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Letzte Aktualisierung: 14.02.2025

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80 Jahre Auschwitz-Befreiung: Aufruf zu Zusammenhalt und Menschlichkeit

von Ilse Romahn

(21.01.2025) Am Sonntag, 19. Januar, gedachte die Jüdische Gemeinde Frankfurt am Main des 80. Jahrestages der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz durch die Soldaten der Roten Armee mit einem ganztägigen Gesprächs- und Erinnerungsformat. Etwa 700 Gemeindemitglieder sowie geladene Gäste aus Politik, Wirtschaft, Kirche, Kultur und Stadtgesellschaft nahmen an dem Gedenktag im Ignatz Bubis-Gemeindezentrum teil.

Timon Gremmels, Hessischer Minister für Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur, Oberbürgermeister Mike Josef, Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Prof. Dr. Dr. Michel Friedman, Jurist, Publizist und Philosoph, Innenministerin Nancy Faeser, Bundeskanzler Olaf Scholz, Benjamin Graumann, Vorstandsvorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, Dr. Rachel Heuberger und Boris Milgram von der Jüdischen Gemeinde Frankfurt sowie Marc Grünbaum, Vorstandsvorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt
Foto: Jüdische Gemeinde Frankfurt, Foto: Michael Faust
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Das Programm umfasste politische Ansprachen, Keynotes sowie Diskussionsformate zur Zukunft jüdischen Lebens in Deutschland, zu jungen jüdischen Perspektiven sowie zum Stellenwert des Jahrestages „80 Jahre Befreiung von Auschwitz“ und des Erinnerns für die Gesellschaft heute.
 
Bundeskanzler Olaf Scholz richtete sich mit einer Rede an die Anwesenden. „Unrecht nicht zu dulden, nie mehr wegzuschauen, Nein zu sagen, das muss uns auch heute Richtschnur sein, 80 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz. Gerade heute, wo Antisemitismus, Rechtsextremismus, völkisches Gedankengut, wo teils unverhohlene Menschenfeindlichkeit vielerorts eine erschreckende und alarmierende Normalisierung erfährt“, sagte der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland.
 
„Da es kaum noch Zeitzeugen gibt, ist es nun unsere Verantwortung, die Erinnerung an die Shoah weiterzutragen, denn nur das Wissen um die Vergangenheit in Kombination mit dem richtigen Umgang mit der Erinnerung festigen die Verantwortung für die Zukunft. Gerade das letzte Jahr hat uns Juden in Deutschland eindrucksvoll und schmerzlich gezeigt: Nie war es wichtiger, darauf hinzuweisen, was passieren kann, wenn aus der Vergangenheit nicht gelernt wird. Schweigen darf niemals die Antwort auf Hass sein. Wir müssen als Gesellschaft klarer und lauter für unsere Freiheit und für Menschlichkeit einstehen und gegen den puren Hass. Gerade deshalb ist es so wichtig, dass bei unserer Veranstaltung viele junge jüdische Stimmen zu Wort kommen“, sagte Benjamin Graumann, Vorstandsvorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt.
 
Marc Grünbaum, Vorstandsvorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main, sagte: „Der 27. Januar 2025 steht im Zeichen der bevorstehenden Bundestagswahlen. Erstmals nach 1945 könnte es sein, dass eine in großen Teilen rechtsextreme und antidemokratische Partei zweitstärkste Fraktion im Deutschen Bundestag wird. 80 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz scheinen die Lehren aus Menschenverachtung und Diktatur – die zu diesem Zivilisationsbruch geführt haben – bedeutungslos geworden zu sein. Wir erinnern um der Opfer willen, aber wir erinnern auch für unsere Zukunft als Gemeinwesen, als Gesamtgesellschaft. Wenn der Aufstieg des Rechtsextremismus aber das Ergebnis von 80 Jahren Demokratie und Rechtsstaat ist, dann müssen sich diejenigen, die Verantwortung tragen und getragen haben, die Frage gefallen lassen, was falsch gelaufen ist und was sie tun werden – für eine Zukunft, in der jüdisches Leben, aber auch das Leben anderer marginalisierter Gruppen möglich bleibt.“
 
Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, sagte: „80 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz, das in seiner Grausamkeit der Vernichtung für den Zivilisationsbruch der Schoa steht, befinden wir uns erneut an einer Wegmarke unserer Erinnerungskultur. Unser Blick auf Auschwitz darf sich in seinem Kern nicht verändern. Er kann es nicht, wenn dieses Land seiner Gründungsidee und seiner Verantwortung vor der Geschichte gerecht werden will. Diese Gewissheit ist essentiell für jüdisches Leben in Deutschland.“
 
„Es ist für uns in Hessen eine tiefe Herzensangelegenheit, unsere Verantwortung zu tragen, zusammenzustehen und mit aller Kraft den Schutz des jüdischen Lebens sicherzustellen. Antisemitismus, Hetze, Hass und Gewalt haben bei uns keinen Platz. Das jüdische Leben ist nicht nur ein Bestandteil unserer Geschichte, sondern ein lebendiger, bedeutungsvoller Teil unserer Gegenwart und ein untrennbarer Teil unserer Gesellschaft. Deshalb fördern wir unter anderem auch an unseren Schulen nachdrücklich Toleranz, gegenseitigen Respekt und das Wissen über die Geschichte des jüdischen Volkes. Mit elf aktiven, engagierten jüdischen Gemeinden – und der Jüdischen Gemeinde Frankfurt als einer der größten in ganz Deutschland – sind wir uns der Bedeutung bewusst, diese Gemeinschaft zu unterstützen und ihr zu ermöglichen, in Sicherheit und Freiheit zu gedeihen“, sagte Armin Schwarz, Hessischer Staatsminister für Kultus, Bildung und Chancen.
 
Oberbürgermeister Mike Josef betonte: „Wir erinnern am Gedenktag der Befreiung von Auschwitz aller Opfer der Naziherrschaft. Der Tag erinnert uns an die Gräueltaten des schrecklichen Unrechtsregimes und ist gleichzeitig eine Handlungsaufforderung für unser heutiges Leben. Menschenhass und Antisemitismus sind auch heute noch Teil unseres Alltags. Die traurige Wahrheit lautet: Das Böse lebt weiter. Doch wir dürfen deshalb nicht resignieren. Diese Wahrheit muss uns Ansporn sein, weiter und sehr laut und deutlich für Recht und Gerechtigkeit, für Toleranz und Freiheit, für Respekt und Menschlichkeit einzutreten. Wer jetzt und heute die Augen verschließt und nichts tut, spielt dem Bösen in die Hände. Nur wer sich erinnert, kann die Zukunft meistern.“
 
Unter den Rednerinnen und Rednern sowie Podiumsgästen waren außerdem die Autorin und Publizistin Dr. Carolin Emcke, der Publizist und Politikwissenschaftler Dr. Yascha Mounk, der Autor und Aktivist Monty Ott, der Jurist und Journalist Dr. Ronen Steinke sowie der Jurist, Philosoph, Autor und Publizist Prof. Dr. Dr. Michel Friedman.
 
Die jüdische Perspektive auf den 80. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz stand neben dem nicht-jüdischen Blickwinkel im Mittelpunkt der Veranstaltung. Der von der Jüdischen Gemeinde Frankfurt erstmals in größerem Rahmen begangene Gedenktag bot Raum für vielfältige Reflexionen über die Bedeutung des Erinnerns für unsere heutige Gesellschaft – besonders in Hinblick auf die zu erwartenden Ergebnisse der am 23. Februar anstehenden Neuwahlen des Deutschen Bundestages.

Dieser Text wurde am 19. Januar von der Jüdischen Gemeinde Frankfurt veröffentlicht. (ffm)