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Letzte Aktualisierung: 25.04.2024

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Das Versagen des Westens

Ein kritisches Buch zur Ukraine, Afghanistan und Syrien

von Norbert Dörholt

(21.06.2022)  Sorgfältig recherchiert, spannend formuliert und mit viel Empathie für die Leidtragenden zeichnen die Autoren, die Wiesbadenerin Hang Nguyen und der in der Nähe Frankfurts lebende UnternehmerJamal A. Qaiser, in ihrem Buch „Das Versagen des Westens in Afghanistan, Syrien und der Ukraine“ ein schonungsloses Bild der Auseinandersetzungen in diesen Ländern auf – aber nicht nur! Weit darüber hinausgehend handelt das Buch von den globalen Mechanismen der Macht.

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Jamal Qaiser
Foto: Privat
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Hang Nguyen
Foto: Privat
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Alle drei Länder stehen nämlich exemplarisch für das seelenlose Prinzip der Stellvertreterkriege. Hierbei werden die Machtspiele der Supermächte in Regionen verlagert, die als „Austragungsorte“ für grausame Kriege herhalten. Qaiser spricht sich auch gegen Waffenlieferungen in die Ukraine aus und kritisiert den Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.

Der 49-Jährige erklärt, seine Co-Autorin und er hätten nicht tagtäglich mit einer Intervention Russlands in die Ukraine gerechnet. Als es passierte, „wunderten wir uns aber nicht“. Der russische Präsident Wladimir Putin habe schließlich mehrfach erklärt, eine Mitgliedschaft der Ukraine in der NATO käme dem Schritt über den Rubikon gleich.

Die 1990 von Russland in die Unabhängigkeit entlassene frühere Sowjetrepublik habe seit 2019 in ihrer Verfassung stehen, Staatsziel sei es, dem westlichen Militärbündnis beizutreten. „Das klingt so skurril, als stünde im Grundgesetz, erstrebenswert sei es, dass sich alle Bundesbürger bei der HDI-Haftpflicht versichern“.

Qaiser erwähnt das Militärmanöver vom September 2021 im Westen der Ukraine, als einheimische Verbände auch mit US-Soldaten übten. Russland hätte der Osterweiterung der NATO stets schlecht gelaunt und tatenlos zugeschaut, „sämtliche ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten und die früheren baltischen Sowjetrepubliken sind längst drinnen“. Qaiser wertet die Expansion als Bruch der USA ihrer Vereinbarung mit dem damaligen sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow.

Der Autor erwähnt Jack Matlock, 1990 US-Botschafter in Moskau, der wiederum an ein Gespräch zwischen dem damaligen amerikanischen US-Außenminister James Baker und Gorbatschow erinnerte, als es um die deutsche Vereinigung ging. Laut Matlock schlug Baker Präsident Gorbatschow vor, die NATO-Mitgliedshaft von Gesamtdeutschland zuzulassen. Unter den Umständen dehnte sich die NATO nicht weiter nach Osten aus, „nicht einen Zentimeter“. Gorbatschow versprach, darüber nachzudenken, mit dem Hinweis, dass „jede Nato-Erweiterung nach Osten selbstverständlich inakzeptabel wäre“.

„Das Ergebnis ist bekannt“, betont Qaiser und erklärt, der Westen begeistere sich nur dann für freie Bündniswahl, „wenn es darum geht, ein neues Land in die NATO aufzunehmen“. Aktuell habe die Inselgruppe der Salomonen ein Bündnis mit China geschlossen, „und schon drohen die USA dem 12000 Kilometer entfernt liegenden Staat, falls China dort einen Militärstützpunkt errichte“.

Er halte den Einmarsch Russlands in die Ukraine für eine Katastrophe, „aber die Ursachen zu verstehen, bedeutet schließlich nicht, die Folgen zu billigen. Mir wäre es viel lieber gewesen, Putin hätte gesagt, 'bitte, liebe USA, nehmt euch auch die Ukraine'. Krieg ist das schrecklichste, was es gibt“. Qaiser, der sich als globaler Friedensaktivist versteht, betont, Russland definiere sich als Großmacht, ob das dem Westen passe oder nicht. Der Autor wirft den USA vor, mit der geplanten Aufnahme von Schweden und Finnland weiter Öl ins Feuer zu gießen, „ein dritter Weltkrieg wäre auch für die Amerikaner Selbstmord“.

Beide Seiten könnten das Sterben in der Ukraine beenden, „Russland und die USA“. Für Russland sei ein Rückzug jedoch keine Option, „diese Illusion macht sich auch im Westen niemand“. Qaiser will nicht glauben, dass die Telefonate zwischen Scholz und Putin so infantil ablaufen, wie hinterher refrainartig behauptet: „Scholz verlangt das Ende der Kämpfe, Putin lehnt ab.“

Mit den Sanktionen agiere Europa gegen die eigenen Interessen, „letztlich drängt man Russland nur dazu, sich immer fester an China zu binden“. Die USA wollten den Krieg solange wie möglich in die Länge ziehen. Durch seine Kontakte in UNO-Kreise könne er den Witz bestätigen, der in Washington kursiere, „wir kämpfen bis zum letzten Ukrainer“.

Den Hype um Wolodymyr Selenskyj teile er nicht, „Selenskyj opfert Menschen für einen Krieg, den Russland nicht verlieren darf und die Ukraine nicht gewinnen kann“. Ein Staatschef, dem es um sein Land ginge, „der würde Präsident Biden anrufen und verlangen, Russland vertraglich zuzusichern, 'die Ukraine in den nächsten 200 Jahren nicht in die NATO aufzunehmen. Ansonsten kapitulieren wir'“. Ohnehin könne niemand voraussagen, wie die Welt in 50 Jahren aussehe, „Biden wird Geschichte sein, Putin auch, aber die Kinder, die den Krieg gerade erleben, die durchleben dann ihre Traumata“.

Der Krieg schade allen, Europäern, Russen „aber am allermeisten natürlich den Ukrainern“. Wer sich freue, seien vor allem die Aktionäre von Rüstungskonzernen, „deren Hausse zahlen die europäischen und amerikanischen Steuerzahler“.

(“Das Versagen des Westens in Afghanistan, Syrien und der Ukraine”, Paperback, 9. Februar 2022, Autor Jamal Qaiser, Co-Autorin Hang Nguyen,
Kindle Edition € 9.99, Paperback € 14.99, https://www.amazon.de/-/en/Hang-Nguyen/dp/3947818971/ref=sr_1_4?qid=1655718327&refinements=p_27%3AJamal+Qaiser&s=books&sr=1-4)