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Letzte Aktualisierung: 19.04.2024

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‚Es ist eine schöne Ecke, um seine letzte Ruhe zu finden‘

von Pelin Abuzahra

(18.06.2021) Von Gräbern, Geschichte und Vergänglichkeit: Wie der Frankfurter Udo Fedderies sich für den Denkmalschutz engagiert.

Für etwa 620 denkmalgeschützte Gräber werden Paten gesucht - Udo Fedderies hat eine solche Patenschaft übernommen
Foto: Stadt Frankfurt / Maik Reuß
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Wenn Udo Fedderies auf dem Hauptfriedhof in Richtung Gewann D, Grab 477 unterwegs ist, geht er meist seine zukünftige Grabstätte pflegen. Für ihn ist es ein Spaziergang, eine kleine historische Tour, aber auch die Begegnung mit der eigenen Vergänglichkeit.

Er kümmert sich um das Grab von Wilhelm Behrends. Behrends war kein Verwandter oder Freund, er war ein ihm fremder Frankfurter, dessen Grab sich Fedderies ausgesucht hat. Der 64-Jährige ist Grabpate und kümmert sich seit gut zwei Jahren um Behrends´ Grab. „Der Hauptfriedhof ist der schönste und ruhigste Park in Frankfurt und er ist sehr gepflegt. Ich halte mich gerne hier auf – man ist der Natur sehr nah. Bei meinen Spaziergängen lese ich gerne die Grabinschriften, vergegenwärtige mir die Vergänglichkeit allen Lebens und blicke auf das große Ganze“, sagt der Rentner. Fedderies, der Historie, Politik und Pädagogik studiert hat, beschäftigt sich gerne mit der Geschichte, Kultur, Architektur und Kommunalpolitik von Frankfurt. „Es ist wichtig sich die Zeit zu nehmen, sich mit seiner Heimat zu beschäftigen. Ich nutze so oft es geht Angebote wie Tage der offenen Tür, um Gebäude oder Orte zu besichtigen, die man als normaler Bürger nicht oder nur selten anschauen kann“, berichtet er. Bei einer solchen Veranstaltung erfuhr er während einer Führung auf dem Hauptfriedhof von der Möglichkeit einer Grabpatenschaft. Seit einigen Jahren engagiert sich Fedderies mit seiner Frau Isolde für den Denkmalschutz – meist mit einer Spende: „Aber meine Frau und ich wollten auch ein persönliches Projekt, bei dem man anpacken und etwas für den Denkmalschutz tun kann.“

Das Adressbuch aus dem Jahr 1841 verrät, wer der Beigesetzte war
Im ältesten Teil des Hauptfriedhofs, der 1828 angelegt wurde, fand Fedderies dann sein Denkmalschutz-Projekt. Ein Grab aus dem Jahr 1842. Der Gedenkstein ist ein Quader aus rotem Sandstein im neogotischen Stil mit Blendmaßwerk, Zinnenkranz und einer Fiale, also ein schlankes, spitzes gotisches Türmchen. Es ist das Grabmal von Wilhelm Behrends – viele Angaben hatte Fedderies über den Beigesetzten zunächst nicht. Einige Informationen entnahm er der Grabakte. „Ich habe dann im Adressbuch aus dem Jahre 1841 herausfinden können, dass Behrends ein Handelsmann und Spediteur war. Über die Friedhofsverwaltung erfuhr ich, dass sein Bruder Johann Georg Behrends das Grabmal hat anfertigen lassen. Der Bruder war Frankfurter Konsul in London“, berichtet der Pate.

Fedderies hat mit dem Grünflächenamt und dem Denkmalamt einen Vertrag abgeschlossen, in dem er sich verpflichtet, das Grab zu pflegen. Als erstes hat er das Grabmal von einem Steinmetz reinigen und die abgebrochene Fiale wieder aufsetzen lassen – in enger Abstimmung mit den beiden städtischen Ämtern. Denn der Gedenkstein mit seinen Verzierungen war stark verwittert und verblasst. Das Grabbeet hat Fedderies in Eigenregie mit Zwergmispeln bepflanzt. Zufrieden schaut er auf das gereinigte Grabmal und auf das Beet: „Die Pflanze ist pflegeleicht, blüht bereits nach zwei Jahren und die Beeren ernähren die Vögel.“

100 der 1200 denkmalgeschützten Gräber genießen einen Schutzstatus
„Die Patenschaftsvereinbarung wird auf unbestimmte Zeit abgeschlossen. Der Pate kann diese jederzeit kündigen“, sagt Mark Pietsch vom Grünflächenamt, der für Friedhofsbetrieb und -unterhaltung zuständig ist. 415 Gräber haben bereits Paten gefunden, aber für 620 werden noch welche gesucht. Auf dem Hauptfriedhof gibt es 1200 denkmalgeschützte Gräber – insgesamt sind es 1950 Grabstätten auf 26 von insgesamt 37 Friedhöfen der Stadt. Etwa 100 dieser Grabstätten sind Ehrengräber und genießen einen besonderen Schutzstatus. Dazu gehören die Ruhestätten ehemaliger Oberbürgermeister und bekannter Frankfurter Persönlichkeiten.

„Die denkmalgeschützten Grabsteine wurden vom Denkmalamt in Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Denkmalpflege in Hessen und dem Denkmalforum in einer Denkmaltopographie festgelegt. Diese Grabsteine sollen als kulturhistorisches Gut erhalten werden, was bedeutet, dass diese Grabsteine erhalten werden müssen und nicht abgeräumt werden dürfen. Normale Grabsteine werden nach Ablauf der Nutzungsfrist entfernt“, erklärt Pietsch.

Ein Stück Frankfurter Geschichte und Kultur vor dem Verfall bewahren
Viele der denkmalgeschützten Gräber befinden sich in einem „laufenden Nutzungsrecht“, wie es offiziell heißt. Eine große Anzahl jedoch ist frei und um diese muss sich die Stadt kümmern. Die Pflege und Instandhaltung dieser kostet Geld und Zeit, was die Stadt vor Schwierigkeiten stellt. Um einem drohenden Verfall der Gräber entgegenzutreten, vermittelt das Grünflächenamt also diese in Patenschaften. „Wir prüfen, wenn gewünscht ist, ob es eine Beisetzungsmöglichkeit gibt. In der Regel ist das auch möglich.“ Dabei fallen für den Grabpaten nur die Gebühren für die Beisetzung an, die Begräbnisstätte ist dann gebührenfrei – das ist der Ausgleich dafür, dass man sich um dieses Grab gekümmert hat. Das denkmalgeschützte Grabmal darf dabei nicht bewegt werden. Auf das Beet kann dann eine in Abstimmung mit den Denkmalbehörden eine Namenstafel für den Grabpaten gesetzt werden.

Auch Fedderies möchte dieses Angebot annehmen. Nach seinem Tod wird er in dem Grab, das er pflegt, über Behrends beigesetzt. „Ich liege dann in der Nähe des größten Denkers Arthur Schopenhauer, aber auch in der Nähe von Ernst May, Marianne von Willemer und anderen Frankfurtern, die dort ihre letzte Ruhe gefunden haben. Es ist einfach ein guter Gedanke, seine letzte Ruhe auch in so einer schönen Ecke zu finden“, sagt er. Für ihn ist der Hauptfriedhof ein Ort voller Historie: „Hier liegen 200 Jahre Frankfurter Geschichte begraben. Viele aus der Stadtpolitik wie Karl Konstanz Viktor Fellner, der letzte Bürgermeister der Freien Stadt Frankfurt vor der preußischen Okkupation oder Walter Kolb, Ludwig Landmann und Franz Adickes.“ Fedderies schloss nach seinem Studium das Referendariat zum Gymnasiallehrer ab, machte anschließend noch eine Ausbildung zum Buchhändler. Er war rund 30 Jahre bei einem Verlag tätig. Ihn treibt die Liebe zu Frankfurt und seine Leidenschaft für Geschichte an: „Ich bin mit Leib und Seele Frankfurter und Historiker – beides kann ich hier wunderbar verbinden, denn hier treffen sich Kultur und Natur. Zudem möchte ich die Frankfurter Tradition des Bürgerengagements fortführen und da ist die Patenschaft für mich genau das richtige.“

Die Pandemie hat dem Grünflächenamt mehr Paten beschert
Pietsch erklärt, dass jeder, der eine Grabpatenschaft übernehmen möchte, seinen Vorstellungen und seiner Bereitschaft entsprechend ein passendes Grab finden kann. „Es gibt auch Paten, die mehrere Patenschaften haben. Patenschaften können wir auch wieder entziehen, wenn wir feststellen, dass der Pate sich nicht kümmert und das Grab verwahrlost. Das ist aber bisher nur einmal vorgekommen“, sagt Pietsch. Meist findet auch ein Austausch untereinander statt – erfahrene Paten geben ihr Wissen weiter.

Normalerweise sind die Anfragen nach Patengräbern im Frühjahr höher, aber auch nach Führungen auf dem Friedhof oder nach dem Tag des Friedhofs. Die Anfragen 2020 und dieses Jahr seien deutlich höher als die Jahre zuvor. Dies lässt vermuten, dass die Menschen Parks und Friedhöfe während der Corona-Pandemie als Orte der Erholung, Ruhe und Natur entdeckt haben – doch belegen lässt sich das nicht. „Wir haben vergangenes Jahr mehr Patenschaften abgeschlossen als das Jahr zuvor. Zeitweise konnten wir die Anfragen kaum zeitnah beantworten“, sagt Pietsch. Er ist froh über die Nachfrage, denn Friedhöfe seien historisch wie kulturell wichtige Orte. Sie illustrieren die wechselvolle und bewegte Geschichte Frankfurts. „Beeindruckenden Grabmalen droht der Verfall, wenn sie viele Jahre nicht gepflegt wurden – natürlich sind Gräber mit großen und imposanten Grabsteinen, an denen etwa noch Statuen oder Plastiken angebracht sind, aufwendig in der Aufbereitung. Manchmal reicht es aber auch aus, wenn man die Wurzelbürste einsetzt, um den Stein von Schmutz und Grün zu befreien“, weiß Pietsch. Langjährige Grabpaten geben ihre Erfahrungen auch weiter. „Unsere Grabpaten sind sehr engagiert und leisten einen wertvollen Beitrag, die historischen Grabdenkmäler in Verbindung mit oftmals sehr alten Baumbeständen und reicher Vegetation zu erhalten.“

Wer sich für eine Grabpatenschaft interessiert, bekommt unter https://www.friedhof-frankfurt.de/grabstaetten/grabpatenschaften/ weitere Informationen oder kann unter Telefon (069921236293 oder per E-Mail an team-grabmal@stadt-frankfurt.de Auskunft erhalten. (rffm)