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Letzte Aktualisierung: 28.03.2024

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Die Crux mit den Schnelltests

Vom Ja/Nein bei Corona zu differenziertem Gesundheitsstatus

von Alexander Knebel

(19.10.2021) Spätestens seit der Corona-Pandemie kennt man Antigen-Schnelltests. Ein Rachenabstrich oder eine Speichelprobe reichen aus, um schnell eine mögliche Infektion festzustellen. Doch wie lassen sich Schnelltests für noch anspruchsvollere diagnostische Fragen in der Medizin nutzen?

IFNANO-Schnelltest zum Protein Interleukin 8
Foto: IFNANO e.V.
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Im Zentrum der Forschung an Instituten der Zuse-Gemeinschaft stehen der Einsatz mehrerer Analyte und damit die gleichzeitige Beprobung auf verschiedene gesundheitliche Fragestellungen ebenso wie Möglichkeiten zum Nachweis sehr geringer Konzentrationen von Substanzen. Am Göttinger Institut für Nanophotonik (IFNANO) setzt man dafür auf die Weiterentwicklung von Analyseverfahren, die mit Teststreifen funktionieren, wie man sie nicht nur von Corona-, sondern z.B. auch von Schwangerschaftstests kennt. Das Grundprinzip dieser Teststreifen: Die Analyte werden in wässrigen Medien gelöst dann mit Markern gemischt und auf ein Trägermedium gegeben, auf dem sie bis zur Test- und Kontrolllinie wandern.

Die Analyte, wie zum Beispiel das Corona-Virusmaterial, binden sich einerseits an den Marker, der aus einer Farbmarkierung wie z.B. Goldnanopartikeln und dem Antikörper besteht, und anderseits an den Antikörper an der Testlinie. Die Antikörper sind so aufgebaut, dass sie selektiv d. h. möglichst nur einen Analyten, wie das Corona-Virusprotein, binden. Durch das Anreichern der Marker auf den Linien verfärben sich diese und man kann den Test mit bloßem Auge auslesen.

Verstärkung des Lichtfeldes an der Oberfläche mit rosa-violettem Effekt
Aufbauend auf diesem erfolgreichen Grundprinzip haben sich die Ansprüche an solche Schnelltests allerdings erhöht. Das IFNANO forscht aktuell intensiv an optischen Verfahren, mit denen sich auch über Schnelltests sehr niedrige Konzentrationen von Stoffen nachweisen lassen. Gefragt sind solche Methoden nicht nur in der Human-, sondern auch in der Tiermedizin. Bei ihrem neuen Ansatz bedienen sich die Göttinger Forschenden für die Schnelltests der oberflächenverstärkten Raman-Spektroskopie. Das Signal von Molekülen, die sich sehr nah an nanometergroßen Gold- oder Silberpartikeln befinden, wird dabei enorm verstärkt.

„Größe und Form der Edelmetall-Nanopartikel sowie die Wellenlänge des eingestrahlten Lichts sind entscheidend für diese Signalverstärkung“, erklärt IFNANO-Abteilungsleiter Dr. Hainer Wackerbarth und erläutert: „Speziell bei Gold und Silber ist die Erzeugung sogenannter Oberflächenplasmonen besonders ausgeprägt, so dass die Verstärkung des Lichtfeldes an der Oberfläche erfolgen kann.“ Mit der Größe der Partikel hängt es auch zusammen, dass die Testlinien mit Goldnanopartikeln rosa-violett erscheinen.

Cortisol-Test als Basis für weitere Entwicklungen
Im Veterinärbereich hat das IFNANO-Team mit seinem innovativen Ansatz bereits Erfolg gehabt, nämlich beim Nachweis von Cortisol, dessen Vorkommen je nach Konzentration Hinweis auf Wohlbefinden oder Stress bei Rindern gibt. Das Muster der Farbintensität der rosagefärbten Test- und Kontrolllinie korreliert mit der Cortisol-Konzentration. „Hohe Cortisolwerte geben Landwirt oder Tierarzt Hinweise darauf, dass die Tiergesundheit im Auge behalten werden muss“, so Wackerbarth. Die entwickelte Testmethode ist Ergebnis zweier vom Bundeswirtschaftsministerium geförderter Projekte und wurde gemeinsam mit den Unternehmen miprolab und inno-spec entwickelt.

Dazu wird mit einem Auslesegerät (Raman-System) der Test mit Laserlicht bestrahlt und das rückgestreute Licht, das die Informationen enthält, mit einem Detektor aufgefangen. „Anhand eines Cortisol-Tests konnte gezeigt werden, dass sich das entwickelte Verfahren zur quantitativen Analyse sowie ebenfalls für einen Test zum Nachweis verschiedener Analyte eignet“, betont Wackerbarth. Gemeinsam mit inno-spec wurde das Auslesegerät entwickelt, mit dem das Trägermaterial mit Test- und Kontrolllinie mit einen Linienstrahl statt wie üblich einem Punktförmigen abgerastert wird. „Ziel dieses optischen Aufbaus ist die Verbesserung der Nachweisgrenzen und eine höhere Reproduzierbarkeit bei der quantitativen Bestimmung“, erklärt Wackerbarth.

Aufbauend auf diesem Erfolg hat sich das IFNANO das Ziel gesetzt, mit Hilfe der oberflächenverstärkten Raman-Spektroskopie zusammen mit dem Unternehmen miprolab und mit dem Tierärztlichen Institut der Universität Göttingen einen praxistauglichen Test zur Bestimmung von Substanzen mit einer Konzentration im Picogramm-Bereich, das entspricht einem billionstel Gramm, zu entwickeln. Mit der gleichzeitigen Bestimmung mehrerer ausgewählter Substanzen, darunter des Proteins Interleukin 8, wollen wir Praktikern per Schnelltest vor Ort differenzierte Aussagen zum Gesundheitszustand ermöglichen“, erklärt Wackerbarth. Das Vorhaben ist Teil des „Südniedersachsen Point of Care Clusters“, einem Bündnis aus Mittelständlern, einem Großunternehmen und wissenschaftlichen Partnern. Die im Veterinärbereich gesammelten Erfahrungen sollen perspektivisch in die Humanmedizin einfließen.

Diagnostik u.a. von Autoimmun-, Stoffwechsel- und Infektionskrankheiten
Ähnlich wie beim IFNANO, so steht auch am Forschungszentrum für Medizintechnik und Biotechnologie in Bad Langensalza (fzmb) bei der Arbeit an Schnelltests im Fokus, mehrere Analyten aus einer einzigen Probe zu bestimmen. Dazu gehören die Diagnostik von Autoimmun-, Stoffwechsel- und Infektionskrankheiten, Allergie- und Nahrungsmittelunverträglichkeitstests sowie Krebsanalytik und Biomarkersuche. „Unsere Entwicklungsprodukte bieten hervorragende Perspektiven für neue Wege in der individualisierten Diagnostik und personalisierten Medizin“, erklärt fzmb-Geschäftsführer Dr. Peter Miethe. Die Auswertesysteme des fzmb ermöglichen nach seinen Angaben die automatisierte, kundenspezifische Analyse auf verschiedenen Trägerformaten wie Mikrotiterplatten, Objektträgern, Membranen und kundenspezifischen Biosensoren.

Als konkrete künftige Einsatzgebiete für die Schnelltests strebt das fzmb u.a. das Erkennen autoimmuner Schädigungen von Gehirnfunktionen beim Menschen an. Hierzu läuft aktuell ein Projekt mit drei Forschungspartnern bei dem Thüringer Institut. Dabei sollen erstmals mehrere Autoantikörper gleichzeitig bestimmt werden, um eine differenzierte Diagnose, individualisierte Therapieeinstellung und Verlaufskontrolle bei Patienten mit autoimmunen neuronalen Erkrankungen zu gewährleisten.

Lab on a Chip-Technologie entwickelt
Kernkompetenz sind Schnelltests mit Hilfe der Bioanalytik auch bei Hahn-Schickard. Neben klassischen Verfahren mit Teststreifen setzen die Forschenden in Freiburg auf die „Lab on a Chip“-Technologie. Die von ihnen entwickelte sogenannte LabDisk, das ist eine Kunststoff-Kartusche, die als Träger für das Testmaterial dient und in ein mobiles Auslesegerät eingeführt wird, hat sich nicht nur in medizinischen Anwendungen, sondern auch in der Umweltanalytik, z.B. in der Qualitätssicherung von Wasser- und Lebensmittelproben bewährt.

Fertigung wieder in Deutschland ansiedeln
Der Pharmabereich ist einer jener Sektoren, in denen Störungen von Produktions- und Logistikketten, bedingt durch Lieferprobleme aus Fernost, während und nach der Corona-Krise schmerzhaft spürbar wurde. „Die Arbeit von Instituten der Zuse-Gemeinschaft ist ein Baustein, um in einigen wichtigen Teilbereichen der Medizintechnik wieder mehr Souveränität zu erlangen“, erklärt der Geschäftsführer der Zuse-Gemeinschaft, Dr. Klaus Jansen. (idw)