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Letzte Aktualisierung: 19.04.2024

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Flüchtlinge: Kreis und Kommunen fordern neue Verteilung

von Adolf Albus

(26.01.2023) In einem Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz und den hessischen Ministerpräsidenten Boris Rhein haben der Main-Taunus-Kreis und seine Kommunen eine Steuerung und Begrenzung des Zuzugs von Flüchtlingen und Reformen bei der Flüchtlingszuweisung gefordert.

Landrat Cyriax, Erste Kreisbeigeordnete Overdick und die Bürgermeister bei einer Pressekonferenz, in der Kreis und Kommunen über die Lage und ihren Appell an Land und Bund informierten.
Foto: MTK
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Wie Landrat Michael Cyriax mitteilt, stelle der Zuzug die kommunale Familie vor zahlreiche Belastungen, die kaum noch zu schultern seien: „Das fängt bei der Unterbringung an und geht bei der sozialen Betreuung, der Integration und beim Kindergarten- oder Schulbesuch weiter“. Die Strukturen mit engagierten Kommunalverwaltungen und ehrenamtlich Engagierten sollten nicht „überfordert“ werden: „Helfen Sie uns, den Menschen zu helfen“, heißt es wörtlich in dem Appell.

In dem gleichlautenden Schreiben an Land und Bund wird die aktuelle Lage im Main-Taunus-Kreis zusammengefasst, verknüpft mit Forderungen des Kreises und der Kommunen an Bund und Land. Unterzeichnet wurde der Appell von Cyriax, Erster Kreisbeigeordneter Madlen Overdick, Kreisbeigeordnetem Johannes Baron, außerdem von Bürgermeisterin Eva Söllner (Liederbach) und sämtlichen Bürgermeistern der kreisangehörigen Kommunen.

Die Inhalte wurden aktuell auch in einem Gespräch von Cyriax und Overdick mit den Bürgermeistern Klaus Schindling (Hattersheim), Dirk Westedt (Hochheim), Dr. Frank Blasch (Bad Soden), Alexander Immisch (Schwalbach) und Albrecht Kündiger (Kelkheim) bekräftigt. „Eine ernstzunehmende Integrationsarbeit ist bei den aktuellen Zuzugszahlen kaum noch möglich“, warnt Overdick. „Das schrumpfende Wohnungsangebot gerät durch den Zuzug noch weiter unter Druck“, erläutert Westedt. Blasch würdigt die Leistung der ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer, „aber wir geraten an unsere Grenzen.“ „Das Land darf uns nicht alleine lassen – sowohl bei der Unterbringung als auch der Integration“, fasst Kündiger zusammen. „Das ist für Schwalbach eine unglaubliche Herausforderung, da wir in Hessen die am drittdichtesten besiedelte Stadt sind“, erläutert Immisch. Es werde ein „politisches Problem auf den Rücken der Kommunen abgewälzt“, so Schindling. Hattersheim jedenfalls werde keine Sporthalle schließen, um Flüchtlinge dort unterzubringen.

Wörtlich heißt es in dem Appell an Scholz und Rhein: „Steuern und begrenzen Sie den Zustrom an Flüchtlingen aktiv! Schauen Sie genau hin, wer unserer Hilfe bedarf und wer nicht! Führen Sie Menschen, die sich unrechtmäßig in der Bundesrepublik aufhalten, auch aktiv zurück, damit wir unsere Ressourcen für die einsetzen können, die wirklich unserer Hilfe bedürfen! Diesen Menschen mit großer Kraft und hohem Einsatz zu helfen, entspricht unserem Selbstverständnis und unserem Wertekompass.“ Bund und Land sollten Gesetze konsequent anwenden und keine weiteren Anreize schaffen, „sich aus wirtschaftlichen Gründen auf den Weg in die Bundesrepublik zu machen.“

Derzeit lebten im Main-Taunus-Kreis etwa so viele Flüchtlinge wie die kleinste Gemeinde Liederbach Einwohner hat, heißt es in dem Schreiben. Der Main-Taunus-Kreis sei der nach der Fläche kleinste Kreis Deutschlands und habe ohnehin die zweithöchste Bevölkerungsdichte. Um in dieser Lage den Flüchtlingszuzug zu bewältigen, seien Finanzhilfen durch Bund und Land „nur ein Teilaspekt“. Nötig sei vor allem eine Neuordnung der Flüchtlingszuweisungen. Der Main-Taunus-Kreis habe als kleinster Landkreis kaum Flächen und Leerstand, um Flüchtlinge unterzubringen. Das Kriterium der Fläche „sollte sich dringend in der Verteilung widerspiegeln“.

Bei immer weiter wachsenden Flüchtlingszahlen, etwa neuerdings wieder durch Mieten von Hotels, seien trotz aller Anstrengungen der Kommunen bei der Unterbringung „die Kapazitäten endlich“. Schon heute fänden viele ansässige Familien schwer adäquaten Wohnraum, diese Lage werde durch den Flüchtlingszustrom noch verschärft.

Aber nicht nur bei der Unterbringung, sondern auch bei der Betreuung, bei den Integrationskursen und in den Schulen kämen die Möglichkeiten trotz aller Bemühungen der Behörden und unzähliger Ehrenamtlichen „an ihre Grenzen“. Um die Lage zu bewältigen müsse in den Verwaltungen Personal eingesetzt werden, das fachlich qualifiziert sein müsse, auf dem Arbeitsmarkt aber nur noch mit erheblichem Aufwand zu finden sei.

 

Hier das Schreiben an die Bundesregierung (ein gleichlautendes Schreiben ging an das Land) im vollen Wortlaut:

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Scholz,

wir, die kommunale Familie des Main-Taunus-Kreises, wenden uns heute wegen der erneut massiv gestiegenen Flüchtlingszahlen an Sie. In Ihrer Funktion als Regierungschef des Bundes richten wir einen dringenden Appell an die Bundesregierung.

Im Main-Taunus-Kreis, dem flächenmäßig kleinsten Landkreis Deutschlands, leben mittlerweile ca. 240.000 Menschen. Dies bedeutet, dass wir nach dem Landkreis Mettmann auch die zweithöchste Bevölkerungsdichte aller deutschen Landkreise haben.

Schon heute leben 8.599 Flüchtlinge in unserem Landkreis – unsere kleinste Gemeinde hat rund 8.700 Einwohner. Dies verdeutlicht, welche Anstrengungen Gemeinden, Städte und der Landkreis unternehmen, um diese Mammutaufgabe seit Jahren zu schultern – ohne Einschränkungen im gesellschaftlichen Leben, beispielsweise durch die Nutzung von Turnhallen, hinnehmen zu müssen. Wir sehen auch die zusätzlichen finanziellen Hilfen durch Bund und Land; diese sind bei der Unterbringung, Versorgung und Integration der Menschen aber nur ein Teilaspekt.

Aktuell mieten wir wieder Hotels und private Unterkünfte an, um die Lage zu bewältigen. Doch machen wir uns nichts vor: Bei immer weiter anwachsenden Fluchtbewegungen sind unsere Kapazitäten endlich. Schon heute finden viele ansässige Familien nur noch sehr schwer adäquaten Wohnraum, diese Lage am Wohnungsmarkt verschärft sich massiv durch die Fluchtbewegungen. Die Verteilung der Flüchtlinge trägt ihren Teil zur Verschärfung der Situation bei. Diese erfolgt nach Einwohnerzahl und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit des Landkreises. Als kleinster Landkreis – mit der zweithöchsten Bevölkerungsdichte Deutschlands und zudem in einer prosperierenden Region liegend – erhalten wir relativ hohe Zuweisungen. Wir haben jedoch kaum Flächen beziehungsweise Leerstand, welche wir für die Unterbringung heranziehen könnten. Das Kriterium der Fläche sollte sich dringend in der Verteilung widerspiegeln.

Doch mit der Unterbringung fängt die Arbeit erst an. Wir, d.h. staatliche Einrichtungen auf kommunaler Ebene und unzählige ehrenamtlich Tätige vor Ort, stellen Betreuung, Schulplätze und Integrationskurse zur Verfügung, aber auch hier kommen die Möglichkeiten an ihre Grenzen. Mittlerweile haben wir alleine 2.597 Minderjährige bei uns aufgenommen. Im Hinblick auf die Aufnahme von Geflüchteten müssen wir in unseren Ämtern Personal einsetzen, das entsprechend fachlich qualifiziert sein muss. Es gelingt häufig nur noch mit erheblichem Aufwand, dieses auf dem Arbeitsmarkt zu finden. Der Fachkräftemangel schränkt unsere Fähigkeiten dabei zunehmend ein.

Daher der eindringliche Appell: Steuern und begrenzen Sie den Zustrom an Flüchtlingen aktiv! Schauen Sie genau hin, wer unserer Hilfe bedarf und wer nicht! Führen Sie Menschen, die sich unrechtmäßig in der Bundesrepublik aufhalten, auch aktiv zurück, damit wir unsere Ressourcen für die einsetzen können, die wirklich unserer Hilfe bedürfen! Diesen Menschen mit großer Kraft und hohem Einsatz zu helfen, entspricht unserem Selbstverständnis und unserem Wertekompass.

Helfen Sie uns durch konsequente Anwendung von Gesetzen, um der aktuellen Lage gerecht zu werden und setzen Sie keine weiteren Anreize, sich aus wirtschaftlichen Gründen auf den Weg in die Bundesrepublik zu machen.

Seit Jahren helfen wir vielen Menschen, hier in Sicherheit zu leben. Dies schaffen wir durch den unglaublichen Zusammenhalt der kommunalen Familie und der vielen Helfer vor Ort.

Bitte überfordern Sie diese Strukturen nicht.

Helfen Sie uns, den Menschen zu helfen.