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Letzte Aktualisierung: 24.04.2024

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30 Jahre Mauerfall

Mit dem Rad entlang der Saale auf den Spuren der deutsch-deutschen Geschichte

von Ilse Romahn

(01.11.2019) Fünf Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer wurde im bayerischen Hof ein grenzüberschreitendes Projekt, gleichzeitig ein Symbol der Wiedervereinigung, geboren: der 403 Kilometer lange Saaleradweg, der die Bundesländer Bayern, Thüringen und Sachsen-Anhalt miteinander verbindet.

Im ehemaligen Grenzstreifen in Pottiga bietet eine moderne Aussichtsplattform einen traumhaften Blick ins Saaletal.
Foto: Vincent Grätsch
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Noch vor 30 Jahren war die Saale Teil des Eisernen Vorhangs zwischen West- und Ostblock. Heute laden Museen, Audiotouren und Stadtführungen entlang des Radweges zur Reise durch deutsch-deutsche Geschichte.

Zeitreise nach „Little Berlin“ 
Höhepunkt auf einer Radtour zu den Spuren der innerdeutschen Teilung ist der Besuch im Deutsch-Deutschen Museum in Mödlareuth. Radfahrer erreichen es über einen rund fünf Kilometer langen Abstecher von Hirschberg auf Etappe zwei des Saaleradweges. Die Amerikaner nannten Mödlareuth „Little Berlin“, weil es das Schicksal der schmerzlichen Teilung mit der Hauptstadt teilte. Über 37 Jahre lang verlief eine der bestbewachten Grenzen der Welt mitten durch den Ort. Dem Bruder oder der Freundin auf der anderen Seite zu winken, war verboten. Teile der 700 Meter langen Mauer, des Metallgitterzaunes sowie der Beobachtungsturm sind im Original erhalten geblieben und gehören zur heutigen Gedenkstätte, die besichtigt werden kann. Das Museum ist von Dienstag bis Sonntag geöffnet.

Radeln durch das Grüne Band
Zwischen den beiden Thüringer Orten Hirschberg und Blankenstein schlängelt sich die Saale friedvoll durch ein malerisches Tal, das Heimat seltener Tier- und Pflanzenarten ist. Vor 1989 war sie auf diesem Abschnitt Grenzfluss zwischen den beiden deutschen Staaten. Heute verläuft hier ein Teilstück des Grünen Bandes, ein insgesamt 1400 Kilometer langer Streifen und Biotopverbund entlang der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze. Im Dezember 1989, einen Monat nach Grenzöffnung, verabschiedeten Natur- und Umweltschützer aus Ost und West eine erste Resolution und forderten, den ehemaligen Todesstreifen als ökologisches Rückgrat Mitteleuropas zu sichern. Rund zwei Drittel des Grünen Bandes stehen heute unter Schutz.

Radfahrer, die auf der zweiten Etappe des Saaleradweges zwischen Hirschberg und Blankenstein unterwegs sind, fahren mitten durch das Flusstal im Thüringisch-Fränkischen Schiefergebirge mal auf bayerischem, mal auf thüringischem Boden. Auf einer Brücke bei Sparnberg erinnert eine Gedenktafel an die Grenze. Lohnend ist ein Stopp in Pottiga, einem Ort, der sich vor der Wende im Sperrgebiet befand und nur mit Sondergenehmigung erreichbar war. Auf einem ehemaligen Wachhügel befindet sich heute eine moderne Aussichtsplattform. Besucher blicken von einer grünen Treppe, die in den Himmel ragt, auf das liebliche Saaletal.

Zeitzeugenberichte: Audiotour, Grenzer-Stammtisch und Ballonflucht 
Immer wieder gab es in der Region Fluchtversuche von Ufer zu Ufer. Davon erzählt unter anderem die Audiotour „Durchs eng verschlungene Saaletal“ entlang des Grünen Bandes um Blankenstein. Der Ort liegt fünf Kilometer weiter entlang des Saaleradweges am Ziel der zweiten Etappe. Es lohnt sich, vom Rad abzusteigen und sich einen Tag Zeit für die Tour zu nehmen. Die 21 Kilometer lange Rundwanderung, die auch abgekürzt werden kann, führt an Stationen vorbei, an denen Berichte von Zeitzeugen über Fluchtversuche und vom Alltag im Grenzgebiet gehört werden können. Die Audiodokumente gibt es online unter www.gruenesband.tomis.mobi, die Wanderbeschreibung unter www.thueringen-entdecken.de/urlaub-hotel-reisen/audio-touren-126674.html. So erfährt man beispielsweise an Station 401, wie der Schweißer Axel Stephan als 20-Jähriger im Dezember 1987 beim Fluchtversuch sein Leben riskierte und durch die eiskalte Saale schwamm, weil zu dieser Zeit das Flusssperrwerk wegen Hochwassers ein Stück weit geöffnet war.

Zeitzeugen wie Axel Stephan kann man auch beim jeweils am dritten Montag im Monat öffentlich stattfindenden Grenzer-Stammtisch zuhören. Das nächste Mal am 18. November im Landhotel Mordlau in Bad Steben. Ehemalige bayerische und DDR-Grenzsoldaten, Zollbeamte und andere Zeitzeugen berichten vom Dienst und vom Alltag am Eisernen Vorhang. Termine unter www.grenzer-stammtisch.de

Einen der spektakulärsten Fluchtversuche dokumentiert das Museum Naila im Schusterhof. Der Ort ist von Blankenstein in rund zehn Kilometern über den Selbitztal-Radweg zu erreichen. Hier schlug im September 1979 der selbstgebaute Heißluftballon aus Bettlaken und Regenmantelstoff der Familien Wetzel und Strelyzk auf. Damit gelang der Gruppe die Flucht in die BRD. In diesem Jahr wurde am Landeplatz eine Infosäule mit Bildern und Texten eingeweiht. Das Museum stellt Bilder und Zeitungsberichte aus. Es hat sonntags von 14 bis 16 Uhr geöffnet.

Alltag in der DDR in Jena und in Weißenfels
Weiter nördlich am Ende von Etappe fünf auf dem Saaleradweg in Jena ist die innerdeutsche Grenze weit weg. Wenn Stadtbilderklärer Walter Schmidt mit den Teilnehmern seiner besonderen Führung „Großstadtgeschichte(n). Jena in der DDR“ in die Vergangenheit blickt, geht es daher weniger um die Dramatik geglückter und gescheiterter Republikfluchten. Vielmehr wirft er mit herzerwärmenden Anekdoten einen nostalgischen und oftmals humorvollen Blick auf den ganz normalen Alltag im Arbeiter-und-Bauern-Staat. Die Tour ist über die Jenaer Tourist-Information unter tourist-info@jena.de oder Telefon 03641 498050 buchbar.

Auf Etappe sieben zwischen Naumburg und Halle tauchen Besucher in die Vergangenheit des einst größten Schuhproduzenten Europas ein. Das VEB Kombinat Schuhe beschäftigte zu DDR-Zeiten rund 30 000 Arbeiter.  Heute erinnert das Schuhmuseum Weißenfels im Schloss Neu-Augustusburg daran. Es hat Dienstag bis Sonntag geöffnet. Am 26. November geht es in der Podiumsdiskussion zum Thema „Aufbruch 89 - Erfolg oder Enttäuschung“ im Fürstenhaus auch um den Niedergang der einst so erfolgreichen Schuhproduktion der Stadt.
 
Informationsportal zum Saaleradweg
Der Saaleradweg umfasst insgesamt neun Etappen von der Quelle des Flusses im bayerischen Zell im Fichtelgebirge bis zur Mündung in die Elbe in Barby. Informationen zur Tour, zu Sehenswürdigkeiten, Unterkünften und zur Anreise liefert die Webseite www.saaleradweg.de