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Letzte Aktualisierung: 16.04.2024

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Betriebshof Gutleut: Neue Gleise, neue Weichen – Straßenbahnen vorübergehend dezentral abgestellt

Organisatorische Herausforderung für den Fahrdienst – Keine Auswirkungen auf Fahrplan

von Ilse Romahn

(13.10.2020) Von Montag, 19. Oktober, an wird die Verkehrsgesellschaft Frankfurt am Main (VGF) den Betriebshof Gutleut wegen der Modernisierung von Weichen und Gleisen vom Netz nehmen. Die dort stationierten Straßenbahnen werden auf andere Anlagen verteilt, um den Betrieb aufrecht zu halten; für Fahrgäste soll der Gleisbau deshalb keine Auswirkungen haben.

Während der Arbeiten, die bis ins erste Quartal 2021 dauern, bleibt die zum Betriebshof gehörende Werkstatt anfahrbereit und wird geplante und notwendige Arbeiten an den Straßenbahnen fortsetzen.

Wie die Betriebshöfe Heddernheim (1910) und Eckenheim (1911) wurde das Straßenbahn-Depot Gutleut zu Beginn des 20. Jahrhunderts eröffnet: Seit 16. Juni 1919 wurde es von der Städtischen Straßenbahn als Betriebshof Gneisenau genutzt. Da war die Anlage schon drei Jahre alt, doch die 1916 fertig gestellten Hallen wurden im ersten Weltkrieg zunächst durch die Kriegsleder AG fremdgenutzt. Erst danach zogen Straßenbahnen, in den 1920er Jahren auch Omnibusse, ein.

Gleisbau, Weichenbau und mehr
Ganz so alt sind die Schienen und Weichen, die heute auf dem Gelände des Betriebshofs liegen, nicht. Aber mit einem Alter zwischen 35 und 43 Jahren sind sie doch in die Jahre gekommen, um eine umfassende Modernisierung zu rechtfertigen. Denn die Anlage soll fit für die Zukunft sein, wenn im kommenden Jahr die ersten „T“-Wagen, Frankfurts neueste Straßenbahn-Generation, vom Gutleut aus eingesetzt werden.

Deshalb beginnt die VGF am Montag, 19. Oktober, mit einer umfangreichen Sanierung: Sie tauscht Schienen auf einer Länge von 2738 Metern, 29 Weichen und rund 4200 Meter Fahrdraht – inklusive 22 Oberleitungsmasten – aus. Die Arbeiten, von denen die zweigleisige Zufahrt von der Mannheimer Straße, das gesamte Gleisfeld vor den Hallen sowie die Einfahrten zu den 27 Gleisen – davon vier Werkstattgleisen – betroffen sind, sollen Ende März 2021 abgeschlossen sein. Einkalkuliert hat die VGF in diesen Zeitplan eine 14-tägige Winterpause und einen zeitlichen Puffer für Unvorhergesehenes.

In Verlauf der Arbeiten bewegen die VGF und die insgesamt 25 beteiligten externen Firmen viel Boden und Material: 13.300 Tonnen Erde, 1770 Kubikmeter Beton, 5410 Quadratmeter Asphalt. Dazu kommen 3650 Ankerbolzen, die verschweißt, und 334 Schweißstöße – mit ihnen werden Gleisstücke verbunden –, die erstellt werden müssen. 5350 Meter Leerrohre werden unterirdisch verlegt und 98 Schächte gebohrt, beides für diverse Kabel, unter anderem für Weichenheizungen, Betriebshofbeleuchtung und Strom. Ein neuer Abwasserkanal von 780 Meter entsteht, er ist Teil eines neuen Entwässerungssystems auf der Nordseite des Betriebshofs, da durch Verschiebung einiger Weichen das alte nicht mehr genutzt werden kann. Und last not least werden auch 132 Meter Zaun erneuert.

Die Arbeiten finden Montag bis Samstag in der Zeit von 5 bis 22 Uhr statt, Nachtarbeiten sind nicht vorgesehen. Ausnahme: Die letzte Bauphase im Frühjahr 2021, wenn der Gleiswechsel auf der Mannheimer Straße ausgetauscht wird. Das liegt daran, dass hierfür auch die Heilbronner Straße gesperrt werden muss. Das soll rund 14 Tage dauern.

Die Kosten des Mammut-Projekts – tatsächlich ist die nahezu komplette Gleis- und Weichenerneuerung eines aktiven Betriebshofs in Deutschland in diesem Umfang eine absolute Seltenheit – belaufen sich auf rund acht acht Millionen Euro.

Betriebshof Gutleut
Bei dem Projekt geht es nicht nur um eine möglichst schnelle Sanierung der Gleis- und Weichenanlagen, sondern auch darum, den Straßenbahn-Betrieb mit so wenigen Auswirkungen auf die Fahrgäste wie möglich aufrecht zu halten. Neben acht Museums-Bahnen und acht alten Anhängern sind in Gutleut nämlich vor allem 97 im Linienverkehr eingesetzte Straßenbahnen stationiert, darunter Fahrzeuge der Baureihen „R“, „S“ und „Pt“. Das heißt: Hier werden die Bahnen in der ohnehin kurzen Betriebspause nicht nur abgestellt, hier werden vor allem die sogenannten Fristen erledigt, also in regelmäßigen Abständen wiederkehrende Untersuchungen der Bahnen, ohne die ihr Betrieb nicht genehmigt wäre. Dazu kommen ungeplante Instandhaltungen – Reparaturen kleinerer Unfallschäden, Beseitigung von Vandalismusschäden –, Innen- und Außenreinigung, zurzeit auch die Corona-Desinfektion in den Bahnen.

Besondere Herausforderung
Die Herausforderung des Projekts liegt in der zentralen Rolle, die ein funktionierender und voll ausgestatteter Straßenbahn-Betriebshof – in der VGF-Welt als „BH“ bezeichnet – für den Tram-Betrieb spielt. Die oben genannten Arbeiten werden für 105 Bahnen in Gutleut zentral vorgenommen, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Während des Gleisbaus muss ein Teil dieser Tätigkeiten also dezentral geleistet werden, da die Bahnen an drei verschiedenen Stellen im Netz abgestellt werden: am Stadion, im Betriebshof Ost und im teilweise reaktivierten alten Betriebshof Eckenheim. In Eckenheim hat die VGF dafür eine provisorische Werkstatt eingerichtet, die laufende Arbeiten und kleinere Reparaturen erledigen kann. Hierzu wird die „Gutleut-Nachtschicht“ zwischen 18 und 6 Uhr nach Eckenheim verlegt.

Für große Arbeiten bleibt die Werkstatt in Gutleut offen und nachts auch anfahrbar. Dort werden tagsüber die geplanten Arbeiten an Straßenbahnen – die genannten Fristen – vorgenommen, für die das Provisorium Eckenheim nicht ausgerüstet werden kann. Das wiederum heißt: Nachts zwischen 1 und 4 Uhr werden ein bis vier Bahnen, an denen für den nächsten Tag „Fristen“ vorgesehen sind, über ein Gleis nach Gutleut gefahren, andere Fahrzeuge, an denen diese Arbeiten abgeschlossen wurden, kehren nachts zu den ihnen zugewiesenen dezentralen Abstellanlagen zurück.

Auf der Mannheimer Straße und den Nebenstraßen wird die Verkehrsführung in diesem Zeitraum den Überführungsfahrten angepasst. Die Regelung ist ausgeschildert, die VGF hat hierzu eine Anwohner-Information vorbereitet.

Betriebshof Eckenheim
Die Werkstatt im 1911 eröffneten Betriebshof Eckenheim wurde im Sommer 2003 für den Regelbetrieb geschlossen, Teile der alten Einrichtung wurden für Rollkuren an „S“- und „U5“-Wagen genutzt. Das Depot dient sonst als Abstellanlage, wurde aber nicht verkauft. Jetzt werden bis März für 42 bis 45 Straßenbahnen nicht nur Teile der 30 überdachten Abstellgleise wieder genutzt, sondern auch die Werkstatt provisorisch wiederbelebt. Hierzu waren eine gründliche Reinigung, Prüfung von Gleisen und Weichen sowie die Ausstattung mit Werkzeug und Material notwendig. Dazu kamen Aufbau und Ausstattung von Containern mit Sozialräumen für die Werkstatt-Mannschaft und die Schaffung von Parkplätzen für die Mitarbeiter in ausreichender Zahl.

Eine Besonderheit: Gutleut verfügt über eine Unterflur-Drehbank, auf der die Räder der Straßenbahnen geschliffen werden. Dies führt zu einem geschmeidigeren Lauf und einer größeren Laufruhe, außerdem wird damit der Verschleiß verringert. Für Eckenheim hat die VGF eine mobile Drehbank gemietet, die am 12. Oktober aufgebaut worden ist, da auf das Schleifen der Radsätze während der Bauzeit nicht verzichtet werden kann.

Betriebshof Ost und Stadion
Der 2003 eröffnete Betriebshof Ost verfügt nicht nur über eine solche Drehbank, sondern auch über alle anderen Einrichtungen, die für einen Straßenbahn-Betrieb nötig sind – von der Werkstatt über eine Waschanlage bis zu Abstellgleisen. Von den 119 für den Linien-Einsatz vorhandenen Straßenbahn-Wagen der VGF stehen regulär 22 im Riederwald, mit circa 20 Bahnen aus Gutleut wird die Kapazität vorübergehend ausgeschöpft. Die große Gleisanlage am Stadion wiederum wird normalerweise nur bei Veranstaltungen genutzt, jetzt wird sie vorübergehend zu einer weiteren Abstellanlage. Hier findet die Reinigung der Innenräume von rund 26 übernachtenden Fahrzeugen statt.

Die VGF geht auf Grund des gültigen Wageneinsatzplans von rund 91 zu verlegenden Bahnen aus, obwohl in Gutleut 105 Fahrzeuge beheimatet sind. Die Differenz erklärt sich mit den Bahnen, die für „große“ Fristen und wegen Unfallschäden längerfristig in der Zentralwerkstatt in Rödelheim stehen.

Beteiligung fast des gesamten Unternehmens
Mit den Abteilungen Fahrweg, Systemtechnik, Fahrstromtechnik, Gebäudemanagement, der Geschäftsstelle BOStrab, den Stadtbahnwerkstätten, dem Betrieb Schiene, dem Betriebsmanagement, der Betriebsplanung;, mit Controlling, Rechnungswesen und Einkauf, dem Sicherheitstechnischen Dienst, Kundendienst und Vertrieb, dem Ordnungsdienst, dem Immobilienmanagement, den Fachbereichen Rechtsangelegenheiten und Organisationsentwicklung sowie der Unternehmenskommunikation sind zahlreiche Abteilungen der VGF auf die eine oder andere Art mit dem Vorhaben beschäftigt.

Herausforderung auch für den Fahrdienst
Ein Kraftakt ist das Vorhaben besonders für eine Abteilung, bei der das von außen zunächst nicht bemerkt wird und auch nicht bemerkt werden sollte: Für den Betrieb Schiene, zu dem die Fahrerinnen und Fahrer gehören, ist es eine enorme Umstellung und organisatorische Herausforderung, wenn 186 tägliche Dienste nicht zentral in Gutleut beginnen, sondern dezentral in Eckenheim, im Betriebshof Ost und am Stadion. Hier hat die VGF ein aufwendiges Konzept erstellt, für dessen reibungslose Umsetzung und das pünktliche Einfädeln aller Fahrzeuge ins Netz jeden Tag ein Rädchen ins andere greifen muss. Schließlich sollen Fahrgäste im Idealfall keine Auswirkungen der Arbeiten auf den Fahrplan mitbekommen. (ffm)