch Selbstmord oder Flucht entzogen oder warteten im Gefängnis auf ihren Prozeß. Aber die große Mehrzahl der „kleinen Nazis“, der Täter in der zweiten Reihe, oft auch sie an der Auslöschung unzähliger Menschenleben direkt oder indirekt schuldig geworden, lebten weiter wie bisher, manche notdürftig unter einer neuen Identität getarnt, manche ganz offen. Der Ermittlungseifer der Siegermächte erlahmte rasch, eine konsequente deutsche Strafverfolgung kam nie in Gang. Die Alliierten brauchten diese Leute für den Wiederaufbau, die Deutschen wollten mit ihrer Vergangenheit nicht konfrontiert werden und waren im vielfach noch chaotischen Nachkriegsdasein mit dem täglichen Überleben mehr als beschäftigt.

In diesem Umfeld verfolgt Hannah die Spur der Täter durch ganz Europa. Zuerst hilft ihr noch ein deutscher Staatsanwalt, aber die Beziehung zerbricht. Hannah flieht vor dessen krankhafter Eifersucht zu einer Freundin im Kölner Schieber- und Schmugglermilieu und nimmt an deren bisweilen äußerst gefährlichen Untergrundaktivitäten teil. Dabei begegnet sie dem schwer traumatisierten Pawel, der seine im KZ ermordete Familie rächen will, dabei aber die Kontrolle über sein Handeln verliert und in blindem Hass selbst zum Mörder wird. Die geschilderten Pläne einer jüdischen Untergrundorganisation, zur Vergeltung für den Holocaust, ganze deutsche Städte durch Arsen im Trinkwasser auszurotten, sind tatsächlich in Angriff genommen worden; nur ein Beispiel für die zahlreichen, ebenso abenteuerlichen wie realen Ereignisse dieser Zeit.

Auf ihrer Suche gerät Hannah immer wieder an Netzwerke früherer NS-Funktionäre, die über Fluchthilfeorganisationen gesuchten Tätern das Untertauchen und Entkommen ermöglichen, sich als Juristen gegenseitig decken und die Strafverfolgung hintertreiben. Sie wird mit der Selbstgerechtigkeit vieler Deutscher konfrontiert, die sich die Vergangenheit schön – und die eigene Schuld weg reden wollen – und selbst jetzt noch über Leichen gehen, um sich der Justiz zu entziehen. Überzeugend porträtierte Charaktere und damals reale Personen treffen vor dem sorgfältig recherchierten zeitgeschichtlichen Hintergrund in einer packenden Handlung aufeinander – und sorgen ein weiteres Mal für eine ebenso spannendes wie informatives Leseerlebnis.
Volker Dützer: Die Ungerächten, Gmeiner-Verlag 2021, 506 Seiten, 16 Euro
 
Von Räten und Rebellen
Im Frankfurt des beginnenden 17. Jahrhunderts wird der Rat der Stadt von einer Oligarchie aus Adel und reichem Handels- und Finanzbürgertum dominiert. Für die Bedürfnisse der kleineren Handwerksmeister, ihrer Gesellen und Lehrlinge, von den unzähligen Dienstboten und Hilfskräften gar nicht zu reden, hat man dort längst kein Ohr mehr. Und Geld schon gar nicht – viele Ratsherren betrachteten die Stadtkasse als Selbstbedienungsladen, häuften Schulden an, zu deren Deckung sie die Steuern erhöhten. Um diese bezahlen zu können, mussten die Bürger sich ihrerseits bei jüdischen Pfandleihern verschulden, die aber immer häufiger selbst auf den uneingelösten Pfändern ihrer Schuldner sitzenblieben.

Angesichts dieser Abwärtsspirale setzt sich der einflussreiche Lebkuchenbäcker Vincenz Fettmilch an die Spitze der Unzufriedenen und versucht, dem Ratspatriziat das Zepter aus der Hand zu winden und den Kaiser als Stadtherrn der Freien Reichsstadt für eine grundlegende Reform der Stadtverfassung zu gewinnen. Als trotz einiger Teilerfolge alles Lavieren, Taktieren und Verhandeln letztlich ergebnislos bleiben, gewinnen die Radikalen die Oberhand. Der eher gemäßigte Fettmilch steht vor der Wahl, aufzugeben oder sich an die Spitze der Bewegung zu setzen – und entschließt sich zum Aufstand. Der Rat wird gewaltsam gestürzt, der Zorn auf die jüdischen Geldverleiher entlädt sich in deren Vertreibung aus der Stadt. Der Kaiser indes stellt sich auf die Seite des Rates und lässt die Ordnung durch das Militär wiederherstellen. Die Juden kehren zurück, Fettmlich und einige seiner Mitstreiter werden hingerichtet und eine neue, ein wenig umgestaltete Stadtverfassung erlassen, die für beinahe 300 Jahre in Kraft bleibt.

Wie in historischen Romanen üblich, lässt die Autorin neben den tatsächlichen Protagonisten noch einige erfundene Charaktere auftreten, um sich mehr erzählerische Beinfreiheit zu verschaffen. Sie konzentriert ihre Darstellung auf die Zerrissenheit, die nicht nur die Stadtpolitik, sondern viele Familien durchzog und selbst die einzelnen Akteure zu abrupten Kurswechseln veranlasste und am Ende zum Scheitern verurteile. Zwar ist es auf 200 Seiten kaum möglich, die ganze Komplexität der damaligen Stadtpolitik und die vielfältigen Motive der Akteure bis ins Detail auszuleuchten; einen gelungenen Überblick über dieses zentrale Kapitel Frankfurter Stadtgeschichte in leicht lesbarer Form bietet der Band aber allemal.
Astrid Keim: Das verschwundene Gold. Der Frankfurter Fettmilch-Aufstand 1612-1616, acabus-Verlag 2021, 230 Seiten, 14 Euro

Von Flucht, Abschied und Rettung
Ende der 1930er Jahre hatte der Druck der nationalsozialistischen Verfolgung ein solches Ausmaß angenommen, dass viele jüdische Familien versuchten, aus Deutschland zu fliehen. Jedoch gestaltete es sich äußerst schwierig, Aufnahmeländer zu finden. 1938 bot sich dann die Möglichkeit, wenigstens die Kinder in Sicherheit zu bringen. Dabei gingen die meisten Familien davon aus, dass die Trennung nur für kurze Zeit sein würde, und entweder die Eltern bald folgen oder in Deutschland wieder erträgliche Verhältnisse einkehren würden. Für die allermeisten wurde es indes ein Abschied für immer, denn nur wenige der Zurückgebliebenen entgingen der Mordmaschine der Nationalsozialisten.

Die rettenden Kindertransporte brachten etwa 20.000 Kinder und Jugendliche in unterschiedliche Aufnahmeländer. Frankfurt spielte eine besondere Rolle in diesem dramatischen Geschehen. Zum einen war es die Stadt mit dem größten jüdischen Bevölkerungsanteil, zum anderen wurde es aufgrund seiner zentralen Lage zum Sammel- und Abfahrtspunkt für die Züge nach Westeuropa und in die Hafenstädte.

Daher erinnert Frankfurt mit einem Denkmal an der Gallusanlage und einer noch bis 15. Mai kommenden Jahres geöffneten Ausstellung an diese fast vergessene Episode des Holocaust. Der Begleitband dazu erzählt die Geschichte der Kindertransporte anhand von Biografien und Erinnerungen, bietet Diskussionsbeiträge zum Denkmal und zu Formen des Gedenkens, illustriert von zahlreichen aktuellen und historischen Fotografien, zeitgenössischen Dokumenten und Comic-Zeichnungen. Die Beiträge sind durchweg zweisprachig in deutscher, hier mit reichlich Gendersternchen bestückt, und englischer Sprache gehalten.
Sylvia Asmus / Jessica Beebone (Hg.): Kinderemigration aus Frankfurt am Main. Geschichten der Rettung, des Verlusts und der Erinnerung, Wallstein Verlag 2021, 258 Seiten, 24,90 Euro

Vom Wandern durch Rhein-Main
Seit Corona vielen die jährliche Urlaubsreise verhagelt hat und sich große Massenansammlungen in Strandbädern und Hotelanlagen auch nicht mehr unbeschwert genießen lassen, haben Ausflüge ins heimatnahe Umland und das Wandern einen wahren Boom erlebt. Seit vielen Jahren veröffentlicht die Rhein-Main-Zeitung der FAZ allfreitäglich einen Wandertipp, und von Zeit zu Zeit erscheint eine Auswahl dieser Ausflugsreihe in Buchform.

Bei den Tourenvorschlägen geht es nicht nur um das Marschieren über Stock und Stein. Vielmehr haben die Routen immer auch einen thematischen Schwerpunkt, der mit einem landschaftlich reizvollen Weg durch die Umgebung erschlossen wird. Zeugnisse der regionalen Geschichte wie der Limes, attraktive Stadtanlagen wie in Bad Nauheim oder Bad Homburg, der Kampf um Freiheit und Demokratie in Butzbach oder Burgen und Schlösser mit spektakulären Aussichten werden in den 30 Tourenvorschlägen von 6 bis 17 Kilometer Wegstrecke vorgestellt.

Zu jeder dieser Tages- oder Halbtagestouren gibt es eine exakte Anfahrts- und Streckenbeschreibung nebst Karte einschließlich GPS-Tracks, Hinweisen zu den Sehenswürdigkeiten und deren Öffnungszeiten sowie auf Einkehrmöglichkeiten, um Wanderers Leib und Seele zusammenzuhalten. Die meisten der Ziele sind von Frankfurt aus zumeist mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut zu erreichen und die Routen stellen auch keine besonderen Anforderungen an Ausrüstung und körperliche Leistungsfähigkeit. Und da erfahrene Wanderer lieber im Frühjahr und im Herbst statt in brütender Sommerhitze losziehen, ist jetzt genau die richtige Zeit, sich mit dieser Sammlung auf die nächsten Ausflüge vorzubereiten!
Thomas Klein: Wandertipps in Rhein-Main. 30 kleine und große Touren zum Entdecken, Societäts-Verlag 2021, 200 Seiten, 14 Euro

Von Wohlfahrt, Hass und Tod
Der Erste Weltkrieg stellte die deutschen Verwaltungen vor immense Herausforderungen, denn längst fand der Krieg nicht nur an der Front statt. Nahrungsmittel- und Materialknappheit, dazu die Versorgung der Familien getöteter oder schwerstverletzter Soldaten erzwangen ein Einrücken des Staates in sozialpolitische Lücken, die die private Wohlfahrtspflege nicht mehr zu schließen vermochte. Fortwirkende Kriegsfolgen und dazu die politischen und wirtschaftlichen Verwerfungen erforderten während der Weimarer Republik den weiteren Ausbau sozialstaatlicher Institutionen und deren gesetzlicher Grundlagen.

Einer der wesentlichen Akteure auf diesem Gebiet war der 1889 in eine großbürgerlich-jüdische Familie – der Vater war einer der Gründungsdirektoren der Deutschen Bank – hineingeborene, heute fast vergessene Sozialpolitiker Hans Maier. Vom Militärdienst als untauglich ausgemustert, trat der junge Jurist 1914 in das damalige „Armenamt“ der Stadt Frankfurt ein. Beflügelt von einem immensen Schaffensdrang und unterstützt von seiner ebenfalls sozialpolitisch engagierten Ehefrau trieb er den Ausbau der relevanten Institutionen voran, wirkte an der Ausbildung zu Sozialberufen mit und publizierte eine immense Anzahl von Fachartikeln und Schriften, wodurch er auch ein gefragter Vortragsredner und Kongressteilnehmer wurde. Im Jahr 1923 wechselte er nach Dresden, wo er im sächsischen Innenministerium für die landesweite Wohlfahrtspflege zuständig wurde. Bereits Ende der 1920er Jahre wurde der inzwischen zum Sozialdemokraten gewordene, eng mit der Arbeiterwohlfahrt verflochtene Jude zur Zielscheibe der nationalsozialistischen Opposition, und als diese 1933 an die Macht gelangte, wurde er – wie alle SPD-nahen Beamten – aus dem Dienst entfernt. Seine letzten Lebensjahre verbrachte er dann wieder in seiner Heimatstadt Frankfurt. Seiner beruflichen Verwirklichung beraubt und von den Anfeindungen der Nazis zermürbt, konnte er den Tod seiner Ehefrau nicht mehr verkraften und nahm sich im August 1937 das Leben.

Um seinen Kindern, die dem Holocaust durch rechtzeitige Emigration entgingen, diesen Schritt erklärlich zu machen, verfasste er eine ausführliche Autobiografie, die den größten Teil dieses Buches ausmacht. Indem er darin nicht nur von seinen beruflichen und politischen Aktivitäten, sondern auch vom familiären und gesellschaftlichen Umfeld berichtet, entsteht ein lebendiges und abgerundetes Bild einer in seiner Zeit prägenden, außergewöhnlichen Persönlichkeit und deren tragischen Zerbrechen unter dem Druck von Hass, Entrechtung und persönlichem Schicksalsschlag. Eine ausführliche Einführung und zahlreiche Fußnoten zu Personen und Institutionen helfen, den ansonsten in der Originalfassung belassenen Text zu erschließen.
Hanna und Dieter Eckhardt: Hitler hat ihn umgebracht. Der Sozialpolitiker Hans Maier (1889 – 1937), Hentrich & Hentrich 2021, 221 Seiten, 19,90 Euro

Von Dämonen in dieser und anderen Welten
Wie Fantasy-Freunde wissen, sind wir in unserer sichtbaren Welt nicht allein. Unter uns, neben uns, zwischen uns existiert eine andere Welt, bewohnt von seltsamen, oft uralten Wesen, davon einige mit ziemlich schlechter Laune. Nur wenige Menschen haben die Gabe, sich zwischen diesen Sphären zu bewegen, deren Aufeinandertreffen bisweilen zu heftigen, existenziellen Konflikten führt.

Nicht anders in Frankfurt, wo sich tief unter dem Bethmannpark eine der Zentralen dieser geheimnisvollen Kräfte und Fabelwesen befindet – allerdings denen von der eher angenehmen Sorte. Zusammen mit ihren Verbündeten aus der Menschenwelt werden sie abermals zum Ziel einer Attacke, mit der ein Dämon der übelsten Sorte aus seinem magischen Gefängnis unter dem Steinkreis von Stonehenge befreit werden soll. Zu allem Überfluss bekommen Weltengänger Daniel und seine menschlichen und fabelhaften Helfer es mit einer Interpoltruppe zu tun, die von den finsteren Mächten unterwandert wurde.

Wie in den beiden ersten Romanen der Reihe wird wieder ein Frankfurter Sagenstoff aufgegriffen, dessen Wirkung bis in unsere heutige Zeit nachklingt und den bösartigen Uraltgöttern in die Hände spielt; dieses Mal eine neue Variante der Geschichte von dem Wilddieb und Meisterschützen, der sich mit dem Durchlöchern der Wetterfahne auf dem Eschenheimer Turm vor der Hinrichtung retten konnte. Wer Spaß an fantastischer Literatur, aktionsgeladener Handlung, Begegnungen mit einem ägyptischen Gott in Jeans und Sneakers und vor allem der Stadt Frankfurt und ihrer reichhaltigen Überlieferung hat, kann hier einige vergnügliche Leseabende verbringen. Ach ja, nicht vergessen: Wenn Kobolde vorbeischauen - die trinken am liebsten Ebbelwoi.
Jörg Erlebach: Leere Straßen in Frankfurt, SadWolf Verlag 2021, 396 Seiten, 14,99 Euro
 
Von schwarzem Tee und starken Frauen
Rund 28 Liter Tee trinkt jeder Deutsche heute im Jahr. Vor 200 Jahren sah das freilich ganz anders aus, da war das schwarze Heißgetränk aus China noch eine exotische Rarität. Im Jahr 1823 eröffnete der Kaufmann Tobias Ronnefeldt an der Neuen Kräme, ungefähr auf der Höhe des heutigen Paulsplatz sein Geschäft mit asiatischen Importwaren, von denen der Tee alsbald den Löwenanteil ausmachte. Hauptfigur des Romans ist indes seine Frau Friederike, die sich nach dem frühen Tod ihres Mannes in die Geschäfte einarbeitet und das Unternehmen weiterführt.

Das Buch ist freilich keine Unternehmensgeschichte, sondern ein historischer Roman um die Anfangsjahre des heute noch in Frankfurt beheimateten, bundesweit aktiven Teehandelshauses zwischen 1838 und 1840. Da das Firmenarchiv untergegangen ist, weiß man nur wenig über diese frühe Zeit, aber die Autorin konnte die erhaltene Korrespondenz zwischen den Eheleuten auswerten und daraus ein Bild von Friederike Ronnefeldt und ihrer Familie zeichnen. Diese muss sich in der Romanhandlung in die Geschäfte ihres Mannes einschalten, als dieser auf eine monatelange Reise ins Teeland China begibt, wo man die Geheimnisse von Anbau und Verarbeitung der Pflanzen eifersüchtig hütete. Dabei muss sie sich ebenso mit einem halbseidenen Prokuristen auseinandersetzen, dessen Geschäftsgebaren das ganze Unternehmen gefährdet, wie mit gesellschaftlichen Vorbehalten gegen eine unternehmerisch tätige Bürgersfrau.

Die Autorin verwendet auch mit Hilfe einiger historischer und fiktiver Nebenfiguren viel Raum auf die plastische Schilderung des Alltagslebens, des gesellschaftlichen und politischen Zeitgeistes der internationalen Handelsmetropole Frankfurt in der aufkommenden Industrialisierung. Durch die ebenso feinfühlige wie intensive Charakterdarstellung kommt man den Protagonisten sehr nahe und kann deren Motive und Handlungen nachvollziehen. Der bildhafte und angenehm zu lesende Schreibstil sorgt für eine entspannte und flüssige Lektüre – apropos „flüssig“: Am besten natürlich mit einer guten Tasse Tee!
Susanne Popp: Die Teehändlerin. Die Ronnefeldt – Saga Band 1, Fischer Taschenbuch, 557 Seiten, 10,99 Euro
 
Von der Erneuerung der Erinnerung
Dies ist kein Buch über Frankfurt, es ist auch keines aus Frankfurt. Es ist vielmehr ein Buch für Frankfurt. In kaum einer anderen deutschen Stadt wird so engagiert über die Schreckensjahre der NS-Zeit, deren vielfache Präsenz in den kultur- und wissenschaftspolitischen Debatten der Gegenwart und die daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen für nahezu alle Felder der Tagespolitik diskutiert und gestritten. Wesentliche Marksteine des Umgangs mit dieser Vergangenheit wie die Auschwitz-Prozesse, der Theaterskandal um das Hochhut-Stück „Die Stadt, der Müll und der Tod“, die Befragung der Elterngeneration durch die revoltierenden 68er Nachkriegskinder oder der Historikerstreit sind untrennbar mit der jüngsten Frankfurter Stadtgeschichte verbunden.

Der Autor hinterfragt diese Erinnerungskultur und fordert nicht mehr und nicht weniger, als die Allgegenwart des NS im Leben der BRD auf den Prüfstand zu stellen. Er zeigt, wie der Umgang mit der deutschen Vergangenheit die Geschichte der Bundesrepublik mitbestimmt hat und damit inzwischen schon selbst ein Teil eben jener Geschichte geworden ist. Vielfach ist das Gedenken und Erinnern, sind die schönen Kränze an Mahnmalen und Reden zu hohlen Ritualen erstarrt, sodass eine grundlegende Erneuerung der gegenwärtigen Erinnerungskultur geboten ist. Diese sei umso notwendiger, als sie in ihrer gegenwärtigen Form eine Integration der zunehmend von Migrationsgeschichten geprägten Stadtbevölkerungen unmöglich mache und sie damit von einem wesentlichen Teil des gesellschaftlichen Diskurses ausschließe.

Leo, selbst fachlich ausgewiesener Historiker, legt eine mit vielen Einfällen und Wendungen brillierende Streitschrift vor, randvoll mit anregenden, oft polemisch garnierten und Auseinandersetzungen und Widerspruch provozierenden Gedanken, die weit eher an den funkelnden Essay französischer Intellektueller denn an eine abgewogene, bedeutungsschwer daherkommende wissenschaftliche Abhandlung aus deutscher Gelehrtenfeder erinnert. Für eine Stadtgesellschaft wie die Frankfurts, die den gesellschaftspolitischen Diskurs gern etwas kräftiger gewürzt genießt, ein lesenswerter Beitrag zu einer notwendigen Debatte.
Per Leo: Tränen ohne Trauer. Nach der Erinnerungskultur, Klett – Cotta 2021, 269 Seiten, 20 Euro (ffm)


Hier gehts zum Teil 2

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