Letzte Aktualisierung: 12.11.2024
Die großen Meister der Zeichenkunst des italienischen Barocks im Städel
von Ralph Delhees
(14.10.2024) „Fantastische Leidenschaft: Zeichnen von Carracci bis Bernini.“ Dr. Reuter: „Das Städel Museum erweist sich mit diesem Projekt einmal mehr als lebendiger Ort des Sehens, des Austausches und der Forschung.“
Einfach beeindruckend!!! Schwungvolle Linienführung, dramatisches Licht. Schattenspiel und große Ausdruckskraft dies sind die Attribute der neuen Ausstellung „Fantasie und Leidenschaft: Zeichnen von Carracci bis Bernini“ in der Ausstellungshalle der Graphischen Sammlung des Städel Museum. Bis zum 12. Januar kommenden Jahres sind 90 bemerkenswerten italienischen Barockzeichnungen aus der eigenen Sammlung zu sehen, die zu einer intimen Begegnung mit den künstlerischen Handschriften einer vergangenen Epoche einladen. Die Ausstellung findet parallel zur Buchmesse mit dem diesjährigen Gastland Italienstatt.
Das Zeichnen war zentraler Bestandteil ihrer künstlerischen Arbeit
Das Städel präsentiert die großen Meister der Zeichenkunst des italienischen Barocks. Für die Brüder Agostino und Annibale Carracci, Guercino, Stefano della Bella oder Gian Lorenzo Bernini war das Zeichnen ein zentraler Bestandteil ihrer künstlerischen Arbeit. In ihren Zeichnungen legten sie nicht nur die Grundlagen für ihre Gemälde, Skulpturen oder Druckgrafiken, sondern stellten auch die Eigenständigkeit des Mediums unter Beweis. Die mit Feder und Pinsel, schwarzer Kreide oder Rötel ausgeführten Blätter sind Skizzen, Studien oder präzise Einzelwerke.
Die Arbeiten auf Papier bildeten oft die Grundlage für Gemälde, Skulpturen oder Druckgrafiken
Das 17. Jahrhundert war in Italien eine Zeit der Veränderungen. Die Kunst des Barocks setzte auf Bewegung und Dynamik, Kontraste und das Spiel von Licht und Schatten. Diese Merkmale sind nicht nur in den Gemälden und Skulpturen, sondern auch in den Zeichnungen der Zeit zu beobachten. Die Künstler studierten Einzelmotive, Figurengruppen, Haltungen, Gewänder und Bewegungsabläufe. Sie zeichneten nach der Natur, entwickelten komplexe Bilderzählungen und schufen Entwürfe für großformatige Werke. Die emotionale Bandbreite reicht von zarten und introspektiven bis hin zu ekstatischen, expressiven und teils grausamen Darstellungen. Die Arbeiten auf Papier bildeten vielfach die Grundlage für Gemälde, Skulpturen oder Druckgrafiken und verweisen auf den Austausch zwischen Künstlern und Auftraggebern. Sie sind daher nicht nur Ausdruck individueller künstlerischer Kreativität, sondern auch ein Spiegel größerer kultureller Zusammenhänge.
Museumsgründer Städel war ein leidenschaftlicher Sammler
Philipp Demandt, Direktor Städel Museum, über die Ausstellung: „Unser Museumsgründer Johann Friedrich Städel war ein leidenschaftlicher Sammler von Zeichnungen – mehr als 4600 Zeichnungen gingen in den Museumsbestand über. Ein großer Teil der in der Ausstellung präsentierten italienischen Barockzeichnungen stammt aus seiner Sammlung. Durch weitere Erwerbungen und Schenkungen wurde dieser Bestand vor allem nach 1900 erweitert. Dank der großzügigen Unterstützung der Frankfurter Stiftung Gabriele Busch-Hauck ist es uns gelungen, 90 Zeichnungen wissenschaftlich zu erforschen und dabei Fragen nach Autorschaft, Arbeitsweise, Technik und Themenspektrum zu klären. Pünktlich zum Ehrengastauftritt Italiens auf der Frankfurter Buchmesse freuen wir uns, diese Auswahl herausragender Werke der Zeichenkunst des italienischen Barocks der Öffentlichkeit vorzustellen.“
Besucher werden Zeugen eines kreativen Prozesses
„Die Faszination der Zeichenkunst liegt in der Vielfalt ihrer Ausdrucksmöglichkeiten. Betrachtend werden die Besucherinnen und Besucher Zeugen eines kreativen Prozesses, der von der beiläufigen Skizze bis zum ausgearbeiteten Werk reicht. Im Umgang mit Kreide, Feder oder Pinsel zeigt sich die Sicherheit der künstlerischen Ausführung, wird aber auch das Zögern, Verwerfen und Neubeginnen sichtbar. Die Bearbeitung der hier vorgestellten Auswahl italienischer Barockzeichnungen basiert auf einer breiten Kennerschaft, zu der viele Kolleginnen und Kollegen aus dem In- und Ausland beigetragen haben. Das Städel Museum erweist sich mit diesem Projekt einmal mehr als lebendiger Ort des Sehens, des Austausches und der Forschung“, so erläuterte Kuratorin Astrid Reuter, Sammlungsleiterin für die Graphische Sammlung bis 1800 im Städel Museum, das Projekt.
Schwerpunkte der Ausstellung
Die Ausstellung gestaltet sich als ein Rundgang durch die wesentlichen geografischen Zentren der barocken Zeichenkunst Italiens. Die beiden wichtigen Kunstzentren Bologna und Rom sind mit zahlreichen Werken vertreten, ihnen folgt Florenz, während Genua, die Marken und Neapel anhand weniger Beispiele vorgestellt werden. Nicht berücksichtigt ist Venedig, dem 2006/2007 mit „Von Tizian bis Tiepolo. Die venezianischen Zeichnungen des 15. bis 18. Jahrhunderts aus der Graphischen Sammlung im Städel Museum“ eine eigene Ausstellung gewidmet worden war. Durch eine offene Ausstellungsarchitektur wird ein inspirierender Dialog Seite zwischen den verschiedenen Schulen sowie ein Vergleich der künstlerischen Ausdrucksformen und Techniken und dargestellten Themen möglich.
Die Ausstellung ist in sechs kulturhistorische Regionen Italiens aufgeteilt und zeigt jeweils die Einflüsse von außen, die sich auf das künstlerische Schaffen der Künstler niedergeschlagen hat.
Bologna gilt bis heute als eines der bedeutendsten Zentren der italienischen Barockkunst. Hier wirkten die Brüder Annibale (1560–1609) und Agostino (1557–1602) Carracci sowie ihr Cousin Ludovico (1555–1619), die mit ihrer Accademia degli Incamminati (Akademie der auf den rechten Weg Gebrachten) eine Reform der Kunst einleiteten. In Abgrenzung von den Manierismen der zeitgenössischen Kunst strebten sie nach größerer Wahrhaftigkeit und rückten das Naturstudium ins Zentrum ihrer Tätigkeit.
Größe und Schönheit der Stadt Rom verwiesen auf die päpstliche Vormachtstellung in der Welt. Im 17. Jahrhundert wurden enorme Summen in die Errichtung und Ausstattung von Kirchen und Palästen investiert und die besten Künstler für die Ausführung der Kunstwerke herangezogen. Die Stadt war eine riesige Baustelle. Architekten, Maler und Bildhauer strömten aus vielen Ländern und aus ganz Italien in die Kunstmetropole. Zu den herausragenden Künstlern dieser Zeit zählt Gianlorenzo Bernini (1598–1680), der aus Neapel stammte und durch die Förderung der Herrscherfamilie Barberini zu Ruhm gelangte.
In Florenz erlangte die Zeichenkunst bereits im 16. Jahrhundert unter dem Einfluss von Giorgio Vasari (1511–1574) große Bedeutung. Er gehörte zu den Mitbegründern der ersten Akademie – der Accademia del Disegno –, die den Grundstein für die Künstlerausbildung in Rom, Paris und an anderen Orten legte. Gefördert von der einflussreichen Familie der Medici schufen Künstler wie Jacopo da Empoli (1551– 1640) und Stefano della Bella (1610–1664) meisterhafte Werke.
Die oberitalienische Region Marken weist vielfältige künstlerische Einflüsse auf und hatte mit Urbino bereits in der Renaissance ein wichtiges Kunstzentrum. Sie ist in der Auswahl lediglich durch einen Künstler vertreten: Filippo Bellini, dessen ausschließlich religiösen Werke sich durch ihren klaren Aufbau, eine ausdrucksstarke Gestik und emotionale Eindringlichkeit auszeichnen.
Die Republik Genua wurde im 17. Jahrhundert „La Superba“ – die Prächtige – genannt. Hier entstanden große Paläste, und die Kunst der Stadt erlebte einen regen Austausch mit anderen europäischen Regionen. Von der produktiven Kunstszene Genuas zeugen die Werke Giovanni Benedetto Castigliones (1609–1664), friedvolle Szenen eines harmonischen Miteinanders von Mensch und Tier in der Natur.
Unter der Herrschaft der spanischen Vizekönige entwickelte sich Neapel im 17. Jahrhundert zur drittgrößten Stadt Europas. Der Spanier Jusepe de Ribera (1591–1652), der 1616 nach Neapel kam und zum Hofmaler des spanischen Gouverneurs ernannt wurde, prägte die Kunstszene. In seiner Werkstatt lernten einige der bedeutendsten neapolitanischen Maler der Zeit.
Mehrjährige Forschungsarbeit
Die wissenschaftliche Bearbeitung der Zeichnungen wurde ermöglicht durch die großzügige Förderung der Frankfurter Stiftung Gabriele Busch-Hauck. Im Rahmen eines mehrjährigen Forschungsprojekts konnten zahlreiche neue Erkenntnisse zu einzelnen Künstlern und ihrer Arbeitsweise, zu den dargestellten Themen und verwendeten Techniken sowie zeitgenössischen und späteren Sammlern gewonnen werden.
Die Graphische Sammlung ist eine der bedeutendsten Sammlungen ihrer Art
Die Graphische Sammlung im Städel Museum bewahrt über 100.000 Zeichnungen und Druckgrafiken vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart. Dank der hohen Qualität der Blätter gehört sie zu den bedeutendsten Sammlungen ihrer Art in Deutschland. Höhepunkte sind neben Werken von Dürer, Raffael oder Rembrandt u. a. nazarenische Zeichnungen, französische Blätter des 18. und 19. Jahrhunderts, Werke von Max Beckmann und des deutschen Expressionismus um Ernst Ludwig Kirchner sowie der US-amerikanischen Kunst nach 1945. Die Sammlungsbestände werden in Sonderausstellungen präsentiert oder im Studiensaal zu den gesonderten Öffnungszeiten vorgelegt.
Die Ausstellung „Fantasie und Leidenschaft: Zeichnen von Carracci bis Bernini“ ist bis 12. Januar 2025 im Städel Museum, Schaumainkai 63, 60596 Frankfurt am Main, zu sehen. Mehr unter: staedelmuseum.de
Besucherservice und Führungen: (069)605098-200, info@staedelmuseum.de