„Alcina“ von Georg Friedrich Händel. Eine durchgeknallte Zauberwelt.
Die Oper Alcina, 1735 in London uraufgeführt, ist Händels 34. von 42 Opern, immer noch sehr beliebt und sogar zeitlos. Regisseur Johannes Erath und Bühnenbildner sowie Kostümschöpfer Kaspar Glarner, Bibi Abel mit ihren Videos und Lichtmeister Joachim Klein überraschten in der Oper Frankfurt mit einem grandiosen Zaubertheater, das das Publikum in Atem hielt. Unentwegt Lug und Trug in der Liebe, feine sexuelle Momente.

Foto: Renate Feyerbacher
Schwarz die monumentale Bühne, davor das Bett, aus dem Alcina steigt und die hochhackigen orangefarbigen Pumps anzieht. Im Bett liegt noch Ruggiero, den sie auf die Insel lockte und verzauberte. Hin und wieder drückt sie das Kissen neckisch auf Ruggieros Gesicht. Sie scheint ihn zu lieben. Wie schlafwandlerisch verlässt er das Bett, geht umher, weiß nicht, was mit ihm ist. Alcina hat ihn nicht, wie all die anderen Männer, die als Eindringlinge auf die Insel kamen und ihre Geliebten wurden, in Blumen, Felsen oder Tiere verwandelt. Sie hat sie entsorgt, als sie ihrer überdrüssig war. Sie sitzen quasi ständig auf der Bühne, mal mit Gaze verdeckten Köpfen, mal als Clowns und immer wieder eingreifend ins Geschehen. So attackieren sie Ruggiero einmal geradezu brutal und dieser greift einmal sogar zur Pistole, das ist irritierend.
Ruggieros Verlobte Bradamante und Berater Melisso landen auf der Insel. Sie, die sich als ihr eigener Bruder Ricciardo ausgibt, sucht ihn, wird aber von ihm nicht erkannt. Selbst als sie sich ihm zu erkennen gibt, glaubt er ihr nicht und gesteht, dass er Alcina verfallen ist.
Mit der Verkleidung von Bradamante beginnen die durch Zauber verzwickten Liebesturbulenzen - ständig Lug und Trug. Schließlich hört Ruggiero auf den Rat von Melisso. Er solle auf die Jagd gehen und fliehen, weil Alcinas Reich nur eine Täuschung ist. Ihm gelingt es, sich aus Alcinas Zauberwelt zu befreien und mit Bradamante zu fliehen. Irritierend ist auch, dass Bradamante längere Zeit mit einem schwarzen Kanister auf der Bühne steht. Schließlich umkreist sie Menschen und Dinge und schüttet dabei Schwarzpulver aus dem Kanister. In diesen gewaltvollen Zeiten verstörend.
Vergeblich ruft Alcina ihre Dämonen zu Hilfe. Aber sie gehorchen ihr nicht mehr. Die Liebe zu Ruggiero hat ihr System zerstört, ihre Welt zerfällt.
Die Paare finden wieder zueinander. Ist es wirklich Liebe oder Flucht aus der Einsamkeit?
Dramaturg Zsolt Horpácsy hat im Vorgespräch Regisseur Erath gefragt, ob das Ende von Alcinas Welt ein Bruch mit den Illusionen oder Untergang oder Chance ist.
Erath: „Es muss immer eine Chance geben, sonst können wir nicht weitermachen. Das gehört zum Leben dazu. Und auch, wenn viele Leute versuchen, uns diese Hoffnung auszutreiben, müssen wir sie uns bewahren. Sonst würden wir denen ja Recht geben.“ (Programmheft S. 14)
Seine Regieideen sind bewundernswert. Da lässt er die als Ricciardo verkleidete Bradamante von Oronte, der zum Clown mutierte, im Zirkus-Kasten zersägen, als wäre man im Frankfurter Tigerpalast. Grandios Katharina Magiera, die tapfer weitersingt. Ihr dunkler Mezzosopran gibt dieser Rolle überzeugenden Wohlklang. Nie steht eine Sängerin oder Sänger sozusagen da und singt nur einfach ins Publikum. Immer sind sie in Bewegung und tun etwas. Manchmal sitzen sie oder auch die entsorgten Männer, die übrigens keine Nebensache sind, vorne auf einer langen Bank, steigen übereinander. Oronte liebt es, einen Reif kreisen zu lassen und natürlich dabei wunderbar zu singen. Auch das Spiel von Michael Porter herrlich-burlesk und erfrischend. Morgana, Alcinas Schwester, die mit Oronte wieder vereint sein will, setzt der Regisseur auf eine Schaukel, an der Luftballons hängen. Die bolivianische Sopranistin Shelén Hughes als Morgana gibt ihr Debüt an der Frankfurter Oper. Die junge Sängerin, die bereits einige Bühnenerfolge weltweit vorweisen kann, ist stimmlich und schauspielerisch ausgezeichnet. Betörend ihre Koloraturen.
Der Star des Abends ist zweifellos Monika Buczkowska-Ward als Alcina. Auch sie, Ensemblemitglied seit vier Jahren, ist ständig in Aktion. Langsam rafft sie den langen Tüllschleier zusammen, stülpt ihn über ihren Kopf und singt. Großartig sind ihre Stimmvariationen: mal leidet sie, mal grummelt sie, mal wütet sie. Schließlich aber begreift sie, dass ihre Welt untergeht. Monika Buczkowska-Ward, die im März in der Oper Le Postillion von Lonjumeau brillierte, freut sich über weitere barocke Auftritte. Ihre Stimme ist dafür prädestiniert.
Extravagant sind Kaspar Glarners Kostüme speziell für Alcina – eine wahre Pracht.
Fast feminin erklingt der Countertenor des Schweizers Elmar Hauser, der zu den führenden Countertenören seiner Generation gehört. Dieser Liebhaber wirkt zunächst wie ein verlorener Typ. Er hat nichts im Griff. Als der Zauber vorbei ist, hat er wieder Boden unter den Füßen. Nur mit einer einzigen Arie, die aber prägnant ist, steuert Berater Melisso, gesungen von Bariton Erik van Heyningen, das Geschehen. Er überzeugte bereits im März in der Trilogie lyrique L’Invisible von Aribert Reimann. Sopranistin Clara Kim, Mitglied im Opernstudio, ausgezeichnet mit dem Preis des südkoreanischen Kulturministers, gefällt als Oberto. Für alle exzellent singenden und agierenden Sängerinnen und Sänger, ist es ein Rollendebüt. Wieder einmalig die Mitglieder des Frankfurter Opernhaus-Ensembles, das durch zwei Gäste: Countertenor Elmar Hauser als Ruggiero und Shelén Hughes als Morgana komplettiert wurde.
Sowohl Eraths mal deftigen, mal fein differenzierten Regieideen und Glarners unerschöpflichen Bühnen- und Kostümeinfälle geben dem Abend eine besondere Note.
Dirigentin Julia Jones führt das glänzend disponierte Frankfurter Opern- und Museumsorchester umsichtig in die barocken Klänge des Komponisten Georg Friedrich Händel, die verzaubern. Beim Cello-Solo von Johannes Kofler kommt man ins Schwärmen.
„Die Dinge in der Welt sind nicht eindeutig, warum soll es im Theater sein?“ so Erath.
Alcina ist ein äußerst spannender, faszinierender Opernabend. Wenn es gelungen ist, die verzwickten Liebesverhältnisse zu enträtseln und zu verstehen, beginnt das Staunen und Sich-Verzaubern-Lassen. Händels psychologische Charakterstudien bekommen eine tiefere Bedeutung. Ein hervorragendes Theaterspektakel – unbedingt hingehen.
Weitere Aufführungen am 25., 28. Juni, am 2., 4. und 6. Juli (dort Vorstellung für Familien).
Michel Friedman wird mit dem ehemaligen Frankfurter Schauspielintendanten und heutigen Chef des Berliner Ensemble Oliver Reese über „Verführung“ anlässlich von Alcina sprechen.
Der Trailer https://oper-frankfurt.de/de/oper-frankfurt-zuhause/?id_media=488 macht Lust auf den Besuch von Alcina.
Online-Tickets: oper-frankfurt.de/tickets Telefonischer Kartenverkauf: (069)212-49494