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Letzte Aktualisierung: 16.04.2024

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Eine fast vergessene Pionierleistung

Entdeckung der Schilddrüsenhomöostase vor 85 Jahren

von Prof. Helmut Schatz

(17.01.2022) Der Mechanismus, der die Tätigkeit der Hypophyse und der Schilddrüse miteinander verbindet, zählt heute zu den klassischen endokrinen Regelkreisen. Seine Kenntnis ist Voraussetzung für jegliche moderne Diagnostik der Schilddrüsenfunktion und auch vielfach für die Therapieplanung. Im abgelaufenen Jahr jährte sich seine Erstbeschreibung zum 85. Mal durch Karl Fellinger im Jahr 1936.

Zu Ehren von Karl Fellinger hat die Österrreichische Post eine Briefmarke mit seinem Konferfei herausgegeben.
Foto: Österreichische Post
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Als der Wiener Internist Karl Fellinger ( *1904 in Linz,  +2000 in Wien)  mit den Forschungen seiner Habilitationsarbeit begann, war bereits bekannt, dass der Hypophysenvorderlappen ein Hormon produziert, das die Tätigkeit der Schilddrüse anregt [Aron 1929, Loeb und Bassett 1929, Crew 1930]. Dieses Hormon sollte den Namen Thyreotropin oder thyreoideastimulierendes Hormon (TSH) erhalten. Unbekannt war jedoch, wie die TSH-Produktion gesteuert wird, insbesondere, ob es eine negative Rückkoppelung von Schilddrüsenhormonen auf die TSH-Sekretion gibt.

Eine solcher Feedback-Mechanismus war kurz zuvor von Walter Hohlweg und Max Dohrn für die Beziehung zwischen Hypophyse und Keimdrüsen beschrieben worden [Hohlweg und Dohrn 1932]. Im gleichen Jahr publizierte Hohlweg auch, zusammen mit Karl Junkmann,  über die humoralen Interaktionen des Hypopthalamus mit der Hypophyse.

Mit der heute verfügbaren Methodik wäre die Frage nach den Wechselwirkungen von Schilddrüse und Hypophyse Ypophyse sehr einfach zu beantworten gewesen. Zur damaligen Zeit, als insbesondere noch keine Labor-Assays zur Bestimmung der TSH-Konzentration verfügbar waren, warf sie jedoch enorme Schwierigkeiten auf. Zur Überprüfung der Hypothese entwickelte Fellinger einen Bio-Assay, in dem er die Konzentration des Thyreotropins an seiner Wirkung auf die Schilddrüse beurteilte.

Er verwendete dazu tierexperimentell einen Ansatz mit Meerschweinchen, denen er Extrakte aus dem Blut von Menschen mit Euthyreose, Hypothyreose und Hyperthyreose sowie von Hunden vor und nach Thyreoidektomie injizierte. In der anschließenden histologischen Aufarbeitung der Meerschweinchenschilddrüsen ließ sich an der Struktur der Follikelepithelien feststellen, ob und wie stark die Schilddrüse stimuliert wurde. Die schwächste Stimulation fand er im Meerschweinchen gerade nachdem sie mit Seren von Menschen mit der stärksten Schilddrüsenüberfunktion behandelt wurden. Am ausgeprägtesten war sie dagegen mit dem Extrakt von Menschen mit Hypothyreose und von thyreoidektomierten Hunden.

Dies bewies allerdings noch keine Rückkoppelung über die Hypophyse, da es sich auch um einen direkten Effekt der Schilddrüsenhormone hätte handeln können. Fellinger entwickelte daher ein Verfahren, um Schilddrüsenhormone aus dem humanen Serum mit Aceton auszufällen und fand die gleichen Ergebnisse. Genau umgekehrte Beobachtungen machte er bei sekundären Hyperthyreosen auf dem Boden von (offensichtlich TSH-produzierenden) Hypophysenadenomen, wo die Stimulation nach Injektion des Serums von Erkrankten am stärksten war.

Fellinger hatte damit bewiesen, dass es eine negative Rückkoppelung von Schilddrüsenhormonen zur Hypophyse gibt oder, wie er selbst schrieb: „Eine Erklärung für dieses Verhalten des thyreotropen Hormons im Blute wäre am besten in der Annahme zu finden, daß eine starke Rückwirkung der Schilddrüse auf die Hypophyse stattfindet. Eine Erhöhung des Spiegels des Thyreoideahormones im Blute scheint die Produktion oder Ausschwemmung des thyreotropen Hormons herabzusetzen und umgekehrt.“

Die Entdeckung des Hypophysen-Schilddrüsen-Regelkreises wird heute den US-amerikanischen Ärzten Edwin B. Astwood und Roy G. Hoskins zugeschrieben, die um 1940 ähnliche Beobachtungen an Kaninchen und auch am Menschen nach der Einführung der ersten Thyreostatika machten. Tatsächlich reicht die Aufklärung des Mechanismus der Schilddrüsenhomöostase aber einige Jahre früher zurück.

Dass Fellingers Primat so wenig bekannt ist, mag auch an seiner politischen Geschichte liegen. Als gläubiger Katholik stand er dem zunehmenden Einfluss des Nationalsozialismus im Österreich der 1930er Jahre kritisch gegenüber. Nach dem „Anschluss“ Österreichs im Jahre 1938 geriet er unter Beobachtung, verlor die Lehrbefugnis, musste bald seinen Posten als Abteilungsleiter verlassen und wurde zum Militärdienst eingezogen. Darunter musste auch die Verbreitung seiner Forschungsergebnisse leiden.

Glücklicherweise überlebte er die schwierige Zeit und den zweiten Weltkrieg und wurde in der Nachkriegszeit zunächst als Leiter der medizinischen Abteilung der Allgemeinen Poliklinik Wien und 1946 als Ordinarius an die II. Medizinische Universitätsklinik Wien bestellt, der er bis 1975 vorstand. Er starb am 8. November 2000 hochgeehrt im Alter von 96 Jahren als „Doyen“ der klinischen Medizin Österreichs.

(Medizinische Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie)