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Letzte Aktualisierung: 28.03.2024

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Dem Geheimnis von Post-Covid auf der Spur

Eine Studie erbrachte neue Erkenntnisse

von Dr. Bettina Albers

(26.01.2023) Bislang ist die Pathogenese von neurologischen Langzeitfolgen nach COVID-19, allem voran kognitiven Einschränkungen, nicht geklärt – und vieles spricht dafür, dass verschiedene Mechanismen zu den Symptomen führen könnten. Nun zeigte eine Studie der Charité-Universitätsmedizin und der Universität Köln eine hochsignifikante Assoziation zwischen pathologischem „Montreal Cognitive Assessment“(MoCA)-Test und Autoantikörpernachweis im Liquor.

Das würde bei Patienten mit Autoantikörpernachweis immuntherapeutische Therapieansätze rechtfertigen. Doch bei weitem nicht alle Betroffenen haben Autoantikörper, so dass auch nach anderen Ursachen und Therapieansätzen weiter gesucht werden muss. Das Post-COVID-Syndrom ist ein vielfältiges Erkrankungsbild  mit ganz unterschiedlichen Symptomen – und wahrscheinlich auch unterschiedlichen Entstehungsmechanismen.

Recht häufig treten nach einer COVID-19-Erkrankung neurologische Langzeitfolgen, allem voran kognitive Einschränkungen, auf. Doch auch diese Symptomatik scheint nicht durch eine einzige Ursache hervorgerufen zu werden, sondern ist multifaktoriell. Das „eine“ Post-COVID, ausgelöst durch einen einzigen Mechanismus – und demzufolge die „eine“ Therapie, die allen Betroffenen gleichermaßen hilft, scheint es nicht zu geben. Das Krankheitsbild ist hochkomplex und entsprechend differenziert sollten Therapieansätze erwogen werden.

Dr. Christiana Franke, Oberärztin an der Klinik für Neurologie an der Charité-Universitätsmedizin Berlin und Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), ist Erstautorin einer wegweisenden Studie zu kognitiven Einschränkungen in Folge einer COVID-19-Erkrankung, die aktuell publiziert wurde. Die Leiterin der Post-COVID-Ambulanz am Charité Campus Benjamin Franklin wertete mit Kollegen prospektiv Daten von 50 Betroffenen aus, die sich zwischen September 2020 und Dezember 2021 in der Charité und im Universitätsklinikum Köln mit kognitiven Einschränkungen aufgrund einer vorausgegangenen SARS-CoV-2-Infektion als Leitsymptom vorstellten. Das Blutserum und die Cerebrospinalflüssigkeit (CFS) dieser Patienten wurde auf Autoantikörper gegen intrazelluläre sowie Oberflächenantigene untersucht und mit dem Ergebnis des „Montreal-Cognitive-Assessment“ (MoCA)-Tests, des „Goldstandardtest“ zur Erfassung von kognitiven Einschränkungen, korreliert.

Auffällig war zunächst, dass die Schwere der Kognitionseinschränkung subjektiv stärker wahrgenommen wurde als die durch den validierten Test erhobenen objektiven Ergebnisse es vermuten lassen. Denn MoCa-Test-Werte zwischen 30 (max. mögliche Punktzahl) und 26 gelten als normal, erst ab 25 Punkten liegt eine kognitive Beeinträchtigung vor. Die Untersuchung der 50 Betroffenen ergab, dass nur 18 von ihnen Werte kleiner/gleich 25 aufwiesen, der MoCa-Test also bei mehr als der Hälfte der Betroffenen normal ausfiel.

Anti-neuronale Antikörper wurden bei 52 Prozent der Betroffenen nachgewiesen, bei neun Patienten ausschließlich im Serum, bei drei Patienten ausschließlich in der CSF, und bei 14 Betroffenen in Serum und CSF, darunter Antikörper gegen Myelin, Yo, Ma2/Ta, GAD65 und den NMDA-Rezeptor.

Was diese Studie als Kernergebnis zeigte, war, dass krankhafte MoCa-Testergebnisse signifikant mit anti-neuronalen Antikörpern in der CSF assoziiert waren (p=0,0004). „Diese Ergebnisse deuten darauf, dass bei den Betroffenen, bei denen anti-neuronale Antikörper nachweisbar sind, autoimmune Mechanismen zur Entwicklung kognitiver Einschränkungen nach COVID-19 beitragen könnten“, erklärt Dr. Franke. „Bei diesen Patienten mit Autoantikörpern wäre somit ein immuntherapeutischer Therapieansatz zu rechtfertigen. Allerdings wissen wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht, ob die Autoantikörper ursächlich für die Beschwerden oder lediglich eine Begleiterscheinung sind.“ Die Expertin betont, dass weitere Studien erforderlich sind, um den genauen Pathomechanismus aufzudecken und die Wirksamkeit von Immuntherapien bei Autoantikörper-positiven Betroffenen zu untersuchen.

Andere mögliche Entstehungsmechanismen von Post-COVID, die derzeit in der Wissenschaft diskutiert werden, sind z.B. eine Viruspersistenz, ein subklinisches Inflammationsgeschehen oder eine endotheliale Dysregulation – und bei diesen gäbe es keine Rationale für eine Immuntherapie. Verschiedene Studien zeigten zudem, dass bei einem signifikanten Anteil der Post-COVID-Betroffenen bereits vor der Virusinfektion eine somatoforme Belastungsstörung vorlag. Wie Prof. Dr. Peter Berlit, Generalsekretär und Pressesprecher der DGN, ausführt, könnten bei diesen Betroffenen also durchaus auch psychosomatische Aspekte eine Rolle spielen, die dann auch im Rahmen der Therapie adressiert werden müssten.

Zusammenfassend spielen ganz unterschiedliche Faktoren bei Post-COVID eine Rolle, und umso wichtiger sei eine genaue Anamnese und Untersuchung der Betroffenen, so Berlit: „Solange wir keine zuverlässigen Biomarker haben, zwingt uns das dazu, in jedem einzelnen Fall eine akkurate Diagnostik durchzuführen. Die voreilige pathogenetische Zuordnung neurologischer Beschwerden in die eine oder andere Richtung wird weder den Betroffenen gerecht noch ist sie sachlich korrekt. Bevor wir Erkrankte in eine Verhaltens- oder Psychotherapie abgeben, sollten wir sicher sein, dass keine metabolische Problematik oder chronische Entzündung vorliegt. Bevor wir eine Aussage darüber treffen, ob eine Plasmapherese hilft oder nicht, müssen wir sie kontrolliert randomisiert und verblindet untersuchen, und zwar bei Betroffenen, bei denen eine Autoimmungenese der Beschwerden wahrscheinlich ist, also bei jenen, die Autoantikörper im Liquor haben.“ idw.-