Letzte Aktualisierung: 11.01.2025
Das Germanistan-Paradox
Ein Buch über den Weg von der Ideologie zur Idiotie
von Norbert Dörholt
(07.02.2024) Der Titel des Buches verrät schon Einiges: „Durchs irre Germanistan – Notizen aus der Ampel-Republik“. Geschrieben haben es zwei renommierte Autoren, Henryk M. Broder und Reinhard Mohr. Man könnte es auch „Von der Ideologie zur Idiotie“ titeln. Wir hatten in Frankfurt-Live schon auf dieses „Muss“ auf dem deutschen Büchermarkt hingewiesen, wollen aber noch ein wenig länger dabei verweilen und in loser Folge Textauszüge veröffentlichen, weil es gar zu schön geschrieben ist.
Die jeweiligen Kapitel über Personen und Zustände sind kurz gefasst und die Texte mit einem kräftigen Schuss Humor gewürzt. „Leider gehört auch Humor zur Mangelware in der Ampel-Republik, denn Ironie passt nicht zur woken, politisch korrekten, achtsamen, diversen und nachhaltigen Gesellschaft, die niemanden zurücklassen will und eben deshalb nicht vorwärtskommt“, haben die Autoren selbst zum Thema Humor angemerkt. Als Leseprobe haben wir dieses Mal einen Beitrag zum Frage, warum so viele Deutschtürken Erdogan wählen, ausgesucht. Unter dem Titel „Das Germanistan-Paradox“ ist dort Folgendes zu lesen:
Als auch in der zweiten Runde der Präsidentenwahl in der Türkei im Mai 2023 eine Mehrheit der hier lebenden wahlberechtigten Deutschtürken dem Diktator Erdogan ihre Stimme gaben – in Metropolen wie Stuttgart und Essen waren es über 70 Prozent derer, die in die Wahllokale der Konsulate strömten –, wurde das in der Öffentlichkeit fast schon als Normalität der bunten Einwanderungsgesellschaft abgehakt. War immer so, bleibt so.
Das ändert sich auch nicht mithilfe Hunderter Integrationsbeauftragter, staatlich finanzierter Demokratieförderinitiativen und Antifa-Gruppen, die nach den Rechten sehen. Die Affinität zu Erdogan scheint eine liebenswerte Marotte unserer türkischen Mitbürger zu sein, Teil der Multikulti-Folklore wie Döner und Köfte. »Als Nicht-Betroffener ist es leicht, sich über die Erdogan-Wähler und ihre Motive zu erheben. Man sollte diesem Versuch widerstehen«, mahnte der Spiegel, der nicht immer so verständnisvoll auf »rechte Tendenzen« in der Gesellschaft reagiert.
Im ZDF-Morgenmagazin sprach immerhin ein Betroffener. Murat, geschätzt 30 Jahre alt, sagte in einer natürlich nur von Männern besuchten Teestube in Duisburg-Marxloh: »Erdogan muss gewinnen, Inschallah, das ist gut für die Türkei und die ganze islamische Welt!« Andere Betroffene veranstalteten in Dortmund, Essen und anderswo Autokorsos mit türkischen Fahnen. Einige zeigten dabei den Gruß der rechtsextremen »Grauen Wölfe«.
Neu war die Begründung für dieses erklärungsbedürftige Verhalten: Die Deutschen sind schuld, jedenfalls die, die die Türken im Land schlecht behandeln! Wie viele das sein sollen, weiß niemand, aber die These ist in der Welt. Auch Cem Özdemir, grüner Bundeslandwirtschaftsminister, hängt ihr an.
Soziologische Studien darüber liegen nicht vor, aber man kann vermuten, dass die Kausalkette ungefähr so geht: Zwar leben fast drei Millionen türkischstämmige Menschen über Jahrzehnte in der Bundesrepublik, viele davon mit doppelter Staatsbürgerschaft, aber sie fühlen sich nicht richtig akzeptiert und integriert. Deshalb, wo[1]möglich aus Trotz oder aus einer besonderen Form stolzer Heimatverbundenheit, wählen sie den starken Mann am Bosporus, der seine politischen Gegner ins Gefängnis wirft, die freie Presse so gut wie abgeschafft hat, die Wirtschaft ruiniert und die Kurden bombardiert.
Angesichts der Entscheidung »zwischen dem Wiederaufbau einer zerfledderten säkularen Republik auf der einen Seite und einer Mischung aus Gangstertum, Islamfaschismus und extremem Nationalismus auf der anderen« votierten die Deutschtürken für Letzteres – so formulierte es der Journalist Deniz Yücel, den Erdogan 2017 fast ein Jahr lang grundlos und ohne Anklage in Untersuchungshaft nehmen ließ. Sein türkischer (Doppel-)Pass war ihm zum Verhängnis geworden.
Der Berliner Soziologe Dr. Özgür Özvatan, Dozent an der Berliner Humboldt-Universität für »Integrations-, Extremismus-, Umwelt- und Demokratieforschung«, erklärt derweil die »Deutschen« für schuldig, auch wenn unter ihnen bald ein Drittel einen »Migrationshintergrund« hat. Die Türken wählten Erdogan »als Antwort auf den anti-muslimischen Rassismus in Deutschland«, resümierte der Integrations-, Extremismus-, Umwelt- und Demokratie-Fachmann in der Berliner Zeitung.
Wir haben zwar keine Ahnung, wo, wie und warum sich dieses Phänomen derart flächendeckend und wirkmächtig ausgebreitet hat, aber wir versuchen zu verstehen: Die logische Antwort auf – womöglich auch ressentimentgeladene – Kritik am Islam, die mit Rassismus allerdings nichts zu tun haben kann, weil der Islam keine Rasse, sondern eine Religion ist, besteht also in der absichtlichen Stärkung des Islamismus? Nebenbei: Die Phrase vom »antimuslimischen Rassismus« stammt wie der Begriff »Islamophobie« aus dem Waffenarsenal der radikalen Islamisten, denen Toleranz und kulturelle Vielfalt so fremd sind wie die Gaudi auf dem Münchner Oktoberfest.
Aber wir hätten da noch ein paar Fragen: Warum entscheiden sich die Deutschtürken nicht für die demokratische Opposition in der Türkei, die nicht weniger patriotisch ist als die Erdogan-Clique? Und warum steigt die Zahl türkischer Asylbewerber in Deutschland seit Monaten stark an? Wann wäre das Gefühl der Erdogan-Wähler, in Deutschland akzeptiert zu werden, eigentlich stark genug, um sich einmal für eine demokratische Alternative zu entscheiden? Und woran misst man das? Wenn allerdings die Antidiskriminierungsstelle des Bundes unter Leitung der Rassekundlerin und »Kartoffel«-Expertin Ferda Ataman die Aufgabe übernehmen sollte, könnte Erdogans Amtszeit theoretisch bis ins nächste Jahrhundert reichen. Die einfache Wahrheit aber ist: Sie wählen Erdogan, weil sie ihn als Präsidenten »ihrer« Türkei wollen.
Hier drängt sich das Phänomen auf, das man Germanistan-Paradox nennen könnte. Es trägt Züge von Schizophrenie. Deutschland ist seit vielen Jahren Zufluchtsort für Millionen Einwanderer und Flüchtlinge, die Freiheit und Sicherheit suchen, aber auch Wohlstand und eine Lebensperspektive, die es in ihren Heimatländern für sie nicht zu geben scheint. Gleichzeitig werden linksgrüne Aktivisten, allen voran Antifa- und Flüchtlingsinitiativen, nicht müde, den »strukturellen Rassismus« in Deutschland anzuprangern und Polizei wie Justiz und andere »reaktionäre Kräfte« als willige Vollstrecker einer »Abschreckungs- und Abschottungspolitik« zu attackieren, während de facto immer mehr »Schutzsuchende« in den längst überforderten Städten und Gemeinden untergebracht werden müssen.
Schon rätselhaft, dass nach dem Motto »Keine Obergrenzen!« immer mehr Flüchtlinge in jenes Land kommen sollen, das bis zur Halskrause voller Rechtspopulisten und Nazis, Rassisten und Sexisten steckt.
So ergibt sich das Bild einer Republik, die ständig vor sich selbst warnen muss. Und Erdogan weiß, wie man die Deutschen an ihrer schwachen Stelle packt. Wiederholt zeigte er sich alarmiert von den deutschen »Nazi-Praktiken«: »Was geschieht, ist Nazismus. Was geschieht, ist Faschismus«, sagte er im September 2017. Da zucken alle zusammen und fühlen sich irgendwie schuldig, auch wenn diese Unverschämtheiten von einem skrupellosen Islamfaschisten kommen.
Und so geschieht es, dass die Kritik am Wahlverhalten der Deutschtürken stets sehr zurückhaltend ausfällt. Man will schließlich kein Rassist sein – erst recht nicht nach der Mordserie des »NSU« und dem Amoklauf in Hanau –, der die sowieso schon diskriminierte Minderheit »von oben herab« behandelt.
Das macht man dann lieber mit jener wachsenden ostdeutschen Minderheit, die AfD wählt, Putin verteidigt und sich nach einem starken Mann sehnt.
Vielleicht genau so einen wie Erdogan.“
(„Durchs irre Germanistan – Notizen aus der Ampel-Republik“, ISBN-Nummer lautet 978-3-95890-593-1, Europa-Verlag München, 20 Euro)