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Letzte Aktualisierung: 24.04.2024

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Buchrestitution an die Jüdische Gemeinde Frankfurt

von Ilse Romahn

(17.09.2021) Der differenzierten Auseinandersetzung mit der Herkunft von Objekten in Museumssammlungen kommt eine immer wichtigere Rolle zu. Mit den sogenannten „Washingtoner Prinzipien“ wurde 1998 erstmals eine internationale Vereinbarung formuliert, die Maßgaben zur Suche und Identifizierung von Kulturgütern definierte, die vor allem jüdischen Opfern des Nationalsozialismus abgepresst und geraubt worden waren.

Restitution eines Buches an die Jüdische Gemeinde Frankfurt am Main, Dr. Kathrin Pieren, Marc Grünbaum
Foto: David Bachar
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Seither rückt die Prüfung von Provenienzen – die Herkunft von musealen Kulturgütern – stärker in den Mittelpunkt von öffentlicher Aufmerksamkeit, Kulturpolitik und der Museumswelt.

Provenzienforschung legt Weg des Buchs ins Museum offen
Das Jüdische Museum Westfalen hat im Rahmen eines durch das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste geförderten Forschungsprojektes unter anderem ein historisches Buch identifiziert, das aus der Bibliothek der Israelitischen Gemeinde Frankfurt am Main stammt. Dabei handelt es sich um die Populär-wissenschaftliche(n) Monatsblätter. Zur Belehrung über das Judentum für Gebildete aller Konfessionen, eine kulturhistorische Zeitschrift des Mendelsohn-Vereins aus Frankfurt am Main, die der jüdische Theologe Adolf Brüll (1846-1908) Ende des 19. Jahrhunderts herausgab. Die 10 gebundenen Monatsheftchen für das Jahr 1891 beinhalten Aufsätze, die aus religiös-kultureller Perspektive, Aspekte der jüdischen Religion reflektieren und Glaubenstradition in Beziehung zur jüdischen Lebenspraxis setzen. Das Jüdische Museum Westfalen erwarb das Exemplar beim Aufbau seiner Sammlung im Jahr 1988 über ein Antiquariat in Münster.

Besitzerstempel geben Aufschluss
Im Einband des Buches konnten zwei aufschlussreiche Besitzerstempel identifiziert werden. Ein Stempel weist auf die „Bibliothek der „Israelitischen Gemeinde Frankfurt am Main“ als ursprüngliche Besitzerin hin. Als materieller Erinnerungsträger ist das Exemplar eines der wenigen erhaltenen historischen Dokumente aus der am 6. November 1942 von den Nationalsozialisten aufgelösten Israelitischen Gemeinde Frankfurt am Main. Die auf dem Fundament der Israelitischen Religionsschule und der Hermann Cohen Sammlung aufgebaute Bibliothek der damaligen jüdischen Gemeinde Frankfurt, umfasste im Jahr 1937 einen Bestand von nahezu 15.384 Exemplaren und bildete einen wichtigen kulturellen Lernort.

Ein Fotovergleich des Gemeindestempels mit einer historischen Aufnahme in der Datenbank fold3 bestätigte den Verdacht, dass es sich bei dem Buch um „NS-Raubgut“ handelt. Im Offenbach Archival Depot, der zentralen Sammelstelle für jüdische Kulturgüter nach 1945, dokumentierte der Direktor Joseph A. Horne (1911-1987) den Stempel in der Kategorie looted books (geraubte Bücher).

Auf der Innenseite des Bucheinbandes findet sich auch ein violetter Stempel mit dem hebräischen Wort הוצא (= herausgenommen). Es liegt nahe, dass das Buch nach der Dokumentation im Offenbach Archival Depot um 1949 als „Outshipment“ (Ausfuhr) durch die jüdische Treuhandorganisation Jewish Cultural Reconstruction nach Israel überführt wurde, dort in einen Bibliothekbestand kam und später in den Handel gelangte. Viele Bücher aus israelischen Beständen tragen diesen Stempel.

Den Washingtoner Prinzipien verpflichtet
Den Washingtoner Prinzipen verpflichtet, setzen die Jüdische Gemeinde Frankfurt am Main, die ideelle Rechtsnachfolgerin aller in Frankfurt vor dem Nationalsozialismus ansässigen jüdischen Gemeinden, und das Jüdische Museum Westfalen, dass das Buch im Rahmen einer Restitution am 2. September 2021 um 16.30 Uhr in den Gemeindebesitz zurückgibt, dem Unrecht ein wichtiges Symbol entgegen.

Wichtiges Zeichen gegen Unrecht und für Transparenz
Die Jüdische Gemeinde Frankfurt am Main und das Jüdische Museum Westfalen möchten mit der Rückgabe für einen transparenten Umgang mit Objekten belasteter Provenienz sensibilisieren und der moralischen Verantwortung gegenüber jüdischen Kulturgütern gerecht werden.

Marc Grünbaum, Mitglied des Vorstands der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main: „Es ist ein besonderes Ereignis für uns von der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main, heute ein Buch aus dem Bestand der Bibliothek einer unserer beiden Vorgängergemeinden restituiert zu bekommen. Dies schafft eine Verbindung zur Geschichte unserer Gemeinde, die ich für wichtig erachte. Wir gehen davon aus, dass sich weitaus mehr Kulturgüter der Israelitischen Kultusgemeinde und der Israelitischen Religionsgesellschaft in fremden Beständen finden. Ich würde mir wünschen, dass der Schritt, den das Jüdische Museum Westfalen heute getan hat, Vorbild für die vielen anderen Institutionen ist, ihre Bestände zu prüfen. Dazu gehört neben guten Absichten seitens der Institutionen deren bessere finanzielle Ausstattung, um die personal- und zeitintensive Provenienzforschung vorantreiben zu können.“

Dr. Kathrin Pieren, Leiterin des Jüdischen Museums Westfalen: „Dank der großzügigen Förderung des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste war es auch unserem kleinen Haus möglich, eine Stelle für Provenienzforschung einzurichten. Die Resultate der bisherigen Forschung haben unseren Verdacht bestätigt, dass es leider auch in unserer Sammlung NS-Raubgut gibt. Umso mehr freut es uns, dass wir diese Restitution vornehmen und damit den Bibliotheksbestand der Jüdischen Gemeinde Frankfurt um ein Werk ergänzen können, das auf die lange Geistesgeschichte der Frankfurter Juden und Jüdinnen verweist. Mit dieser symbolischen Geste hoffen wir auch, die breitere Öffentlichkeit an den immer noch wenig bekannten systematischen Raub von Büchern und Kulturgütern aus jüdischem Besitz durch die Nationalsozialisten zu erinnern.“

www.jg-ffm.de