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Letzte Aktualisierung: 25.04.2024

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Die Zahl der demenzkranken Menschen steigt

Ein Drittel aller Alzheimer-Erkrankungen sind vermeidbar

von Dr. Bettina Albers

(26.09.2022) Die Zahl demenzkranker Menschen wird weltweit und auch in Deutschland weiter dramatisch zunehmen – wenn nicht gegengesteuert wird. Dass dies prinzipiell möglich ist, zeigte erneut eine Studie aus den USA, die errechnete, wie viele Demenzfälle sich verhindern ließen, wenn die bekannten modifizierbaren Risikofaktoren konsequent minimiert würden.

Dafür muss jedoch, ebenso wie für die Belange der Erkrankten, dringend das Bewusstsein in der Bevölkerung geschaffen werden – der Welt-Alzheimertag am 21. September sollte hier einen wichtigen Beitrag leisten. Die Deutsche Hirnstiftung hatte dazu zu einer Online-Veranstaltung für Interessierte und Betroffene eingeladen.

Aktuell leben in Deutschland ca. 1,6 Millionen Menschen mit Demenz. Diese Zahl wird durch den demografischen Wandel kontinuierlich weiter ansteigen, auf schätzungsweise 2,8 Millionen im Jahr 2050, was eine enorme gesundheitspolitische und gesamtgesellschaftliche Herausforderung darstellt. Vor diesem Hintergrund bekommt die mögliche Prävention von Demenzen eine ganz neue Bedeutung, zumal mehr als jede dritte Erkrankung vermeidbar wäre.

In epidemiologischen Studien wurden verschiedene Demenz-Risikofaktoren identifiziert; sie werden in unbeeinflussbare und modifizierbare Faktoren eingeteilt. Während sich die Genetik nicht verändern lässt, so können viele andere – insbesondere Lebensstilfaktoren – aktiv von jedem einzelnen verbessert werden. Andere Bereiche (wie z. B. der Bildungssektor) erfordern zusätzlich früh angreifende politische Strategien. Eine Studie zeigte jüngst, dass es sogar sinnvoll sein könnte, nach Analyse der jeweiligen Ausgangssituation die Strategien der Demenzprävention regions- und populationsspezifisch anzupassen.

Die Studie untersuchte am Beispiel Kalifornien, ob nationale Schätzwertewerte zur Inzidenz und deren Verbesserungspotenzial auf andere Staaten oder Regionen übertragen werden können. Analysiert wurden Daten von Teilnehmern (>18 Jahren) der BRFSS-Erhebung („Behavioral Risk Factor Surveillance System“) der gesamten USA (n=378.615) sowie separat aus Kalifornien (n=9.836). Für acht bekannte Demenz-Risikofaktoren (körperliche Inaktivität, Rauchen, Depression, niedriger Bildungsstand, Diabetes mellitus, Adipositas oder Bluthochdruck im mittleren Lebensalter und Schwerhörigkeit) wurde das sogenannte bevölkerungsbezogene attributable Risiko („population attributable risks“ /PAR) ermittelt, d. h. der Anteil Erkrankter, der auf den jeweiligen Faktor zurückzuführen ist. Man ging dabei von einer erreichbaren Reduktion der wichtigsten Risikofaktoren um 25 Prozent aus.

Im Ergebnis gingen in Kalifornien insgesamt 28,9 Prozent der Demenzen zu Lasten einer Kombination von Risikofaktoren, verglichen mit 36,9 Prozent in den gesamten USA. Dies entsprach einer Gesamtfallzahl von 199.246 in Kalifornien und 2.287.683 in den USA. Die wichtigsten drei Risikofaktoren waren in Kalifornien und den Gesamt-USA dieselben (niedriger Bildungsstand, Adipositas im mittleren Lebensalter und körperliche Inaktivität bzw. Bewegungsmangel).

Deren relative Bedeutung unterschied sich jedoch. So betrug der Einfluss eines niedrigen Bildungsstandes in Kalifornien 14,9 Prozent, (USA 11,7 Prozent), einer Adipositas 14,9 Prozent (USA 17,7) und der körperlichen Inaktivität bzw. Bewegungsmangel 10,3 Prozent (USA 11,8 Prozent). Eine Absenkung der kombinierten Risikofaktoren um 25 Prozent würde die Zahlen in Kalifornien um 40.000 Fälle und in gesamt USA um 445.000 Fälle reduzieren.

Die günstigeren Zahlen von Kalifornien gegenüber den gesamten USA führen die Publizierenden auf eine insgesamt niedrigere Prävalenz der meisten modifizierbaren Risikofaktoren zurück. Die drei bedeutendsten Risikofaktoren waren jedoch dieselben (schlechter Bildungsstand, Adipositas im mittleren Lebensalter und körperliche Inaktivität). Daher sollten vor allem diese drei auch zum Ziel für Interventionen gewählt werden.

Die Studie zeigte außerdem, dass sowohl in den USA insgesamt wie auch in Kalifornien der Anteil von Demenzfällen, die auf die acht modifizierbaren Risikofaktoren zurückzuführen sind, in bestimmten Bevölkerungsgruppen (beispielsweise bei hispanischer Herkunft PAR 35,1 Prozent) höher sind als in anderen. Bei asiatischer Herkunft war der Anteil am niedrigsten (PAR 14,7 Prozent). Es wird betont, dass nach diesen Ergebnissen die Demenzrisikofaktoren in der Bevölkerung regionsspezifisch betrachtet und Interventionsstrategien entsprechend angepasst werden sollten.

„Wir wissen, welche schädlichen Wirkungen eine ungesunde Lebensweise auf das Herz-Kreislauf-System und das Krebsrisiko hat – dass sie aber auch die Gesundheit unseres Gehirns so dramatisch beeinflussen, ist auch in Deutschland noch allgemein nicht bekannt“, konstatiert Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). „Daher ist es dringend notwendig, das Thema in der Politik sowie seitens der Ärzteschaft stärker in den Fokus zu rücken.“

„Auch die WHO hat inzwischen den Begriff ‚Brain Health‘ als eigenen Topic im Programm und setzt sich dafür ein, dass Hirngesundheit künftig als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe gesehen wird. Dem schließt sich die DGN mit allen Kräften an, um auch in Deutschland die Chance zu nutzen, die Inzidenz neurologischer Erkrankungen und speziell der Demenzen zu senken“, ergänzt Prof. Dr. Peter Berlit, Generalsekretär der DGN. „Dieses Studienergebnis gibt unserer Initiative Aufwind. Viele neurologische Erkrankungen sind kein unabänderliches Schicksal, sondern lassen sich verhindern. Dieses Präventionsbotschaft werden wir, gemeinsam mit der Deutschen Hirnstiftung, in die Fläche tragen.“ (idw)