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Letzte Aktualisierung: 28.03.2024

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Durchbruch in der Alzheimer-Therapie

Lecanemab verlangsamt das Fortschreiten der Krankheit

von Dr. Bettina Albers

(02.12.2022) Offensichtlich konnte in der Alzheimer-Therapie ein Durchbruch mit Lecanemab erzielt werden. Der Antikörper richtet sich gegen sogenannte Protofibrillen, ein toxisches Zwischenprodukt von Amyloid-Fibrillen, hat also einen spezifischeren Ansatzpunkt als die bisherigen Antikörper, die enttäuschten. Die neuen Studiendaten sind überzeugend und konsistent, die Publikation lässt auch nicht auf Sicherheitssignale schließen, schreibt dazu die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. Allerdings gibt es Medienberichte über zwei Todesfälle in der Open-Label-Extensionsphase der Studie, denen nachgegangen wird.

Auf dem Alzheimer-Kongress in San Francisco wurde vor wenigen Stunden eine Phase-3-Studie vorgestellt, die einen Meilenstein für die Behandlung der Alzheimer-Erkrankung darstellen könnte. An Demenz leiden weltweit 50 Millionen Menschen; in Deutschland sind es 1,6 Millionen – im Jahr 2050 könnten es bereits 2,8 Millionen sein  – und ein Großteil der Demenzen ist auf die Alzheimer-Erkrankung zurückzuführen.

Bisher hatten Studien zu Antikörpern enttäuscht – der erhoffte Effekt im Hinblick auf die Verlangsamung des kognitiven und funktionellen Abbaus konnte nicht nachgewiesen werden. Die bisher getesteten Antikörper (Aducanumab und Gantenerumab) richteten sich gegen aggregiertes Amyloid. Es handelt sich dabei um ein Eiweiß-Molekül, das sich im Gehirn ansammelt, sich dort zwischen den Nervenzellen wie ein Belag absetzt – man spricht daher auch von Alzheimer-Plaques – und die Nervenzellen schädigt. Diese Amyloid-Ablagerungen sind typisch für Alzheimer und waren daher Target der zuvor getesteten Antikörper, die nicht überzeugten.

Nun konnte offensichtlich ein Durchbruch mit einem anderen Antikörper, Lecanemab, erzielt werden, der sich gegen sogenannte Protofibrillen richtet. Es handelt sich dabei um toxische Zwischenprodukte von Amyloid-Fibrillen, winzigen Bestandteilen der Amyloid-Zellen. „Möglicherweise haben wir nun einen Angriffspunkt gefunden, der einen Unterschied im klinischen Verlauf macht“, erklärt Prof. Dr. med. Jörg B. Schulz, Aachen, Sprecher der Kommission Demenz der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN).

In der vorgestern Nacht präsentierten Studie wurden 1.795 Teilnehmer mit einer Alzheimer-Erkrankung in den Frühstadien randomisiert, 898 erhielten Lecanemab (10 mg pro kg Körpergewicht i.v. alle zwei Wochen), 897 ein Placebo. Nach 18 Monaten wurde der Effekt auf den sogenannten CDR-SB-Score (Clinical Dementia Rating–Sum of Boxes) erhoben. Es handelt sich um einen etablierten Score zur Einschätzung der Schwere der Demenz, der Faktoren wie Gedächtnis, Orientierung, Urteils- und Problemlösungsvermögen, Geschäftsfähigkeit, häusliches Leben und Hobbies sowie die Fähigkeit, sich selbst zu versorgen, einbezieht. Bei Studieneinschluss lag der mittlere CDR-SB-Score bei etwa 3,2 in beiden Gruppen. Der Unterschied zwischen den Gruppen war nach 1,5 Jahren beträchtlich: Der Score hatte sich um 1,21 in der Verumgruppe und um 1,66 in der Placebogruppe verändert (p<0,001).

„Die Effekte der Behandlung mit Lecanemab waren in allen untersuchten primären und sekundären Endpunkten signifikant positiv. Gemessen mit der CDR-SB wurde die Erkrankungsprogression um 27 Prozent verlangsamt, bei den Aktivitäten des täglichen Lebens machte der Unterschied 37 Prozent aus. Die Unterschiede zwischen den mit Lecanemab und Placebo behandelten Patienten waren bereits nach sechs Monaten signifikant und nahmen mit weiterer Behandlungsdauer zu. Die PET-Amyloid Last wurde sehr deutlich und signifikant reduziert“, erklärt der Alzheimer-Experte. „Die Daten sind überzeugend und konsistent, so dass wir nun auf eine schnelle Zulassung hoffen, wenn die Zulassungsbehörden das Medikament als sicher einstufen.“

Im Hinblick auf mögliche schwere Nebenwirkungen gab es in der Studie keine Überraschungen. Wie bei der Therapie mit gegen Amyloid gerichteten Antikörpern traten zwar auch unter Behandlung mit Lecanemab Nebenwirkungen auf, darunter Ödeme und Mikrohämorrhagien („Amyloid-related imaging abnormality“/ARIA). Diese blieben allerdings meist klinisch stumm. So lag die ARIA-H-Rate (ARIA-H: Zerebrale Mikroblutungen und oberflächliche Siderose) bei 17,0 Prozent in der Lecanemab-Gruppe und bei 8,7 Prozent in der Placebogruppe, das Auftreten von symptomatischen ARIA-H lag hingegen nur bei 0,7 Prozent in der Lecanemab-Gruppe und bei 0,2 Prozent in der Placebogruppe. „In der Studie sind keine Sicherheitssignale zu erkennen, das Nutzen-Risiko-Profil lässt sich aus diesen Daten als positiv bewerten“, schlussfolgert Prof. Schulz.

Allerdings gibt es in den USA Berichte über zwei Todesfälle, die nach der eigentlichen Studie in der Open-Label Extensionsphase auftraten. Eine Frau starb infolge einer Hirnblutung nach rtPA -Therapie bei Verschluss der Arteria cerebri media, ein weiterer Patient entwickelte eine Gehirnblutung unter Antikoagulation und im Anschluss einen tödlichen Herzinfarkt. „Diesen Berichten muss nun nachgegangen werden, auch muss untersucht werden, ob die Alzheimer-Medikation das Risiko für solche Ereignisse erhöhen könnte. Die Zulassungsbehörden arbeiten hier sehr sorgfältig. Werden diese Zweifel an der Sicherheit ausgeräumt, hätten wir endlich ein wirksames Medikament gegen Alzheimer.“

Wichtig sei allerdings, dass der Antikörper nur in den Frühphasen der Alzheimer-Erkrankung mit nur milden kognitiven Einschränkungen erfolgreich ist. Lecanemab verlangsamt das Fortschreiten der Erkrankung, mache sie nicht rückgängig, Patientinnen und Patienten mit ausgeprägtem Krankheitsbild und schwerer Demenz profitieren also nicht von der Therapie. www.dgn.org (idw)