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Letzte Aktualisierung: 04.10.2024

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Adorno-Preis für die Philosophin Seyla Benhabib

von Ilse Romahn

(13.09.2024) Bei einem feierlichen Festakt am Mittwoch, 11. September, überreichte Oberbürgermeister Mike Josef in der Paulskirche den Theodor W. Adorno-Preis 2024 an die US-amerikanische Philosophin Prof. Dr. Seyla Benhabib.

Oberbürgermeister Mike Josef überreicht in der Paulskirche den Theodor W. Adorno-Preis 2024 an die US-amerikanische Philosophin Prof. Dr. Seyla Benhabib
Foto: Stadt Frankfurt am Main, Foto: Alexander Paul Englert
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Der Oberbürgermeister betonte die Verbundenheit der Preisträgerin zu Frankfurt als Stadt der Kritischen Theorie: „Wie Seyla Benhabib über das fruchtbare intellektuelle Klima im Frankfurt der Achtzigerjahre spricht, ist beeindruckend. Dass die Frankfurter Schule sie intellektuell wie biografisch maßgeblich geprägt und beeinflusst hat, zeigen ihr Denken und ihre Schriften nachdrücklich. Mit Seyla Benhabib zeichnet die Stadt Frankfurt eine Philosophin von Weltrang aus, die in Zeiten identitätspolitischer Verhärtungen und erbitterter Kulturkämpfe den Universalismus verteidigt.“
 
Die Dankesrede der Preisträgerin stand unter dem Titel „Gegen falsche Universalien und identitäres Denken“. In Rekurs auf Theodor W. Adorno und Hannah Arendt plädierte Seyla Benhabib für eine „erweiterte Denkungsart“, die eine Pluralität von Standpunkten anerkenne, ohne ihnen deshalb zwangsläufig zuzustimmen. Einer solchen „Anerkennung der Nichtidentität“, die sich aus der Philosophie der Aufklärung speise, stehe zunehmend ein Klima der identitätspolitischen Abschottung entgegen. Seyla Benhabib drückte darüber hinaus ihre enge Verbundenheit zu Frankfurt aus: „Ich fühle mich der Stadt Frankfurt nicht nur deshalb verbunden, weil ich mich in der Tradition der Frankfurter Schule verorte, sondern auch, weil ich 1980, also vor mehr als vier Jahrzehnten, als ausländische Studentin und Wissenschaftlerin in diese Stadt kam und die Begegnung mit Frankfurt mein Leben für immer verändert hat.“

Die Laudatio auf Seyla Benhabib hielt der US-amerikanische Historiker Prof. Dr. Martin Jay, ein bedeutender Kenner der Geschichte der Frankfurter Schule. Er beschloss seine Darstellung des Œuvres der Preisträgerin mit der Prognose, dass dieses auch in Zukunft breit rezipiert und diskutiert werde: „Seyla Benhabib wird in den Kanon jener Denkerinnen und Denker aufgenommen werden, deren Reflexionen für ihre Kollegen von Bedeutung waren, und die sowohl für ihre theoretischen Innovationen als auch für deren Anwendung auf reale Probleme geschätzt werden. Seyla Benhabib ist somit eine würdige Trägerin des Adorno-Preises, nicht nur für das, was sie bereits erreicht hat, sondern auch für die weitreichende Wirkung, die ihre Arbeit in den kommenden Jahren sicherlich noch haben wird.“
 
Kultur- und Wissenschaftsdezernentin Dr. Ina Hartwig, wie Oberbürgermeister Mike Josef Mitglied des Kuratoriums des Adorno-Preises, betonte: „Für den Adorno-Preis des Jahres 2024 hätte es keine bessere Preisträgerin als Seyla Benhabib geben können. Sie verbindet in ihrer Deutung des Universalismus wesentliche Positionen der Kritischen Theorie mit denjenigen Hannah Arendts und entwickelt daraus eine genuin eigene philosophische Position, die Antworten auf zentrale Fragen unserer Zeit findet. Die glanzvolle Preisverleihung am 11. September hat den Adorno-Preis der Stadt Frankfurt erneut als eines der großen intellektuellen Ereignisse Deutschlands erwiesen.“
 
Seyla Benhabib wurde 1950 in Istanbul geboren und studierte unter anderem an der Brandeis University und in Yale, wo sie 1977 mit einer Arbeit zu Hegels Rechtsphilosophie promovierte. Sie hatte Assistenzprofessuren in Yale und Boston sowie Professuren in Harvard und an der New School for Social Research in New York inne, bevor sie 2001 als Eugene Meyer Professor of Political Science and Philosophy an der Yale University berufen wurde. Nach ihrer Emeritierung ist sie weiter als Senior Research Scholar an der Columbia Law School tätig. Benhabib wurde mit dem Meister-Eckhart-Preis 2014, dem Dr. Leopold Lucas-Preis 2012 und dem Ernst-Bloch-Preis 2009 ausgezeichnet. Zahlreiche ihrer Werke sind auch in deutscher Übersetzung erschienen, darunter „Selbst im Kontext“ (1995), „Hannah Arendt. Die melancholische Denkerin der Moderne“ (1998), „Die Rechte der Anderen“ (2008), „Kosmopolitismus ohne Illusionen: Menschenrechte in unruhigen Zeiten“ (2016) und „Kosmopolitismus im Wandel. Zwischen Demos, Kosmos und Globus“ (2024).
 
Der mit 50.000 Euro dotierte Theodor W. Adorno-Preis wird alle drei Jahre von der Stadt Frankfurt am Main zum Gedenken an den Philosophen Theodor W. Adorno vergeben und dient der Förderung und Anerkennung hervorragender Leistungen in den Bereichen Philosophie, Musik, Theater und Film. Theodor W. Adorno wirkte viele Jahre an der Universität Frankfurt und dem Institut für Sozialforschung und war einer der namhaftesten Vertreter der Frankfurter Schule. Seine Schriften, darunter „Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben“, „Negative Dialektik“ und die gemeinsam mit Max Horkheimer im Exil verfasste „Dialektik der Aufklärung“, zählen zu den einflussreichsten philosophischen und kulturtheoretischen Werken des 20. Jahrhunderts.

Dem Kuratorium des Theodor W. Adorno-Preises 2024 gehören als Mitglieder qua Amt Oberbürgermeister Mike Josef, Stadtverordnetenvorsteherin Hilime Arslaner, die Vorsitzende des Kultur-, Wissenschaft- und Sportausschusses Julia Eberz, Kulturdezernentin Ina Hartwig, der Direktor des Instituts für Sozialforschung Prof. Dr. Stefan Lessenich sowie die geschäftsführende Direktorin des Sigmund-Freud-Institutes Prof. Dr. Vera King an. Als freie Mitglieder gemäß Satzung wurden der Soziologe Prof. Dr. Steffen Mau (Humboldt-Universität zu Berlin), die Philosophin Prof. Dr. Juliane Rebentisch (Hochschule für Gestaltung Offenbach am Main), die Schriftstellerin Kathrin Röggla und der Journalist Dr. Alf Mentzer (Hessischer Rundfunk) ins Kuratorium berufen. Vorherige Preisträgerinnen und Preisträger waren Klaus Theweleit (2021), Margarethe von Trotta (2018), Georges Didi-Huberman (2015) und Judith Butler (2012). Der erste Preisträger war im Jahr 1977 der Soziologe Norbert Elias. (ffm)