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Letzte Aktualisierung: 25.04.2024

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Erst Retter in der Not, jetzt sind die Zahlen rot

Pandemie macht Unikliniken auch finanziell schwer zu schaffen

von Prof. Dr. Michael Dröscher

(19.10.2021) Die Pandemie habe den deutschen Unikliniken hohe Mehrausgaben aufgebürdet, sagt Professor Jürgen Floege. Fast alle seien nun defizitär und dringend auf die Hilfe der Politik angewiesen. Floege, Mitglied der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Ärzte e. V. (GDNÄ), leitet die Universitätsklinik für Nieren- und Hochdruckkrankheiten in Aachen, engagiert sich für mehr Forschung auf seinem Gebiet und blickt gern über die Tellerrand hinaus.

Derzeit betreut das Universitätsklinikum Aachen rund ein Dutzend Covid-19-Patienten, einige davon jung und ohne Vorerkrankungen. „Es handelt sich zu hundert Prozent um Ungeimpfte“, sagt Professor Jürgen Floege, Direktor der dortigen Klinik für Nieren- und Hochdruckkrankheiten, Rheumatologische und Immunologische Erkrankungen. Sein Plädoyer im Interview für GDNÄ-Online: „Gegen diese Krankheit hilft kein noch so starkes Immunsystem, den besten Schutz bietet die Impfung.“

Die allermeisten der mehr als achttausend Beschäftigten des Klinikums der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) seien inzwischen zweifach geimpft, viele sogar dreifach. „Zwangsmaßnahmen gibt es bei uns nicht, wir appellieren aber an Vernunft und Rücksichtnahme. Damit sind wir bis jetzt gut gefahren“, berichtet der renommierte Nierenspezialist.

Große Sorgen machen sich die Aachener Universitätsmediziner angesichts eines wachsenden Schuldenbergs. Schon vor der Pandemie seien drei Viertel der deutschen Universitätskliniken defizitär gewesen, nun steckten fast alle tief in den roten Zahlen, sagt Jürgen Floege. „Die Pandemie hat uns hohe Mehrausgaben aufgebürdet, die durch das bestehende Vergütungssystem nicht ausgeglichen werden.“ Nun sei man dringend auf Zuschläge angewiesen, die die Politik aber bisher verweigere. In vielen Häusern gebe es einen Investitionsstau der Sonderklasse, berichtet Floege: „Wichtige Projekte müssen jetzt warten.“

Dabei ist der Bedarf an medizinischen Fortschritten unvermindert groß, gerade auch auf dem Gebiet der Nierenheilkunde, fachsprachlich: Nephrologie. An Nierenschäden leiden in Deutschland sehr viele: Bei rund vier Millionen Menschen liegt die Nierenfunktion unter 30 Prozent ihrer Kapazität und bei einer halben Million ist die Nierentätigkeit auf 15 Prozent oder weniger abgesunken. Geht die Funktion auf rund fünf Prozent zurück, sind die Betroffenen häufig auf eine Dialyse als Nierenersatztherapie angewiesen.

Dennoch laufen in der Nephrologie aktuell die wenigsten klinischen Studien. Das habe mit der enormen Komplexität von Nierenkrankheiten zu tun, sagt Jürgen Floege: „Die wenigsten Patienten haben nur Nierenprobleme, die meisten leiden zusätzlich an Krankheiten des Herz-Kreislauf-Systems, der Lunge oder des Magen-Darm-Trakts, um nur einige Diagnosen zu nennen.“ Insgesamt seien Nierenkrankheiten schwer in den Griff zu bekommen und schwer zu beforschen.

Trotz aller Hürden laufen an der Aachener Nierenklinik zahlreiche Studien. Dabei geht es beispielsweise um die Zusammenhänge zwischen Herz und Nieren und um neue Therapieansätze für Covid-19-Patienten. Mit seiner eigenen Arbeitsgruppe will Jürgen Floege herausfinden, ob hochdosierte Gaben des Gerinnungsvitamins K2 Dialysepatienten helfen können.

Der Aachener Mediziner schaut gern über den Tellerrand seiner Disziplin hinaus und interessiert sich für andere Bereiche der Naturwissenschaften. „Diesem Bedürfnis kommt die GDNÄ mit ihrer Fächervielfalt entgegen und deshalb engagiere ich mich als Gruppenvorsitzender Medizin.“

Zur Person

Seit 1999 leitet Professor Dr. med. Jürgen Floege die Medizinische Klinik II der Universitätsklinik RWTH Aachen (Klinik für Nieren- und Hochdruckkrankheiten, Rheumatologische und Immunologische Erkrankungen). Er studierte er an der Medizinischen Hochschule Hannover und am Albert Einstein College of Medicine in New York. In Hannover schloss er seine Facharztausbildung ab, habilitierte sich und trat 1995 eine Stelle als Oberarzt an. In den 1990er-Jahren arbeitete er zusätzlich drei Jahre als Gastwissenschaftler an der University of Washington in Seattle.

Zu seinen wissenschaftlichen Schwerpunkten, zu denen er mehr als 600 Originalartikel, Reviews, Editorials und Buchkapitel publiziert hat, gehören Nierenerkrankungen und ihre zentrale Bedeutung für die Innere Medizin, etwa bei der Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Professor Floege ist Herausgeber des internationalen Bestseller-Lehrbuchs „Comprehensive Clinical Nephrology” und Mitherausgeber der führenden nephrologischen Fachzeitschrift „Kidney International“. Für seine Forschung erhielt der Aachender Nephrologe zahlreiche Ehrungen, darunter im Jahr 2020 die höchste Auszeichnung der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN), die Franz-Volhard-Medaille.

Neben seiner Kliniktätigkeit engagiert sich Floege in renommierten Gesellschaften, Gremien und Organisationen. Er ist Gründungsmitglied und Past-Präsident der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN), Past-Präsident der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) und im Leitungsgremium von KDIGO – einer Organisation, die weltweit gültige Leitlinien der Nephrologie erstellt. Der GDNÄ gehört Jürgen Floege seit 2019 an; er hat die Aufgabe des Gruppenvorsitzenden Medizin übernommen.

Über die GDNÄ

Die Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte e. V. (GDNÄ) ist die einzige wissenschaftliche Gesellschaft in Deutschland, die über die naturwissenschaftlichen, technischen und medizinischen Fachdisziplinen hinweg allen Interessierten für eine Mitgliedschaft offensteht, auch Schülern, Studenten und naturwissenschaftlichen Laien. Insofern ergänzt und bereichert die GDNÄ die von Akademien und Fachgesellschaften geprägte Landschaft wissenschaftlicher Gesellschaften in Deutschland.

Die GDNÄ pflegt den wissenschaftlichen Austausch über Fachgrenzen hinweg, fördert mit speziellen Programmen für Schüler, Lehrkräfte und Studierende die Wissenschaftsbildung und engagiert sich im Dialog mit der Gesellschaft – mit öffentlichen Vorträgen und Diskussionen sowie über ihre Website. (idw)