Letzte Aktualisierung: 09.12.2024
Die Sucht nach Verbrechen
Wie Internetdetektive in True-Crime-Fällen ermitteln
von Norbert Dörholt
(19.11.2024) Um es gleich vorweg zu nehmen: Dieses Buch ist nichts für schwache Nerven. Der Medienwissenschaftler Dr. Christian Hardinghaus schildert zwar äußerst fesselnd und informativ, wie tausende, nein Millionen Internetdetektive sich weltweit auf die Jagd nach Gerechtigkeit machen und versuchen, über sogenanntes Crowdsolving den Strafverfolgungsbehörden entscheidende Informationen zur Ergreifung des Täters zu liefern. Aber es ist nun mal kein Roman, sondern handelt von realen, unheimlichen und manchmal unfassbar grausamen Morden.
Und die betrafen nicht nur die Opfer selbst, sondern zerstörten vielfach auch das Leben ihrer Eltern, Verwandten, Freunde und nahen Bekannten allein durch das Wissen, dass die Taten nie aufgeklärt werden konnten – nicht selten, ja, auch durch Unfähigkeit, Schludrigkeit oder pure Absicht der ermittelnden Behörden. Manche Opfer wurden nie gefunden, bei anderen konnte die Identität bis heute nicht festgestellt werden. So leben die Täter, sogar Serienmörder, ungestraft weiterhin mitten unter uns – ein unerträglicher Gedanke.
Genau so empfinden es offensichtlich hunderttausende, ja Millionen Internetnutzer weltweit. Sie ertragen es nicht, dass beispielsweise in den USA knapp 30.000 Morde unaufgeklärt sind und einfach liegen bleiben. Im Gegensatz zum Genre True Crime, das häufig Täter und Tat ins Zentrum stellt, versuchen Websleuths – der Ausdruck leuths steht für Schnüffler – den Opfern ein Gesicht zu geben. Eines der größten und auch erfolgreichsten Betätigungsfelder, in der es enge Zusammenarbeit mit Strafverfolgungsbehörden gibt, ist daher die Identifizierung unbekannter Täter.
Sie schließen sich dazu in Gruppen von bis zu mehreren hunderttausend Mitgliedern zusammen, diejahrelang Informationen austauchen und alten und allen Spuren nachgehen. Manchmal haben sie tatsächlich Erfolg. Vielleicht lösen sie auch noch den einen oder anderen der in dem Buch „Die Sucht nach Verbrechen“ mit Bildmaterial unterlegten vorgestellten 18 Fälle, die bis heute nicht aufgeklärt sind.
Wie aber erklärt sich der Erfolg der unzähligen Cold-Case-Serien oder von Sendungen wie „Aktenzeichen XY“? Und warum ist das Interesse bei den Frauen deutlich größer als das der Männer: 93 Prozent der True-Crime-Hörer sind nach einer deutschen True-Studie von 2022 Frauen. Experten sprechen von einem weiblichen Phänomen, das Medienwissenschaftler und Psychologen gleichermaßen aufhorchen lässt, denn dies steht im Kontrast zu anderweitigen gewaltzentrierten Genres, die allesamt signifikant von männlichen Konsumente dominiert werden. Ein Buch der tausend Fragen, nicht nur also nur zu den Taten selbst.
Autor Dr. Christian Hardinghaus, 1976 geboren, arbeitet seit 20 Jahren journalistisch sowie als Lektor, Tutor und beratender Historiker. Sein erstes literarisches Werk veröffentlichte er 2014. Als Schriftsteller publiziert er sowohl Sachbücher als auch Romane. Christian Hardinghaus promovierte nach seinem Magisterstudium der Geschichte, Literatur- und Medienwissenschaft (Film und TV) an der Universität Osnabrück im Bereich Propaganda- und Antisemitismusforschung und schloss danach ein Studium des gymnasialen Lehreamtes mit dem Master of Education ab. Seine historischen Schwerpunkte liegen in der Erforschung des NSD-Systems und des Zweiten Weltkriegs.
(Hardinghaus: Die Sucht nach Verbrechen, ISBN 978-3-95890-554-2, 22 Euro, Europa Verlag)