Letzte Aktualisierung: 16.09.2024
Die Stadt Frankfurt, eine Pionierin des öffentlichen Gesundheitswesens
von Ilse Romahn
(02.10.2023) „So trat am 15. September die Versammlung in Frankfurt zusammen, die weit zahlreicher besucht war, als man es vermuthet hatte, und die nur ganz wenige Koryphäen unter den Hygienikern vermissen ließ.“ Was dieses Zitat aus einem Aufsatz in der Deutschen Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege aus dem Jahr 1873 hier ein wenig schwülstig beschreibt, ist die Gründungsversammlung des Deutschen Vereins für Öffentliche Gesundheitspflege.
Vor 150 Jahren, am 15. und 16. September 1873, wurde in Frankfurt der Verein offiziell gegründet. Rund 230 Teilnehmer – Ärzte, „darunter viele Medicinalbeamte“, wie die Vierteljahrsschrift schreibt, Oberbürgermeister, Bürgermeister, „Communalbeamte“, Chemiker, Apotheker, Architekten, Ingenieure, Fabrikanten aus ganz Deutschland und sogar Gäste aus England, Russland und der Schweiz – versammelten sich im Saalbau in der Junghofstraße, kamen am Tag darauf im Kaisersaal des Römers zusammen und absolvierten ein anspruchsvolles Programm. Sie ließen sich die Pläne für die Frankfurter Kanalisation erläutern – Frankfurt war eine der ersten Städte mit einem öffentlichen Kanalnetz und baute zudem 1887 in Niederrad die erste Großkläranlage Europas – sowie Schul- und Hospitalbauten vorstellen und auch die Ideen eines „projectierten Schlachthauses und Viehhofs“. Sie besichtigten das Hochreservoir der Quellwasserleitung an der Friedberger Landstraße (im heutigen Wasserpark) und kamen zur „freien geselligen Vereinigung“ im Palmengarten zusammen.
„Dieses interdisziplinäre Programm mit Teilnehmern verschiedenster Fachrichtungen war für die damalige Zeit sehr modern“, sagt Dr. Benjamin Kuntz, Medizinhistoriker und Leiter des Museums im Robert Koch-Institut in Berlin. Die Initiatoren der Vereinsgründung waren größtenteils Mitglieder der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte, sie ist die älteste wissenschaftliche Vereinigung Deutschlands, bei deren Treffen sich die interessierten Mitglieder bereits über bevölkerungsmedizinische Themen ausgetauscht hatten. Das Thema öffentliche Gesundheit war Mitte des 19. Jahrhunderts immer dringlicher geworden – die Städte wuchsen, die hygienischen Zustände in den Wohnvierteln wurden zunehmend problematischer, Seuchen wie Cholera oder Typhus traten immer häufiger auf.
Drei Protagonisten und treibende Kräfte der Gründung des Deutschen Vereins für Öffentliche Gesundheitspflege kamen aus Frankfurt: Gustav Adolph Spiess, dessen Sohn Alexander Spiess, der 1883 der erste, direkt dem Magistrat unterstellte, beamtete Stadtarzt Frankfurts wurde und damit der erste deutsche Stadtarzt dieser Art war, und Georg Varrentrapp, der eine treibende Kraft bei der Einführung der Kanalisation war und der auch als „Luther der Hygiene“ bezeichnet wird. Alexander Spiess und Georg Varrentrapp waren auch Mitherausgeber der Deutschen Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege, in der neueste wissenschaftliche Erkenntnisse publiziert wurden.
Diese Konstellation könnte, neben der zentralen Lage in Deutschland, einer der Gründe für Frankfurt als Ort der Vereinsgründung sein. „Zudem war die Stadt Frankfurt mit der Verpflichtung eines dem Magistrat unterstellten Stadtarztes und dem Bau einer Kanalisation, den Plänen für Schlachthäuser sowie öffentliche Gas- und Wasserwerke eine Pionierin auf dem Gebiet des öffentlichen Gesundheitswesens“, sagt Dr. Peter Tinnemann. Im Jahr 1917 beschloss der Magistrat, ein „Stadtgesundheits-Amt“ zu gründen – auch damit hatte Frankfurt eine Vorreiterrolle. Tinnemann: „Heute sind wir eines der größten Gesundheitsämter Deutschlands mit annähernd 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die einen großartigen Job machen, um die Gesundheit der Menschen in der Stadt zu schützen und zu fördern.“
Nach dem Gründungstreffen in Frankfurt kam der Deutsche Verein für Öffentliche Gesundheitspflege einmal jährlich in wechselnden deutschen Städten wie Danzig, Düsseldorf oder München zusammen. „Es ging den Mitgliedern des Vereins darum, dass die Städte voneinander lernen. Wie geht der Bau eines Kanalnetzes vonstatten? Worauf achten andere Kommunen beim Bau von Schulen? Bei den Treffen kamen Theoretiker, Praktiker und auch Politiker zusammen“, erzählt Kuntz.
„Voneinander lernen, neue Perspektiven einnehmen – auch das ist ein Ansatz, den wir noch heute verfolgen, beispielsweise mit den Treffen der Großstadtgesundheitsämter oder des Gesundheitsbeirats für Frankfurt“, sagt Tinnemann. „Waren im Jahr 1873 Hygiene und Kanalisationen brennende Themen, ist es aktuell der Klimawandel und der Schutz der Gesundheit vor dessen Auswirkungen. Vor diesem Hintergrund ist es heute genauso wichtig wie vor 150 Jahren, dass sich Ärztinnen und Ärzte sowie auch alle anderen Berufsgruppen untereinander und miteinander auszutauschen, um zu erfahren, welche Maßnahmen in anderen Städte ergriffen werden und um sich gegenseitig mit Ideen zu befruchten.“ (ffm)