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Letzte Aktualisierung: 23.04.2024

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„Wir sind offen für Gespräche“

Frankfurter Journalist Shams Ul-Haq interviewt Taliban-Sprecher

von Norbert Dörholt

(03.09.2021) Der Frankfurter Journalist, Nahostexperte und Buchautor („Eure Gesetze interessieren uns nicht“) Shams Ul-Haq (www.shamsulhaq.de), der sich zurzeit in Kabul aufhält, hat den Talibanführer und-sprecher Zabiullah Mujahid dort zur aktuellen Lage in dem Land interviewt. Shams Ul-Haq ist gebürtiger Pakistani, lebt aber schon lange in Deutschland und hat die alleinige deutsche Staatsbürgerschaft.

Ganz schön mutig: Der Frankfurter Jounalist Shams Ul-Haq hält sich zurzeit in Kabul auf und schildert die Lage vor Ort. Wie er wohl zurückkommen wird?
Foto: Privat
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Shams Ul-Haq: Danke, Herr Zabihullah Mujahid, dass Sie sich kurzfristig für uns Zeit genommen haben. Besonders die Europäer fragen sich, was haben die Taliban in Kabul vor, wohin wird ihre Herrschaft führen?

Zabihulla Mujahid: Wir sind dabei, eine Regierung zu bilden. Dann wird Normalität einkehren. Überall in Afghanistan besteht schon ein hohes Maß an Sicherheit, auch in Kabul.

Shams Ul-Haq: Den Eindruck bekommt man am Flughafen nicht. Hier sind jüngst über ein Dutzend Menschen gestorben. Wie es aussieht, bekannte sich der IS dazu.

Das stimmt. Aber es passierte dort, wo die Amerikaner das Sagen haben. Als die USA ihre Truppen von Kabul an den Flughafen verlagerten, haben sie alle dorthin gerufen, die nach Amerika oder Europa wollen. Das konnte nur in dem Chaos münden, das sich für den Terror nutzen ließ. Das Islamische Emirat verurteilt den Anschlag auf Zivilisten am Flughafen Kabul aufs Schärfste. Das Islamische Emirat achtet sehr auf die Sicherheit seiner Bürger. Wo wir die Kontrolle haben, verhindern wir solche Taten. Bis auf den Flughafen ist Kabul sicher, das gilt auch für die Provinzen.

Shams Ul-Haq: Was denken Sie, warum Afghanen ihre Heimat verlassen und unbedingt ins Ausland wollen?

Manche haben Angst aufgrund der Propaganda. Sie wollen weg, obwohl wir ihnen ihre Sicherheit zusagen. Andere möchten einfach nach Europa oder Amerika auswandern. Das ist nicht neu. Schon immer haben besonders junge Leute versucht, über die Türkei und Griechenland nach Europa zu gelangen. Das ist nicht nur ein Problem für Afghanistan. Auch in Pakistan und anderen Ländern herrscht Armut. Viele wollen nun die Gelegenheit nutzen, dem zu entfliehen. Auch das hat zum enormen Andrang geführt.

Shams Ul-Haq: Lassen Sie die reisewilligen Afghanen ziehen?

Wir haben auf der einen Seite Leute, die illegal ausreisen wollen. Das ist nicht zulässig. Diejenigen, die keine Dokumente haben und ahnungslos ins Ausland möchten, erleben dort miserable Zustände. Jeder weiß das. Aber diejenigen, die einen Reisepass und Visum vorweisen können, die haben das Recht dazu. Prinzipiell gilt: Afghanen haben das Recht zu reisen, wohin sie wollen. Aber nicht gerade jetzt mit all dem Chaos am Flughafen. Wir versuchen, diesen Andrang aufzulösen. Diejenigen, die keine Dokumente besitzen, sollen nicht zum Flughafen kommen. Das erlauben wir nicht. Später werden wir einen Weg finden, dass jene, die ausreisen möchten, ausreisen können.

Shams Ul-Haq: Für Deutschland und Österreich sind afghanische Flüchtlinge ein ständiges Thema. Deswegen noch mal auf den Punkt gebracht: Lassen Sie die Menschen ausreisen? Ja oder Nein?

Wir sind nicht froh, dass die Leute Afghanistan verlassen. Sie sollten bleiben. Jenen, die sich sorgen, versuchen wir die Angst zu nehmen. Wir sind nicht glücklich drüber, wenn Afghanen ins Ausland gehen.

Shams Ul-Haq: Also Sie wollen, dass die Afghanen bleiben?

Natürlich. Unser Ziel ist es, dass Afghanen in ihre Heimat nicht verlassen, sich nicht auf elende Fluchtwege begeben. Wir wissen, dass die Lage in Europa für unsere Flüchtlinge alles anders als rosig ist. Frauen und Kinder werden in grauenhaften  Sammelunterkünften untergebracht. Afghanistan ist unser gemeinsames Land. Leute, die ausreisen möchten, sollen sich gedulden. Unsere Wirtschaft wird sich erholen, Arbeitsplätze werden entstehen. Die Sicherheitslage hat sich ja schon stabilisiert.

Shams Ul-Haq: Würde Ihre Regierung afghanische Staatsbürger, wenn sie in Deutschland und Österreich nicht asylberechtigt sind und vielleicht noch straffällig geworden sind, zurücknehmen?

Ja. Sie würden einem Gericht vorgestellt werden. Das Gericht muss entscheiden, wie es mit ihnen weiter geht.

Shams Ul-Haq: Was war in Ihren Augen die Intention der Amerikaner, sich fast zwanzig Jahre in Afghanistan aufzuhalten?

Das hat vor allem geostrategische Gründe. Sie wollten hier Stützpunkte haben, für immer bleiben, um von hier aus die anderen asiatischen und nicht asiatischen Länder zu kontrollieren. Aber das afghanische Volk sehnt sich nach Freiheit und duldet keine fremden Mächte. Wir haben gegen die Amerikaner Widerstand geleistet und sie dazu gezwungen, ihre Truppen abzuziehen. In 20 Jahren haben die Amerikaner für uns nichts gemacht, außer dass der Krieg fortgesetzt, das Volk bombardiert und die Wirtschaft zerstört wurde. Die Armut und die Produktion von Drogen wurden gefördert. Das Elend der Gegenwart ist die Errungenschaft von 20 Jahren amerikanischer Besatzung.

Shams Ul-Haq: Die Rechte der Frauen in Afghanistan werden weltweit kritisch beäugt, ganz besonders im Kontext mit den Taliban. Die Taliban zwingen Frauen dazu, sich zu verschleiern. Frauen gelten als rechtlos. Das Thema wird in Deutschland und Österreich debattiert. Die Medien fragen, wie die Zukunft der Frauen in Afghanistan aussehen wird. Welche Garantie für deren Rechte und welche Möglichkeiten zur Ausbildung von Frauen wird es geben?

Wir werden alle Rechte, die den Frauen in der Scharia zustehen, sichern. Frauen sind unsere Bürger und haben das Recht, in unserem Land gut zu leben. Unsere Rechtsprechung und unsere Tradition sind nicht gegen Frauen. Diese Rechte sind dafür da, dass die Frauen sicher leben und sich sicher fühlen. Wir werden den Frauen islamische Rechte einräumen, Bildung ermöglichen und Rahmenbedingungen für Arbeit schaffen. Wir sind dabei, das alles zu gestalten.

Shams Ul-Haq: Wie werden Sie den Konflikt mit Ahmad Massoud lösen? Solange er in Panjshir herrscht, wird es in Afghanistan keinen Frieden geben.

Das ist keine große Sache. In einem kleinen Gebiet in Panjshir gibt es zwei Leute, die gegen uns stehen. Einer ist Ahmad Massoud, der andere Amrullah Saleh. Unsere Truppen sind gerade in Panjshir von vier Seiten angerückt. Wir wollen aber nicht, dass sich der Krieg dort fortsetzt. Wir wollen im Dialog zu einer Lösung kommen. Sollten wir das nicht schaffen, können wir das Problem militärisch rasch lösen.

Shams Ul-Haq: Und wie regeln Sie ihren Konflikt mit dem IS? Die Europäer rechnen damit, dass es IS-Anhänger verstärkt nach Kabul zieht.

Wie gesagt: Es gibt keinen IS, wo wir die Kontrolle haben. Manche Afghanen, die früher in Syrien und dem Irak dem IS anhingen, sind zwar mittlerweile zurückgekehrt, aber wir sehen in ihnen keine Gefahr. Die werden Afghanistan keine Probleme bereiten.

Shams Ul-Haq: Führen Sie Gespräche mit dem IS?

Ich kann mich nur wiederholen, es gibt keinen IS in Afghanistan, mit wem sollten wir also reden? Fall noch irgendwelche versprengen Anhänger des IS hier rumliefen, könnten sie nichts ausrichten. Die Lage ist unter Kontrolle.

Shams Ul-Haq: Deutschland und Österreich haben die Zahlung von Entwicklungsgeldern eingestellt. Wie könnten Sie mit EU-Ländern zusammenarbeiten?

Wir wollen mit Europa gute Beziehungen pflegen, auch wenn Europäer den Krieg in Afghanistan unterstützt haben. Afghanistan braucht dringend Handels- und diplomatische Beziehungen zu diesen Ländern. Falls die Europäer Bedenken haben, können sie uns das gerne auf diplomatischer Ebene mitteilen. Wir sind offen für Gespräche und hoffen, diese Bedenken zerstreuen zu können.

Shams Ul-Haq: Die Taliban machen viele Versprechungen. Werden Sie die halten?

Wir bilden eine Regierung, um durchzusetzen, was wir versprechen. Die Sanktionen, das Einfrieren unserer Gelder, sind allen 35 Millionen hier lebenden Afghanen gegenüber ungerecht. Wie gesagt, jetzt geht es darum, dass Europa und das Islamische Emirat miteinander reden.

Shams Ul-Haq: Vielen Dank für das Gespräch.