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Letzte Aktualisierung: 28.03.2024

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Die vielen Facetten des Waldes beleuchtet

Buch gibt vielerlei Einblicke in die Geschichte der Natur

von Michael Hoerskens

(23.06.2020) Klimawandel und Umweltdebatte haben die Natur wieder verstärkt in den Fokus gerückt, wobei zusehends der Wald eine Rolle spielt. Er hat den Menschen über Jahrmillionen geprägt, sagt Wolf-Dieter Storl in seinem Buch „Wir sind Geschöpfe des Waldes“, in dem der Kulturanthropologe und Ethnobotaniker die tief verwurzelte Verbindung zwischen den Bäumen und uns beschreibt. Der Autor nimmt den Leser mit auf eine spannende Reise durch die Evolutionsgeschichte des Waldes und der Menschheit, von Neandertaler bis zum Homo sapiens. Wir tauchen ein in die Welt der Kelten und Germanen und erfahren viel Interessantes über Götter und Geister, Tiere und Pflanzen.

Wolf-Dieter Storl vermittelt in seinem Werk viel Wissenswertes
Foto: Hörskens
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Er ist im Trend, der Wald. Nicht nur die Ökologie widmet sich ihm, auch die Freizeitgesellschaft hat dieses wertvolle Stück Natur wiederentdeckt. Reine Luft, die Vielfalt von Bäumen und Pflanzen und der Lebensraum von Tieren stellen einen hohen Erholungswert dar. Wanderungen im Grünen oder neue Ideen wie das Waldbaden finden eine immer größere Anhängerschaft. Experten betonen die Heilkräfte des Waldes für Körper und Seele. „Mutter Grün spricht alle unsere Sinne an“, schreibt Wolf-Dieter Storl.

Vor rund 400 Millionen Jahren begann die Vegetation, festes Land zu erobern, schildert der Autor. Und als kleine Lurche seien wir damals schon dabei gewesen. Schachtelhalme oder Baumfarne wuchsen einst immer höher, die Evolution schritt sukzessive weiter voran. Primitive Primaten kletterten in Baumkronen herum, der moderne Mensch bevölkerte allmählich die Landschaften der Erde.

Später widmeten sich griechische Gelehrte dem Thema Wald. Der Philosoph Platon etwa beklagte im 5. Jahrhundert vor Christus die Abholzung der Wälder in seiner Heimat. Und Tacitus nennt den Wald als Sieger der Schlacht im Teutoburger den Wald, als 9 nach Christus die Germanen durch ihre Guerillataktik die Römer vernichtend schlugen. Die Römer betrachteten die Germanen als wilde, unkultivierte, im Wald hausende Barbaren, berichtet der Kulturanthropologe. Für die Germanen hatte der Wald eine tiefe Bedeutung, berichtet Storl. Sie betrachteten ihn als Heimstätte der Götter und Geister. So war für den Volksstamm etwa Ase der Gott des Waldes. Und der Name Widukind, der als Anführer der Sachsen bekannt war, bedeutete „Kind des Waldes“, erklärt der Kulturanthropologe. Für die Germanen seien alle Bäume heilig gewesen. Und für die Kelten bedeutete der Eichenhain, Drunemeton, ein heiliger Ort, der Druide war der "Eichenweise".

In Märchen und Sagen spielt der Wald vielfach eine große Rolle. Sein Geist habe viele Gesichter, so Wolf-Dieter Storl. Im Riesengebirge erscheint er in Gestalt des Rübezahl, im Allgäu war es einst ein Berggeist, der gerne die Gestalt eines Drachens annahm. Und im Schwarzwald sind es Zwerge und Naturgeister, die dort hausen. Unter den Waldgeistern befinden sich Zwerge, Erdwichtel, Hexen oder Nymphen. Verführerische Elfen tanzen und musizieren in Waldlichtungen und Auen. Feen wohnen im hohen Gebirge, in Tirol und Graubünden wird erzählt, dass sie ganze Dörfer bevölkerten. Dea Ardoinna war die Göttin der Ardennen und Nematona die Herrin des Pfälzerwaldes.

Für so manche deutsche schlaue Köpfe hatten die Natur und der Wald eine Bedeutung. So schrieb Johann Wolfgang von Goethe einmal: „Die ganze Natur ist eine einzige Melodie, in der eine tiefe Harmonie verborgen ist.“  Und Ludwig van Beethoven lauschte dieser Melodie offenbar bei seinen Spaziergängen im Wienerwald. Dort empfing er die Inspiration für seine Symphonien.

Storl berichtet in seinem Buch von der Umweltbedeutung des Waldes.  Dieser säubert mit seinem Ökosystem die Atmosphäre und sorgt für saubere Luft. Bäume lassen Quellen sprudeln, die in Bache oder Flüsse fließen  und sorgen so für die Wasserversorgung der Menschen. In einem Kapitel widmet sich der Autor intensiv auch den Tieren dort. Die Palette reicht dabei von Wolf und Fuchs über Hirsche bis hin zu den Vögeln.

Nicht vergessen wird die Heilkraft des Waldes für den Menschen. So nennt Storl wundheilende Salben aus Kiefernharz oder die entschlackende Kraft des Birkensaftes. Er nennt darüber hinaus die positiven Effekte von Aufenthalten im Wald.  Ein Spaziergang dort wirke sich positiv auf das Herz-Kreislaufsystem aus und erhöht zudem die Abwehrzellen des Körpers. Waldluft, so der Autor, lassen Kopfschmerzen und psychosomatische Beschwerden vermindern. Ebenso wirke ein Waldspaziergang im mentalen Bereich, Angst und Depressionen, Burnout-Syndrom würden gemindert. Der aus Japan stammende Begriff „Waldbaden“ bedeuten Entschleunigung in der Natur. Wer über den weichen Waldboden wandelt oder Bäume umarmt komme mit sich selbst wieder in Einklag, empfindet Wolf-Dieter Storl. Der Wald erlässt Raum, in dem sich unsere Seele entfalten kann, betont er.

Am Ende gibt es noch einen eindringlichen Appell. Es sei Zeit, den Wäldern wieder mehr Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, betont der Ethnobotaniker. Man müsse Bäume pflanzen, dabei einen Mischwald mit einer Vielfalt von Arten realisieren.

Wolf-Dieter Storl: Wir sind Geschöpfe des Waldes, Verlag Gräfe und Unzer, ISBN, 978-3-8338-6669-2, € 24,99.