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Letzte Aktualisierung: 24.04.2024

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Frankfurt zum Lesen

Bücherzettel Sommer 2021/Teil1

von Dr. Thomas Scheben

(26.07.2021) Ob Corona-Einschränkungen, Regenwetter oder schlichtweg Lust auf ein paar gemütliche Stunden zum Abschalten: Einen Anlass zum Lesen gibt es immer – und Material dazu in Hülle und Fülle. Auch Frankfurt hat in diesem Sommer seinen Platz zwischen den Buchdeckeln.

Büchercover Bücherzettel Sommer 2021
Foto: Stadt Frankfurt
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Wie fast immer, bieten die Stadt selbst und ihre Geschichte reichlich Themen für wissenschaftliche und unterhaltsame Exkurse in die Vergangenheit und zu Sehenswertem, das nicht nur für Neu-Frankfurter noch Überraschungen bereithält. Und wer sich einfach mal entspannt eine Geschichte erzählen lassen möchte, kommt ebenso auf seine Kosten.

Worin wir wohnen und arbeiten
Das Gesicht weiter Teile Frankfurts wird nach wie vor von Baulichkeiten geprägt, die in den 1980er Jahren hochgezogen oder zumindest nach Ideen dieser Dekade geplant und später realisiert wurden. Sie markiert das Ende einer pessimistischen Phase in den 70ern, in denen viele an der Zukunft Frankfurts gezweifelt hatten und mancher auch daran verzweifelt war. In den 80ern wurde indes wieder mehr in Frankfurt investiert und damit auch gebaut. Neue Stadträume wie das Museumsufer brachten diese veränderte Haltung zur Stadt zum Ausdruck, in den Vierteln begann eine Phase der Stadtreparatur durch eine – oft durch Bürgerproteste erzwungene – behutsame Erneuerung. Die Architektur, in der Breite noch immer geprägt von der Postmoderne, wandte sich zunehmend vom reinen Funktionsbau ab und suchte nach neuen Gestaltungsformen.

Wie schon seine beiden Vorgänger über die 60er und 70er Jahre versammelt auch dieser Band eine Anzahl von Aufsätzen fachlich ausgewiesener Autoren. Deren größter Teil stellt für jedes Jahr ein charakteristisches Einzelbauwerk oder Ensemble vor, darunter Wohngebäude, Funktionsbauten, Museen und Institutionen der öffentlichen Verwaltung. Baumaterialien, Bauweise, Farbgebung, Gestaltungselemente, Stilzitate und die dahinterstehende Bau-Idee sowie die Einbindung in städteplanerische Gesamtkonzepte werden in knappen Texten erläutert – selbst das Hüttendorf der Flughafenausbaugegner findet Erwähnung. Dazu kommen Beiträge zur Innenarchitektur, zur politisch heftig umstrittenen Bodenspekulation und zur Stadtplanung.

Zusätzlich zu den zwar fachlich fundierten, aber immer allgemeinverständlich formulierten Beiträgen enthält der Band eine große Anzahl von Abbildungen. Diese rücken vielfach Details einzelner Bauelemente in den Blickpunkt oder bieten Blicke aus besonderen Perspektiven, so dass man selbst ganz profane Gebäude, an denen man vielleicht jahrelang täglich achtlos vorbeigegangen ist, plötzlich ganz anders oder erstmals überhaupt bewusst wahrnimmt.

Freunde Frankfurts / Wilhelm E. Opatz: Architekturführer Frankfurt 1980-1989, Junius Verlag, 208 Seiten, 44 Euro

Von Widerständlern und Wegsehern
Es war eine Zeit der Extreme, in der sich der Student und talentierte Sprössling einer großbürgerlichen Juristendynastie trotz glänzender Karriereaussichten als kommunistisch orientierter Anführer einer Widerstandsgruppe in Münster der Machtmaschine des Dritten Reiches entgegenstellte. Lange ging das nicht gut, und schon 1935 wird Arnold Münster verhaftet. Es folgen acht Jahre Zuchthaus und Arbeitslager als „Hochverräter“, eine mithilfe trickreich agierender Freunde erwirkte Entlassung in ein Forschungsinstitut der Universität Frankfurt, wo die Familie in früheren Jahren beheimatet war. Hier lernt er seine spätere Frau kennen, eine Ärztin aus ebenfalls bestenfalls vernetzter Kultur- und Wissenschaftsprominenz, die – so der Sohn und Autor – als unpolitische „Wegseherin“ die verbrecherischen Aspekte des Regimes aus ihrer Wahrnehmung ausblendete. Nach dem Krieg muss Münster erleben, wie sich alte NS-Seilschaften in der neuen Republik nicht nur wieder etablieren, sondern den Aufstieg des Widerständlers sogar aktiv zu blockieren suchen.  Dennoch gelangt er zu höchsten akademischen Ehren.

Das Buch ist nicht nur eine Aufarbeitung eines Familienschicksals der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts. Anhand dieser typisch großbürgerlichen Schicksale entsteht ein exemplarisches Mikroporträt dieser Gesellschaftsschicht, besonders ihrem Umgang mit der NS-Diktatur, den Risiken, sich dieser zu widersetzen, und den ausgeklügelten Strategien, die Instrumente von Verfolgung und Unterdrückung auszubremsen. Der Verfasser hat quer über die Republik akribisch in Archiven recherchiert, um den schriftlichen Familiennachlass zu verifizieren und zu ergänzen und den Blickwinkel auf das Umfeld der Hauptpersonen geweitet. Zahlreiche Zitate aus Briefen und amtlichen Schriftstücken geben Einblick in Denkweise und Motivation der handelnden Personen. Der Autor versteht es als erfahrener Journalist, diese sehr plastisch aus dem Text hervortreten zu lassen, was das Buch neben der Erweiterung des Wissens um ein Stück Frankfurter Gesellschaft auch zu einer kurzweiligen Lektüre macht.

Nikolaus Münster: Acht Jahre Haft unter dem Hakenkreuz, Henrich Editionen 2021, 164 Seiten, 16 Euro

Der kleine Urlaub vor der Haustür
Corona hat für viele von uns den Erlebnishorizont auf das Pendeln zwischen Arbeitsplatz und Wohnquartier reduziert. Langsam geht diese Zeit ihrem Ende entgegen, und wenn vielleicht noch nicht ferne Traumziele, so rücken doch die kleinen Fluchten aus der Alltagsumgebung wieder in den Bereich des Möglichen. Und dafür bieten Frankfurt und Umgebung doch so manche Ziele, von denen die meisten auch unter Corona-Bedingungen problemlos zu erreichen sind.

Darunter sind natürlich Klassiker wie der Goetheturm, diverse Parks oder der Ebbelwoi-Express, wie überhaupt das „Stöffsche“ in und um Frankfurt nicht fehlen darf. Überrascht wird man indes zur Kenntnis nehmen, an wie vielen Plätzen man in und um Frankfurt ein paar Stunden Strandurlaub mit mediterranem Flair verbringen, sich sportlich mit Wasserski in Form bringen oder an einer Seelentankstelle spirituell entspannen kann, wie überhaupt Natur und Aktivitäten im Freien einen Schwerpunkt bilden – bis hin zum Strandkorb mit Brauereianschluss.

Jedes Ziel wird mit einem kurzen Text auf einer Seite sowie auf einer weiteren mit einer Illustration vorgestellt. Dazu gibt es Anschriften, Anreisetipps und für manche Aktivitäten noch praktische Hinweise wie Vorschläge für eine Wanderausrüstung oder auch ein typisches Kochrezept. Das Buch führt nicht nur Neu-Frankfurter in unbekanntes Gelände, auch wer schon alles zu kennen glaubt, wird hier schnell eines Besseren belehrt.

Kerstin Platsch & Annika Tzschätzsch: Frankfurt. Unterwegs mit deinen Lieblingsmenschen, Emons Verlag 2021, 240 Seiten, 16 Euro

Vielerlei Aufbrüche
Die Zeit zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 und der Währungsreform 1948 war eine Phase von Entbehrungen und endlosen Anstrengungen selbst für elementare Vorgänge wie die Beschaffung von Lebensmitteln, Kleidung und Wohnraum. Die Geschichte der jungen Christa zeigt aber auch exemplarisch, dass sie – anders als viele heute glauben  – zugleich auch eine Zeit des Aufbruchs war, in der man neue Wege in das Dickicht überkommener Vorstellungen schlagen konnte.

Noch lebten alte Rollenklischees fort. So bricht die junge Frankfurterin enttäuscht ihr Germanistik-Studium ab, weil sie als Frau an der Universität ignoriert und übergangen wird. In der Bergerstraße hilft die Leseratte zunächst ihrem Onkel beim Wiederaufbau des von den Nazis enteigneten Geschäfts, und als der wegen seiner damals noch strafbaren Homosexualität inhaftiert wird, übernimmt sie ihren Lieblingsort ganz.

Neben Christa treten noch eine Anzahl weiterer, für die Nachkriegszeit typische und überzeugend porträtierte Charaktere auf: Die in traditionellen Vorstellungen verhaftete Mutter, das gewitzte Flüchtlingskind, die zwischen trotziger Verdrängung und weinerlicher Rechtfertigung schwankende „Nazisse“, Restaurateure alter Ordnungsvorstellungen, aber immer auch Menschen, die nach einem grundlegenden Neuanfang suchen. Der Buchladen der ebenso klugen wie durchsetzungsfähigen jungen Christa wird bald zu einem Treffpunkt, die Literatur ein Katalysator für diese Diskussionen inmitten der Trümmerlandschaft und den Schicksalen der Nachkriegszeit zwischen Liebe, Selbstfindung, Erfolg und Scheitern. Die erfahrene Autorin historischer Romane und Kennerin Frankfurts hat dieses Zeitbild so temporeich, packend und spannend aufbereitet, dass man das Buch kaum aus der Hand legen möchte.

Ines Thorn: Die Buchhändlerin, Rowohlt - Verlag 2021, 336 Seiten, 16 Euro

Mit dem Virus auf Verbrecherjagd
Kein Sohn hat es gern, wenn sich der Vater in seine Arbeit einmischt. Schon gar nicht, wenn der Sohn Kriminalbeamter ist und der Herr Papa dabei berufliche Erfahrungen als IT-Sicherheitsexperte zum Einsatz bringt, die alles andere als gerichtsfest sind. Es beginnt, wie so oft im Krimi, mit einem knackigen Mord am Betreiber eines Bockenheimer Reisebüros. Da der Mann kurdischer Herkunft ist, schaut die Polizei zunächst in Richtung Politik oder Schutzgeldmafia.

Als Privatermittler Olaf, so der Name des wohlhabenden IT-Rentners, mithilfe seines früheren Netzwerkes in der Branche Ermittlungen aufnimmt, stößt er indes sehr bald auf eine andere Spur, bei der es vordergründig um völlig unbegründete Vorwürfe von Pädophilie geht. Alsbald geraten die „Virus-Cops“ in eine äußerst unappetitliche Filterblase rechtsextremer Propagandisten, die gegen Muslime hetzen. In dieser finden sie auch bald den Mörder. Jetzt aber müssen Beweise her, mit denen der bislang noch ahnungslose Sohn polizeilich tätig werden kann, und es gilt, Hintermänner ausfindig zu machen, um weitere Morde zu verhindern. Dabei entspinnt sich ein Wettlauf, bei dem der Detektiv selbst zum Ziel einer perfiden Fake-Attacke wird und die Rollen von Jägern und Gejagten in rasantem Tempo wechseln.

Was heute alles im Netz geht, wer dort alles wie manipuliert, was man digital anrichten kann – und wie dann doch eine der ältesten Instinkte ihn so handeln lässt wie schon am Höhlenlagerfeuer reagiert wurde, sodass das ganze digitale Spinnennetz zerrissen wird: ein spannender, kenntnisreicher Krimi zu einem hochaktuellen Thema in der deutschen Internet-Hauptstadt.

Robert Maier: Frankfurter Fake News. Ein Virus-Cop Krimi, mainbook Verlag 2021, 210 Seiten, 11 Euro

Vom Auseinanderleben und Zusammenkommen
Die Handlung dieses opulenten Werks ist schnell erzählt: Eine Teilhaberin eines Unternehmens aus der Nähe Frankfurts reist im vorletzten Lebensjahr der DDR zur Leipziger Messe. Sie bandelt dort mit einem Besucherbetreuer an und gerät in die Fänge der Stasi, ihr Kontaktmann landet im Gefängnis. Erst im Jahr darauf, nach dem Mauerfall, können sich beide wieder begegnen und die Fäden entwirren.

Dieser eher lockere Rahmen hält aber die Geschichte zweier Familien zusammen, die in zahlreichen Gesprächen, Rückblenden und Nebenhandlungen die Entwicklung der beiden Deutschlands von der Kaiserzeit bis zum Mauerfall erzählen. Die eine, in Berlin schon früh der Arbeiterbewegung verbunden, erlebt diese aus der Perspektive von politischer Ausgrenzung, Verfolgung und Widerstand, dann der Hoffnung auf die Verwirklichung des Sozialismus und der Enttäuschung über dessen Scheitern. Die andere Familie aus der Sicht des wirtschaftlichen Mittelstandes zwischen Unternehmensgründung, Weltwirtschaftskrise, NS-Verstrickung, mühsamem Wiederaufstieg aus den Trümmern des Zweiten Weltkrieges und der von Irrungen und Wirrungen keineswegs freien bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte.

Den Leser erwartet im Grunde weniger ein Roman als ein exemplarischer, anregender, bisweilen nachdenklich stimmender und mit Gewinn zu lesender Durchgang durch die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts, an dessen Ende ein größeres Verständnis für das historisch bedingte Auseinanderleben und nun wieder notwendige Zusammenwachsen der beiden Deutschlands als eine fortbestehende, aber lösbare Aufgabe steht. Ein gründlicheres Lektorat hätte indes noch einige Ungenauigkeiten ausbügeln können. In jedem Falle aber ist man mit diesem Werk in der Tasche jedem noch so langen sommerlichen Regentag gewachsen.

Klaus Dreessen: Völkerball. Ein historischer Roman, agenda, 554 Seiten, 24,90 Euro

Vera geht auf die Barrikaden
Für ihre dritte Graphic Novel mit Schlaglichtern auf die Frankfurter Geschichte haben sich Zeichner und Autorin dieses Mal die Deutsche Revolution von 1848 mit – wie könnte es in Frankfurt anders sein –-dem Paulskirchenparlament im Mittelpunkt gewählt. Da sich das Buch an jüngere Leseratten wendet, werden die Ereignisse wiederum aus der Perspektive einer jungen Frankfurterin beleuchtet.

Vera ist eine Tochter aus gutbürgerlichem Hause, zeichnerisch talentiert und politisch interessiert. Ihr Tagebuch, das sie mit Zeichnungen anreichert, ist der rote Faden für die Schilderung der Ereignisse. Sie erlebt die revolutionäre Aufbruchsstimmung, beobachtet die Debatten in der Paulskirche und wird in den Barrikadenkämpfen der Septemberunruhen verletzt. So wie das erste deutsche Parlament bald scheitert, so kurz währt Veras Rebellion gegen die Erziehungsideale der konservativen Eltern, die ihr die angebotene Tätigkeit als Zeichnerin bei einer Zeitung untersagen. Während sie Lehrerin wird, um wenigstens ein wenig Selbstständigkeit zu erlangen, wandert ihr Freund, der Student Georg, wie so viele enttäuschte Revolutionäre, in die USA aus.

Die ansprechenden Zeichnungen, die knappen Texte und die Erläuterung wichtiger Begriffe und Personalien am Ende des Buches sowie die Hinweise auf die Ausstellungsstücke des Historischen Museums bieten eine unterhaltsame Einführung in die Materie und regen gleichzeitig zum Weiterlesen an. An Aktualität mangelt es nicht, wird doch das Thema Paulskirche und Demokratiegeschichte in den kommenden Jahren in Frankfurt einen festen Platz auf der städtischen Tagesordnung haben.

Christopher Tauber / Annelie Wagner: Frankfurt, 1848 – Skizzen einer Revolution, Zwerchfell, 56 Seiten, 12 Euro (ffm)


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