Archiv-Kultur

Faustischer Pakt

Die mörderische Allianz zwischen Hitler und Stalin

Wenngleich der Hitler-Stalin-Pakt, der am 23. August 1939 in Moskau unterzeichnet wurde, zu den wichtigsten Ereignissen der europäischen Zeitgeschichte gehört, ist die Dimension der Zusammenarbeit beider Diktatoren von 1939 bis 1941 lange Zeit unterschätzt worden. Der »Eiserne Vorhang« des Kalten Krieges trennte die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg in Ost- und Westeuropa und ließ in den Hintergrund treten, dass die ersten zwei Kriegsjahre vom Bündnis der beiden totalitären Regime geprägt worden sind.
2019-08-05_Faustischer_Pak_1_(c)Verlag_C._H._Beck.jpg

Foto: Verlag C. H. Beck

In Ihrem Buch »Der Pakt« unterzieht Claudia Weber, Professorin für europäische Zeitgeschichte an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder), diese »mörderische Allianz« einer kritischen Neubewertung. Beleuchtet werden dabei neben der Entstehungsgeschichte des Paktes und seiner Bedeutung für die europäische Kriegsgeschichte auch die Gewaltpraxis im deutsch-sowjetisch besetzten Polen und deren Auswirkungen auf die Bevölkerung der okkupierten Länder.

Der Hitler-Stalin-Pakt vom 23. August 1939, unterzeichnet von den beiden Außenministern Joachim von Ribbentrop und Wjatscheslaw Molotow, firmiert in den Geschichtsbüchern vornehmlich als ein Nichtangriffsvertrag, der beiden Vertragspartnern die Besetzung und spätere Teilung Polens ermöglichte. Viel weittragender war jedoch der einen Monat später geschlossene »Grenz- und Freundschaftsvertrag«, in dem beide Mächte ihre Interessensphären in Mittelosteuropa absteckten. In diesem Papier wurde das Baltikum – einschließlich Finnlands – definitiv der Sowjetunion zugeschlagen, wurde Litauen, ursprünglich der deutschen Sphäre zugeordnet, gegen Warschau und Mittelpolen getauscht.

Für beide Diktatoren war der Pakt eine klassische Win-win-Situation. Für Hitler bedeutete der Pakt ein Freifahrschein für den längst geplanten Überfall auf Polen, da er sich Stalins Neutralität sicher war. Für den ›roten Zaren‹ im Kreml brachte der politische Kuhhandel einen immensen territorialen Zugewinn: Insgesamt fielen der Sowjetunion während der Geltungszeit des Paktes dauerhaft nicht weniger als 422 000 Quadratkilometer zu. Der Pakt, umreißt Weber dessen welthistorische Bedeutung, »hatte den Grundstein für das sowjetische Imperium nach dem Zweiten Weltkrieg gelegt«. Und was Polen betrifft brauchte Stalin nur zuzuwarten, bis die Wehrmacht Polen niedergerungen hatte, um sich dann mit dem Einmarsch in Ostpolen am 17. September seinen Teil der Beute einzuverleiben.

Diese territorialen Umwälzungen verdeutlichen Weber zufolge, dass der Hitler-Stalin-Pakt mehr war als nur das politische Zweckbündnis, das Hitlers Übergriff auf Polen erlaubte und den zwangsläufigen Krieg für Stalin hinauszögerte. Vielmehr eröffneten die Gebietszugewinne beiden Machthabern auch ein Handlungsfeld für ihre Politik der ethnischen Säuberung, deren Dimension seit Timothy Snyders bahnbrechendem Werk „Bloodlands. Europa zwischen Hitler und Stalin“, München 2011, bekannt ist.

Anhand bislang unausgewerteter Quellen erschließt Weber mit viel wissenschaftlichem Spürsinn Art und Ausmaß der mörderischen Zusammenarbeit innerhalb der 22 Monate zwischen dem deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 bis zum deutschen Angriff auf die Sowjetunion im Juni 1941. Anschaulich zeichnet sie nach, wie Wehrmacht und Rote Armee gemeinsame Sache machten und wie die unheilvolle Allianz der deutsch-sowjetischen Waffenbrüderschaft allen ideologischen Gegensätzen und politischen Unterschieden zum Trotz en detail funktionierte.

Weber: »Das nationalsozialistische und das stalinistische Regime [in den besetzten Gebieten] gingen eine Verbindung ein, deren Gewalt […] auf einem gemeinsamen radikalen Ordnungs- und Vernichtungswillen basierte, der bis zum Juni 1941 […] ein erstaunlich unbekanntes, erschreckendes Miteinander hervorbrachte«. Neben vieler anderer Verbrechen hinterfragt die Autorin die Deportation der über 300.000 polnischen Staatsbürger durch den NKWD, die Liquidierung Tausender polnischer Offiziere durch die Rote Armee und die Umsiedlung der so genannten Volksdeutschen, laut Weber »eine der weitreichendsten Aktionen, die Deutsche und Sowjets zur Zeit des Hitler-Stalin-Pakts durchführten«.

Wer Webers minutiös recherchiertes Buch gelesen hat, versteht, warum der Hitler-Stalin-Pakt eben nicht nur ein bloßes Vorspiel für den Zweiten Weltkrieg war, sondern auch ein political agreement, das beiden Diktatoren ein gemeinsames Handlungsfeld eröffnete, um die politische Landkarte Mittelosteuropas gewaltsam umzupflügen. Weber methodischer Ansatz, die herkömmlichen Sichtachsen auf die Geschichte des Hitler-Stalin-Pakts mittels einer europäischen Verflechtungsgeschichte neu auszurichten, erweist sich als ungemein fruchtbar, um den faustischen Pakt in seiner ganzen Dimension zu erfassen. Mitunter gelangt sie dabei – gerade auch mit Blick auf die Gegenwart – zu interessanten Erkenntnissen, nämlich dass die westlichen Demokratien schon damals bereit waren, mit Diktatoren zu dealen.

(Claudia Weber: Der Pakt. Stalin, Hitler und die Geschichte einer mörderischen Allianz. Verlag C. H. Beck, München 2019. 276 S. m. 21 Abb., 26,95 €, ISBN 978 3 406 73531 8).