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Letzte Aktualisierung: 28.03.2024

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‚Die 1950er klopfen wieder an die Tür, das darf nicht sein!‘

von Ilse Romahn

(12.02.2021) Oberbürgermeister Feldmann spricht mit Frauenorganisationen über deren problematische Lage in der Pandemie und rückläufige Rollenbilder.

Gemeinsam gegen die klassische Rollenverteilung: Fünf Frauenorganisationen haben sich zur Initiative Frankfurter Frauenträger zusammengeschlossen, um gemeinsam zu verhindern, dass die Corona-Pandemie Frauen verstärkt wieder in veraltete Rollen im Haus drängt. Mit dabei sind die Organisationen jumpp, Infrau, beramí, Faprik und VbFF. In einer Online-Konferenz sprachen deren Vertreterinnen mit Oberbürgermeister Peter Feldmann über die aktuell schwierige Lage und mögliche drohende finanzielle Kürzungen.

„Der Austausch mit Ihnen ist mir sehr wichtig“, begrüßte das Stadtoberhaupt die sechs Frauen. „Die Themen Bildung, Integration und Förderung von Frauen liegen mir sehr am Herzen. Es ist notwendig, mehr zu tun. Das Rollenbild ist rückläufig. Die 1950er klopfen wieder an die Tür – das darf nicht sein! Durch Ihr gemeinsames Auftreten bilden Sie eine starke Lobby für Frauen. Die braucht es auch, um einen Rückfall in alte Zeiten verhindern“, betonte Feldmann.

Die Vertreterinnen der Träger zielen auf einen breit angelegten politischen Dialog mit der Stadt Frankfurt und hatten deshalb um ein Gespräch mit dem Oberbürgermeister gebeten – wie auch mit den Fraktionen der Regierungsparteien, den zuständigen Dezernentinnen und Dezernenten und Ausschussmitgliedern, um ihm ihre schwierige Lage in der aktuellen Pandemie-Situation zu schildern. Durch mögliche Sparmaßnahmen von Seiten der Stadt und dem Bund würde sich die Lage zusätzlich verschärfen „Wir sind in einer prekären Situation. In der Pandemie wird von uns wesentlich mehr Leistung für das gleiche Geld gefordert, was sowohl unsere Kundinnen als auch uns selbst an die Grenzen des Möglichen bringt. Wenn nun auch noch der Sparstift angesetzt wird, würden für die Stadt entscheidende Strukturen wegfallen“, erklärt Christiane Stapp-Osterod, Geschäftsführerin von Jumpp.

Die Erfahrungen in fast einem Jahr Pandemie überschneiden sich bei den verschiedenen Trägern. Die von ihnen unterstützten Frauen seien aktuell doppelt und dreifach belastet, sagt Beramí-Geschäftsführerin Irina Lagutova. Auch für ihre Mitarbeiterinnen ist es eine schwere Zeit: „Wir tauschen uns seit dem ersten Lockdown zu sehr unüblichen Zeiten mit unseren Kundinnen aus, beispielsweise nach 20 oder sogar 21 Uhr, wenn die Kinder im Bett sind, denn vorher haben die Mütter keine Zeit. Zudem fehlt den Frauen oft die technische Ausstattung – wir haben ihnen Laptops von unseren Mitarbeiterinnen ausgeliehen oder sie das Internet bei uns im Büro nutzen lassen.“ Dabei kämen allerdings gleich neue Probleme auf: „Die technische Ausstattung ist ein riesiger Akt. Erstmal ist es sehr kompliziert, Geräte zu beschaffen, dann haben die Frauen oft keinen Internetanschluss zu Hause. Und wenn wir Laptops verleihen, stellt sich oft die Frage: Wie ist das jetzt versichert?“, fügt Beramí-Kollegin Andrea Ulrich hinzu.

Diese Probleme kennt auch VbFF-Geschäftsführerin Kerstin Einecke, die erzählt, dass sie die Beratungsstunden mit den von ihr betreuten Frauen manchmal auf gemeinsame Spaziergänge verlegt hat, um sie weiterhin Corona-konform möglich zu machen. „Eine Schwierigkeit für unsere Teilnehmerinnen sind auch die geschlossenen Institutionen, also dass zum Beispiel keine Präsenztreffen beim Arbeitsamt möglich sind. Besonders für Frauen mit Migrationshintergrund, die nicht perfekt Deutsch sprechen, sind Online-Termine oder Telefonate eine große Herausforderung“, sagt Einecke. Beate Fuhrich von FaPrik ergänzt: „Wir unterstützen sehr häufig beim Kontakt mit den Ämtern. Viele unserer Teilnehmerinnen sind wegen mangelnder Sprachkenntnisse und fehlender technischer Kenntnisse nicht in der Lage, den Ämtern eine verständliche und letztlich erfolgreiche E-Mail zu schreiben, um ihre Anliegen zu klären.“ Dazu komme der mentale Zustand vieler Frauen: „Wir erleben viele Unsicherheiten, Ängste und Zusammenbrüche. Wir beraten die Frauen nicht nur für den Arbeitsmarkt, sondern auch im psychologischen Bereich. Wenn es uns nicht gäbe, gäbe es einen gesellschaftlichen Kollaps“, fügt Einecke hinzu.

„Uns muss bewusst sein, in ein paar Jahren werden wir von einer nachholenden Integration sprechen müssen, wenn Organisationen wie unsere, die mit Migrantinnen arbeiten, ihre Unterstützung nicht mehr anbieten könnten“, warnt Pantoula Vagelakou, Geschäftsführerin von Infrau. „Bekommen diese Frauen beispielsweise jetzt keine Hilfe dabei, Deutsch zu lernen, können sie ihre Kinder auch nicht dabei unterstützen, die Sprache zu lernen. Das Ziel der meisten Migrantinnen ist eine bessere Zukunft für ihre Kinder – im Lockdown kommt nun die Angst auf, dass sie dem nicht mehr gerecht werden können.“

Einig waren sich alle Vertreterinnen, dass mögliche Sparmaßnahmen für ihre Organisationen verheerende Schäden für die Gesellschaft mit sich bringen würden. „In meinen 30 Jahren Arbeitserfahrung war es nie so prekär in der Chancengleichheit wie jetzt! Es schleichen sich wieder Strukturen ein, die wir lange erfolgreich bekämpft haben. Wir müssen jetzt seelisches Leid und Isolation vermeiden und Stabilität schaffen, sonst werden wir die Nachwirkungen dieser Krise noch lange spüren“, fasste Stapp-Osterod zusammen.

„Sie spielen an der Schnittstelle zwischen Stadt und Menschen eine existenzielle Rolle. Sie sind an der Front“, bestätigte Oberbürgermeister Feldmann und bat darum, auf dem Laufenden gehalten zu werden: „Wenn Sie die geringsten Hinweise darauf haben, dass Ihnen finanziell etwas weggenommen wird, melden Sie sich! Sie sagen, dass Sie keine Lobby haben – nehmen Sie mich als Ihren Lobbyisten. Kürzungen wären das absolut falsche Signal.“ (ffm)