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Letzte Aktualisierung: 28.03.2024

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Auf Zähnen die Rigi hinauf

von Karin Willen

(18.09.2020) Kaum eine Stadt zeigt den Zusammenhang zwischen industrieller Revolution und Tourismus so deutlich wie LUZERN am Vierwaldstättersee. Im Mai 2021 feiern Stadt und Region 150 Jahre erste Zahnradbahn Europas. Ein Stadtportrait.

Bildergalerie
Wahrzeichen der Stadt Luzern: Kapellbrücke, im Hintergrund die Jesuitenkirche
Foto: Karin Willen
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Schiffsreise wie anno dazumal: Im Belle-Époque-Schaufelraddampfer über den Vierwaldstättersee
Foto: Karin Willen
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Blick von oben auf den Vierwaldstättersee: Bergfahrt im Belle-Époque-Salonwagen auf die Rigi
Foto: Karin Willen
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Blick vom "Känzeli" auf Rigi Kulm: Sonnenuntergang am Vierwaldstättersee
Foto: Karin Willen
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Mutige Tunnelbauer, innovative Bergbahnkonstrukteure, bestens geschulte Hotelmanager, präzise Uhren und die pünktlichsten Züge der Welt: Am Vierwaldstättersee stimmen die Klischees alle. Gut − als Thomas Cooks erste Pauschalreise in die Schweiz im Jahr 1863 auch über Luzern und auf die Rigi führte, ging das Reisen vielleicht noch nicht so reibungslos und bequem vonstatten. Auch Queen Victoria und ihre engere Entourage mussten fünf Jahre später noch mit Sänften und Mulis auf den Berg gebracht werden.

Bergauf mit Dampf

Doch die industrielle Revolution machte vor dem Tourismus nicht halt. 1871 fuhr Europas erste Zahnradbahn auf die Rigi. Wenn sich im Mai 2021 die Fahrt zum 150. Mal jährt, wird die weltweit noch einzige fahrbare Zahnraddampflok mit stehendem Kessel den Berg hinauffahren. Die legendäre Dampflokomotive Nr. 7 stand lange als Prunkstück im Verkehrshaus in Luzern. Von Mai nächsten Jahres an soll sie für drei Jahre Touristen nach Rigi Kaltbad und auf den Berggipfel Rigi Kulm bringen.

Wegen des sensationellen Panoramablickes auf den See und die Alpen gilt der Berg schon lange als Königin der Berge. Doch auch die anderen Berge um den Vierwaldstättersee rüsteten im 19. Jahrhundert mächtig auf. 1888 ging die erste elektrisch betriebene Bahn in Bürgenstock auf die Schiene. 1889 konnte man mit der steilsten Zahnradbahn der Welt auf den Hausberg Pilatus. Und auf dem See verkehrten bald prächtige Schaufelraddampfer mit schicken Belle-Epoque-Salons. Auch von ihnen sind heute noch Schiffe in Betrieb. Doch natürlich gab es auch weiterhin Bergenthusiasten wie Mark Twain, der die Rigi 1879 zu Fuß in drei Tagen erklomm.

Zeit der Pioniere, des Luxus und der Panoramen

Luzern, das mittelalterliche Städtchen am See mit der überdachten Holzbrücke, die zugleich Stadtbegrenzung war, entwickelte sich dank seiner Lage und des Geschickes seiner Stadtväter zum Trendziel. Das innovative Klima half auch dem Uhren- und Schmuckgeschäft Bucherer, das sich von seiner Keimzelle in der Altstadt aus seit 1888 ausbreitete.

Mit dem Aushub eines Tunnelbaus wurde die Seepromenade aufgeschüttet, unter deren Kastanienallee man heute noch gern flaniert. Sie wurde bald von stattlichen Belle-Epoque-Hotels gesäumt. Diese Grandhotels waren vornean bei den technischen Neuerungen wie elektrisches Licht, Heizungen, Personenlifte, Badezimmer, Telegraf- und Telefonverbindungen in der Schweiz. Und so lockten nicht nur Berge und der große See, auch eine quicklebendige Stadt machte von sich reden. Das wollte man sehen, wie das neue elektrische Licht die geschwungenen Fassaden nachts illuminierte und sich im Wasser spiegelte, zumal Eisenbahn und Dampfschifffahrt das Reisen einfacher machten.

Die Belle Époque wurde die Blütezeit des Tourismus in Luzern, eine Zeit der Pioniere, des Luxus und der Panoramen. Die letztgenannten malerisch-bühnenbildnerischen Vorläufer heutiger 3-D-Gestaltung waren so etwas wie Volksbelustigung und Geschichtsunterricht in einem, zu sehen am Bourbaki Panorama, das über einer damals topmodernen Stadtgarage mit Drehteller gebaut wurde.

Von Königen bis Schneidergesellen

Neben Queen Victoria und Mark Twain gehörten auch Richard Wagner, der Maler William Turner, Kaiser Wilhelm II. oder Bayerns Ludwig II. zu jenen, die den Vierwaldstättersee in der Hautevolee als Urlaubsziel begehrt machen. Aber auch so mancher zünftige Handwerker dehnte seine Walz in der Stadt der Lichter zeitlich kräftig aus. Etwa der Schneidergeselle Heinrich Willen aus Sögel im Emsland. Immerhin kam der Katholik mit neuen Fertigkeiten, Erfahrungen, Ideen und gefestigtem Weltbild zurück in die deutsche Provinz. Denn Luzern war nach der Reformation eine der wenigen katholisch gebliebenen Städte.

Wenn das Wetter einmal nicht mitspielte, genoss man einfach die künstliche Bergaussicht im Diorama beim Löwendenkmal. Heute heißt dieser Ort Alpineum und führt die Touristenattraktion mit Museen, Souvenirläden und Restaurants und dem bekannte Löwendenkmal sowie dem Gletschergarten weiter.

Die Stadt der kurzen Wege

Bei alldem sind die Wege kurz und Bahn, Dampfer und Bergbahn bestens miteinander vernetzt. Der Bahnhof selbst könnte zentraler nicht liegen: am Rande der Neustadt, die wie Paris und Berlin in der Belle Époque angelegt wurde. Über die Straße geht es zum Schiffsanleger, über die Brücke daneben in die Altstadt und zur Promenade mit ihren Grandhotels wie dem National, wo Cesar Ritz und Auguste Escoffier Hotelgeschichte schrieben oder dem Schweizerhof, wo viel Prominenz übernachtete. Die überdachte Kapellbrücke, die Jesuitenkirche, das Bourbaki-Panorama oder der Weinmarkt mit den üppig bemalten Fassaden der Häuser sind alle nicht länger als zehn Gehminuten entfernt. Auch dasmacht die Stadt für Touristen besonders attraktiv.

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Crowdfunding für die Lok Nr. 7

Damit die letzte betriebsfähige Dampflokomotive mit Stehkessel, die legendäre Dampflok Nr. 7 im Jubiläumsjahr wieder fahren kann, braucht es eben Wissen und Leidenschaft auch Geld. Deshalb hat die Stiftung Rigi Historic in Zusammenarbeit mit der Rigi Bahnen AG eine Crowdfunding-Aktion ins Leben gerufen. Noch bis zum 5. Oktober 2020 kann man unter folgendem Link www.funders.ch/lok7 für die Instandstellung einen finanziellen Beitrag leisten.

Weitere Auskunft: myswitzerland.com; luzern.com