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Letzte Aktualisierung: 28.03.2024

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Ambulante Versorgung in Zeiten von Corona

Planung mit mathematischer Optimierung für ländlichen Raum

von Blandina Mangelkramer

(10.05.2021) Forschende der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) und weiterer wissenschaftlicher Einrichtungen aus Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz untersuchen in einem vom BMBF geförderten Modellprojekt, wie sich die medizinische Versorgung im ländlichen Raum während der Corona-Pandemie sicherstellen und verbessern lässt. Mathematisch basierte Optimierungs- und Entscheidungssysteme sollen Krankentransporte, Apothekennotdienste und den Aufbau von Impfzentren unterstützen.

Eine alternde Gesellschaft, die Zentralisierung medizinischer Einrichtungen und knapper werdende Ressourcen – die ambulante medizinische Versorgung vor allem im ländlichen Raum steht vor großen Herausforderungen. Seit 2017 untersucht ein Konsortium von Forschenden der FAU, der RWTH Aachen, der TU Kaiserlautern und des Fraunhofer Instituts für Techno- und Wirtschaftsmathematik (ITWM) im vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekt „Health: Facility Location, Covering, and Transport“ (HealthFaCT), wie Apothekennotdienste, Notarztstandorte und Krankentransporte sich besser planen lassen.

Entwickelt werden dafür algorithmenbasierte Entscheidungssysteme, mit denen Leitstellen, Gesundheitsämter und Apothekerkammern unterstützt werden. „Die Optimierungsmodelle müssen praxisnah sein und einen fairen Zugang der Bürger zu medizinischer Versorgung sicherstellen“, sagt Prof. Dr. Frauke Liers vom Department of Data Science der FAU, die das Verbundprojekt koordiniert. Ein gemeinsames wissenschaftliches Manuskript wurde vor Kurzem eingereicht.

Versorgung unter Pandemiebedingungen

Wie wichtig eine sorgfältig geplante medizinische Versorgung ist, hat die Coronakrise in den vergangenen Monaten gezeigt. „Gestiegene Patientenzahlen, besondere Hygiene- und Schutzmaßnahmen und die Kompensation von krankheitsbedingten Ausfällen in den Versorgungseinrichtungen haben die Situation nochmals verschärft“, erklärt Liers. Um hilfreiche Tools auch für diese erschwerten Bedingungen zu entwickeln, wurde vom BMBF dem Projekt vor wenigen Monaten eine Aufstockung bewilligt: Auf HealthFaCT folgte HealthFaCT-Cor – wobei der Zusatz für „Corona“ steht.

Einer der Forschungsschwerpunkte ist die flächendeckende Versorgung der Menschen mit Arzneimitteln, die sich bereits vor Corona als Herausforderung erwies: Die Arzneimittelnachfrage der alternden Gesellschaft steigt, während die ohnehin niedrige Apothekendichte weiter abzunehmen droht. Um Versorgungslücken zu verhindern, wurden Optimierungsmodelle zur fairen Notdienstplanung und zur Standortplanung entwickelt. In der Pandemie gilt es nun, zusätzliche Einschränkungen – von quarantänebedingten Personalausfällen bis hin zur unvorhersehbaren Schließung von Apotheken – zu bewältigen.

HealthFaCT-Cor zielt darauf, die 24-Stunden-Versorgung mit Arzneimitteln sicherzustellen und eine Überlastung der Apotheker zu vermeiden. Gelingen soll dies unter anderem durch eine Zuweisung der Apothekennotdienste auf die Apotheken, so dass der Wegfall einzelner Apotheken weder die engmaschige Versorgung der Bevölkerung gefährdet noch zu einer grundlegenden Überarbeitung der Apotheker führt. Die Aachener Forschenden wurden von der Apothekerkammer Nordrhein unterstützt.

Eine völlig neue Herausforderung in der Corona-Krise ist die Planung von Impfzentren, mit der die Kaiserslauterner Forschenden im Herbst 2020 – also bereits vor der Zulassung bestimmter Impfstoffe – begonnen haben. Gemeinsam mit dem Robert-Koch-Institut wurde die Modellierung der strategischen Planung von Notarztstandorten aus dem Vorgängerprojekt adaptiert. Im Ergebnis entstand eine mathematisch fundierte Entscheidungsunterstützung für die Impfstoffverteilung, die gute Kompromisse bezüglich der Anreisedauer der Impflinge und der benötigten Standorte aufzeigt.

Krankentransport von infizierten und nicht infizierten Patienten

Der Beitrag der FAU am Verbundprojekt ist die Optimierung des Krankentransportwesens. „Die besondere Schwierigkeit in diesem Bereich liegt darin, dass dringende und kurzfristig bekannt werdende Ad-hoc-Transporte zu Verspätungen bei den planbaren Transporten führen“, erklärt Frauke Liers. „Solche Verspätungen können jedoch problematisch sein, etwa wenn Termine für Operationen oder die Dialyse angesetzt sind.“ In Zusammenarbeit mit der Integrierten Leitstelle Nürnberg und unter Verwendung historischer Einsatzdaten haben die Erlanger Forschenden planungsstabile Algorithmen entwickelt, durch die im Vergleich mit historischen Daten die Wartezeiten der Patienten deutlich verringert werden können.

Für die Transportlogistik unter Pandemiebedingungen wurden die Ergebnisse von Infektionsmodellen zugrunde gelegt und beispielsweise die Krankenwagen in Pools aufgeteilt: in solche, die ausschließlich für Patienten mit bekannter Covid-19-Infektion vorgesehen sind, und solche, die alle anderen Patienten transportieren. Ein paar Wagen „springen“ flexibel zwischen den Pools. Der Vorteil dieser Strategie ist unter anderem, dass nicht alle Wagen mit vielen Sets an Schutzausrüstung ausgestattet sein müssen. In die Modellierung werden darüber hinaus typische Szenarien einbezogen – etwa der erhöhte Bedarf an Krankentransportwagen nach der Krankenhausvisite.

Die Ergebnisse von HealthFaCT und HealthFaCT-Cor sollen künftig einen wertvollen Beitrag sowohl zur alltäglichen Planung im Gesundheitswesen als auch zur Bewältigung von Krisen leisten.

Originalpublikation:

https://www.researchsquare.com/article/rs-237619/v1