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Letzte Aktualisierung: 19.04.2024

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‚Die Erfahrungen dieser Zeit bleiben uns und machen uns reicher`

Dank der zweiten Corona-Impfung freut sich Gisela Winterfeld auf ein Stück Normalität in ihrem Leben

von Pelin Abuzahra

(15.02.2021) Als Gisela Winterfeld im Alter von 15 Jahren die Frankfurter Festhalle betrat, war die 1909 erbaute Halle Austragungsort für Vor- und Schauturnen, an dem sie teilnahm. Am Dienstag, 9. Februar, jedoch hat die heute 91-Jährige ein ganz anderes Vorhaben, als sie gegen 9 Uhr mit ihrer Tochter den Eingang der Festhalle an der Brüsseler Straße durchquert.

Gisela Winterfeld im Impfzentrum
Foto: Stadt Frankfurt / Bernd Kammerer
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 Gisela Winterfeld, die in ihrem Leben Krieg, Armut, Hunger und den Wiederaufbau Deutschlands erlebte, gehört zu den ersten Senioren in Deutschland, die gegen Corona geimpft werden. An diesem Tag ist die zweite Impfdosis dran.

„Die Corona-Pandemie ist ein riesiger Einschnitt in die Gesellschaft auf der ganzen Welt. Dass es möglich war, so rasant einen Impfstoff zu entwickeln, ist doch wie ein Wunder“, sagt Winterfeld. Aufgeregt sei sie nicht gewesen – weder vor der ersten Impfung noch jetzt.

Zum Impfzentrum ist sie mit einem Taxi gekommen, ihren Rollator hat sie dabei, dennoch sagt sie: „Ich habe meine Beine fest am Boden. Das ist eine wichtige Sache, und ich bin sehr dankbar.“ Als sie erfuhr, dass sie sich impfen lassen kann, war für sie klar: „Selbstverständlich lasse ich mich impfen! Ich habe das Angebot angenommen, mein Leben zu verbessern. Geimpftsein ist wichtig, denn dann wird das Leben ein Stück weit normaler und ich kann endlich wieder Besuch bekommen – zwar mit Maske, aber es können wieder Menschen zu mir.“

Sehnsucht nach Gesellschaft
Besonders fehlen Gisela Winterfeld ihre drei Kinder, die Schwiegerkinder, ihre fünf Enkelkinder, die drei Urenkel und ihre beste Freundin aus dem Gymnasium. „Sie lebt in einem Pflegeheim und vor der Pandemie haben wir uns sonntags getroffen – nun sind wir beide geimpft und wenn in ein paar Tagen bei mir der Impfschutz eingetreten und nachgewiesen ist, dann werden wir uns treffen. In meinem Alter gibt es niemand mehr, mit dem ich Erinnerungen teilen kann, außer mit meiner lieben Freundin“, sagt sie. Die Lehrerin für Hauswirtschaft hat gerne Menschen um sich und vor allem ihre Familie. „Ich habe mein Anfang Januar geborenes Urenkelchen bisher nicht gesehen, die Enkel und Urenkel kommen sonst nach dem Spielplatz-Besuch bei mir vorbei, dann gibt es einen Keks und es wird gespielt und gebabbelt. Mit meinem Mann war ich 60 Jahre verheiratet und wir haben immer ein ‚Haus der offenen Tür‘ gehabt – alle sind willkommen! Diese Tradition ist mit Beginn der Pandemie durchbrochen – aber sie wird wiederkommen und darauf freue ich mich.“ Sich selbst und andere schützen, sei der wichtigste Grund, sich impfen zu lassen. „Man muss sich trauen, dann wird auch was Gutes daraus“, sagt Winterfeld. Für sie zähle, dass sie und andere geschützt werden durch die Impfung – und sie will mit gutem Beispiel vorangehen. Inzwischen sitzt sie in einer der vielen Impfkabinen in der Festhalle. Dann wird der Oberarm freigemacht, die Impfstelle desinfiziert und die Impfhelferin setzt die Spritze an. „Das war´s schon“, sagt Winterfeld – sie klingt zufrieden und glücklich.

Ihre erste Impfung mit dem Vakzin von Biontech habe die gebürtige Frankfurterin gut vertragen. „Jeder Zahnarzt-Besuch ist schlimmer“, sagt sie. Vor dem Termin hat sie sich von ihrem Arzt beraten lassen, denn Gisela Winterfeld leidet unter Rheuma, Asthma und einer Makuladegeneration ihrer Augen und muss regelmäßig Medikamente nehmen. Von ärztlicher Seite gab es keine Einwände. „Ich lasse mich seit gut 30 Jahren jedes Jahr gegen Grippe impfen, die Corona-Impfung ist genauso ein Pieks und gibt uns ein Stück Lebensqualität zurück.“

Professioneller Ablauf
Winterfeld ist begeistert, wie gut alles im Impfzentrum funktioniere und wie freundlich alle Mitarbeiter seien: „Es ist großartig, dass sich so unglaublich viele Menschen dort engagieren und eine freundliche Atmosphäre schaffen – ohne Hektik und Durcheinander.“ Gerade beim zweiten Termin habe sie gemerkt, dass die Abläufe noch besser funktionierten als bei ihrem ersten Termin am 19. Januar, dem Tag, als die Impfungen starteten.

„Aber jetzt bin ich einfach froh, wieder heim zu fahren, dann werde ich einen Espresso trinken und mich darauf freuen, dass die Kleinen mich wieder besuchen kommen, dass ich nicht mehr alleine sein muss und meine Wohnung wieder mit Leben gefüllt wird. Dafür bin ich aus tiefstem Herzen dankbar“, sagt sie.

Winterfeld, die Krieg, Flucht und Zerstörung gesehen und erlebt hat, und daher auch ihren Traum, Sportlehrerin zu werden, aufgab, später ihr Augenlicht verlor, weiß nur zu genau, was Entbehrungen und Verzicht bedeuten. „Das, was zurzeit geht, genießen. Und das, was nicht geht, darauf müssen wir zunächst verzichten. Die Erfahrungen, die jeder einzelne von uns in dieser Pandemie-Zeit macht, die bleiben uns und machen uns reicher und stärker.“

Anmerkung der Redaktion: Der Name von Frau Winterfeld wurde auf ihren Wunsch geändert. (ffm)