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Letzte Aktualisierung: 25.04.2024

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Eine Biographie so spannend wie ein Krimi

Karl V. – Macht und Ohnmacht eines tragischen Herrschers

von Dr. Theodor Kissel

(12.01.2021) Historische Jubiläen sind das Salz in der Suppe unserer Erinnerungskultur. Im Oktober vergangenen Jahres jährte sich Kaiserkrönung Karls V. (1500-1558) zum 500. Mal. Kein Fürst vor und nach ihm sollte mehr Titel auf sich vereinen als dieser Habsburgerherrscher, der als König von Spanien, Herzog von Burgund, Erzherzog von Österreich (bis 1522) und Kaiser des Heiligen Römischen Reichs (1519-1556) über ein weltumspannendes Imperium gebot, in dem die Sonne niemals unterging.

Foto: WBG Theiss
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Der britische Historiker Geoffrey Parker, ein ausgewiesener Kenner der Geschichte der frühen Neuzeit, zeichnet in seinem opulenten Buch ein feinkonturiertes Porträt eines Universalherrschers, dessen Tragik darin bestand, über ein Reich zu herrschen, das zu formen ihm nicht vergönnt war.

Gestützt auf ein umfangreiches Aktenstudium in zahlreichen Archiven versucht Parker aus zum Teil noch unveröffentlichtem Quellenmaterial Karls Handeln aus dessen Persönlichkeit heraus zu ergründen. Der Autor schildert den Kaiser als verschlossenen, tief im katholischen Glauben verwurzelten und von hohen christlichen Moralvorstellungen geleiteten Monarchen. Seine kirchentreue Lebensführung als Ehemann, die ritterliche Behandlung seiner Gegner (freies Geleit Luthers nach dem Reichstag von Worms 1521) und das Verbot, Indios in den amerikanischen Kolonien zu versklaven, waren Ausdruck dieser wertebasierten Haltung, so Schilling.

Gleichzeitig nimmt der Autor die Zeitumstände in den Blick, die Leben und Wirken dieses Global Players maßgeblich prägten. Mit großer erzählerischer Kraft und analytischem Sachverstand wird Karls Sozialisation im kulturell reichen Burgund am Hof seiner Tante Margarete von Österreich in Brüssel ebenso tiefgründig ausgeleuchtet wie die Auswirkungen bahnbrechender Erfindungen (Buchdruck), theologischer Umwälzungen (Reformation) und außereuropäischer Entdeckungen.

Karl V. war, wie Parker minuziös aufdröselt, mit vielen Problemen gleichzeitig konfrontiert: Den aufreibenden politischen Auseinandersetzungen im Reich und in den iberischen Königreichen Kastilien und Aragon, dem wieder aufflammenden Konflikt mit dem Papst um eine weltliche beziehungsweise geistliche Zentralgewalt, der Bedrohung der Christenheit durch die immer weiter expandierenden Osmanen, dem Dauerkonflikt mit Frankreich um die europäische Vorherrschaft und der konfessionellen Auseinandersetzung mit der Reformation.

Verschärft wurden all diese Konflikte durch Karls ideologisch-politische Herrschaftskonzeption der »monarchia universalis«, die sich mit der Vorstellung eines Abendlands katholischer Prägung unter Karls Führung verband. Parker legt überzeugend dar, dass dieser Anspruch den politischen Ordnungsvorstellungen der Zeit widersprach. Weder die übrigen gekrönten Häupter Europas noch die ständischen Partikulargewalten im Heiligen Römischen Reich seien gewillt gewesen, sich einem Universalherrscher bedingungslos unterzuordnen. Statt sein Reich zu befrieden, so Parker, versetzte Karl es am Ende in Aufruhr, indem er mit seinem unbedingten Absolutheitsanspruch dazu beitrug, dass sich die ständische und konfessionelle Opposition im Reich solidarisierten und die Interessen äußerer Gegner konvergierten (etwa in Form der »unheiligen Allianz« zwischen Franz I. und Süleyman).

Hinzu kam, dass dem Kaiser eine kohärente Strategie fehlte; dass er gleich an mehreren Fronten parallel kämpfen musste; und dass die Bruchlinien zwischen den verschiedenen Teilen der habsburgischen Besitzungen, die mangels eines einheitlichen Machtapparats zutage traten, zu einer Überdehnung der Kräfte führten.

Parker hat eine erfrischend lebendige, tiefgründige und lesenswerte Darstellung über Karl V. vorgelegt, der als eine heroische und zugleich tragische Herrschergestalt in die Geschichte einging. Als Wahrer der christlichen Einheit und des Friedens angetreten, musste Karl schließlich einsehen, dass er mit seinem Konzept einer Universalmonarchie und einer modernisierten, aber geeinten Kirche gescheitert war. Und zwar sowohl gegenüber den Reichsfürsten, die sich keinen Zentralstaat aufzwingen lassen wollten, als auch gegenüber der Reformation, die die Einheit der Kirche zerstörte. Das gilt ebenso für die Außenpolitik des Habsburgerherrschers – gegenüber Frankreich, das auch weiterhin gegen Karls Universalanspruch aufbegehrte, und nicht zuletzt gegenüber den Osmanen, deren Expansionsdrang sich nicht eindämmen ließ.

Parker ist mit seiner umfangreichen Biographie über Karl V. ein großer Wurf gelungen. Stilistische Brillanz und historischer Scharfsinn prägen seine Ausführungen, die dem Leser einen neuen Blick auf den Habsburgerherrscher vermitteln, der vor den Fliehkräften der Zeit kapitulieren musste und der – paradoxer Weise – als der mächtigste und zugleich ohnmächtigste Herrscher seiner Zeit in die Geschichte einging.

(Geoffrey Parker: Der Kaiser. Die vielen Gesichter Karls V., WBG Theiss, Darmstadt 2020, 912 S., 50 €. ISBN 978-3-8062-4008-5)