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„Petrischale löst das Fleischproblem nicht!“

MdEP Häusling: Klimaschutz und Tierschutz sind komplexer

Der Wiesbadener Europaabgeordnete Martin Häusling hat ein Positionspapier zum Thema Laborfleisc, auch „In-vitro-Fleisch“ genannt, vorgelegt, das interessante grundsätzliche Ausführungen zu diesem Thema enthält und eine hilfreiche Diskussionsgrundlage darstellt. Darin kommt er zu dem Schluss, dass Laborfleisch im Gegensatz zur Weidehaltung nicht aktiv zum Klima- und Bodenschutz, zur Grundwasserneubildung und zur Artenvielfalt beitrage.
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MdEP Martin Häusling behauptet: Laborfleisch ist keine Lösung!
Foto: Pressestelle EU-Parlament

Im Einzelnen führt Martin Häusling dazu Folgendes aus: „In Bezug auf die Auswirkungen der industriellen Tierhaltung gibt es große Bedenken. Verschmutzung von Wasser, Boden und Luft, hoher Anteil an Treibhausgas-Emissionen, Entwaldung in den Herkunftsländern der Futtermittel, Belastung des Fleisches mit Antibiotika. Und nicht zuletzt die völlig indiskutablen Formen der Tierhaltung. Die industrielle Tierhaltung muss ein Ende haben, da sind wir uns alle einig. Die Realität ist jedoch, dass der Fleischkonsum in einigen Teilen der Welt nur langsam abnimmt, während er global ansteigt.

In den letzten Jahren wird die technische Erzeugung von sogenanntem „ in-vitro-Fleisch“ oder „Laborfleisch“ daher mehr und mehr diskutiert und als mögliche Lösung für diese Probleme angepriesen. Die vermeintliche Lösung heißt: Anstatt die Menschen davon zu überzeugen, den Fleischkonsum durch pflanzliche Proteine zu ersetzen, könne man ihnen doch Kunstfleisch anbieten. Auch die Haupt-Lobbyorganisation des „in-vitro-Fleisches“ The In Vitro Meat Consortium argumentiert ökologisch.

Woher kommt die Technik und was ist Laborfleisch?

Wie kommt man überhaupt auf die Idee, Fleisch im Labor zu erzeugen? Die Technik kommt aus der Medizin, wo mittels der Tissue-Technik geschädigtes Gewebe ersetzt werden kann, z.B. bei Gesichts- und Brandverletzungen. Man nennt das „regenerative Medizin“. Derzeit werden zwei Haupttypen von Prozessen verwendet:

1. Mittels gentechnisch veränderter Organismen erzeugtes Hämoglobin (Hauptelement des Blutes): Hämoglobin-Zellen, die durch gentechnisch veränderte Hefen oder Algen erzeugt werden (Beispiel: "The impossible Burger", Produkt von Impossible Foods).

2. In-vitro gezüchtete Zellkulturen von Muskelzellen (Beispiel: Mosa Meat).

Zurzeit wird in der EU nur mit Zellkulturen experimentiert. Zellkulturlaborfleisch erfordert ein Gerüst (Muskelzellen müssen an einer Oberfläche befestigt werden), das essbar sein muss, und ein Medium: Die „traditionelle“ Methode ist die Verwendung von tierischem Serum. Dies macht das Laborfleisch jedoch nicht vegan, da das Serum von toten Tieren stammt.

Desweiteren benötigt man einen Bioreaktor, der die Zellen mit Nährstoffen und Sauerstoff versorgen muss, die für das Zellleben und die Fortpflanzung notwendig sind, ähnlich wie Venen in einem Körper arbeiten. In den Prototypen werden bisher auch noch Antibiotika in der Herstellung benötigt, weil die einzelnen Zellen kein Immunsystem haben. Wenn man mithilfe des Tissue Engineering ein Stück Leber oder Haut herstellt, passiert das in sehr kleinem Maßstab. Will man aber „In-vitro-Fleisch“ im großen Maßstab produzieren, bräuchte man sehr große Bioreaktoren und Inkubatoren, die sehr kosten- und stromintensiv sind.

Gesetzliche Grundlagen

Nach EU-Vorschriften fallen diese Produkte unter die Zellkultur-Fleisch-Regelung gemäß der Novel-Food Verordnung

1. Dieser Rahmen erfordert eine Genehmigung der Europäischen Kommission, wenn man derartige Produkte in Verkehr bringen will. Eine spezifische Kennzeichnung kann ebenfalls erforderlich sein. In den USA, wo bereits „alternatives Fleisch" auf dem Markt ist, gibt es ebenfalls Regeln zur In-Verkehr-Bringung. Die FDA (Food and Drug Administration) beaufsichtigt die Sammlung, Lagerung und Kultur von Zellen, während die USDA (United States Department of Agriculture) die auf den Markt gebrachten Produkte überwacht.

2. Verordnung (EU) 2015/2283 über neuartige Lebensmittel (Novel Food; inbegriffen sind alle Lebensmittel, die vor dem 15. Mai 1997 in der Union nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet wurden, sowie Lebensmittel, bestehend aus Zellkulturen oder Gewebekulturen, die aus Tieren, Pflanzen, Mikroorganismen, Pilzen oder Algen gewonnen werden.

Umweltverträglichkeit, Nachhaltigkeit und Tierschutz

Die Herstellung von gentechnisch hergestellten Tierersatzprodukten und Laborfleisch erfordert eine komplexe und teure Herstellungs- und Verarbeitungskette. Der Ressourceneinsatz für gentechnisch veränderte Tierersatzprodukte und Laborfleisch wurde bisher noch nicht vollständig bewertet. Zu diesen Ressourcen zählen Energie, Wasser, fossile Brennstoffe, Chemikalien, Kunststoffe und Rohstoffe. Auch die Abfallproduktion muss noch bewertet werden, einschließlich Treibhausgasemissionen, Wasser-, Kunststoff- und Nährstoffmanagement sowie die Entsorgung der dabei verwendeten Materialien.

Eine Studie aus dem Jahr 2015 zeigte, dass Laborfleisch zwar weniger landwirtschaftliche Betriebsmittel und weniger Land als der aktuelle Viehbestand benötigt, der Gesamtenergieverbrauch für die Herstellung von im Labor gezüchtetem Fleisch jedoch demjenigen entsprechen kann, der zur Herstellung von Fleisch aus tierischen Erzeugnissen verwendet wird. Leider ist dies derzeit die einzige Studie zum Thema und auch diese ist nicht abgeschlossen und deckt nicht den vorherrschenden Prozess ab, der derzeit in der EU entwickelt wird.

Was den Tierschutz angeht, ist die Sache auch kompliziert: Als Starter werden Stammzellen gebraucht. Natürlich lassen sie sich vermehren, aber das ist nur begrenzt möglich. Es werden also weiter Nutztiere gebraucht, denen mit einer Muskelbiopsie die Stammzellen

entnommen werden. Das Kälberserum, das man als Nährmedium zur Fleischherstellung braucht, wird gewonnen, indem der Fötus einer schwangeren Kuh abgetrieben wird. Das passiert in der Regel, während sie geschlachtet wird. Dass „Laborfleisch“ mehr oder weniger „tierfrei“ daher kommt, ist daher ein Mythos, nicht mehr.

Ist Laborfleisch eine Lösung für die Folgen der industriellen Tierhaltung?

Auch In-vitro-Fleisch benötigt Tiere für die Stammzellen und es braucht ein Nährmedium und muss gefüttert werden. Bei der herkömmlichen Fleischproduktion, schwankt das Verhältnis von Inputkalorien zu Outputkalorien zwischen 4:1 bis 8:1, je nach Tierart. Wie genau die Quote bei In-vitro-Fleisch sein wird, ist derzeit, wie so vieles bei diesem Verfahren, noch unbekannt.

Vergleicht man den Umweltfußabdruck der künstlichen Produktion allerdings mit der ökologischen Tierhaltung oder einer globalen Reduktion des Fleischkonsums, schrumpft der anzunehmende Vorteil der künstlichen Produktion deutlich. Der besonders artgerechten, klima-, wasser-, boden- und biodiversitätsschützenden Weidehaltung muss man beispielsweise im Vergleich mit dem Laborfleisch all diese Ökosystemserviceleistungen anrechnen. Da reicht es nicht, nur auf verminderte Methanemissionen und weniger Tierleid beim Laborfleisch zu verweisen, denn: Ohne Grünlandverwerter kein Grünlandschutz und damit auch kein Klimaschutz (Humusaufbau) durch das Grünland.

Darüber hinaus wird eine flexitarische Kost mit geringem Fleischkonsum bisher als die nachhaltigste Ernährungsform angesehen und auch als diejenige, mit der die Welternährung am ehesten geleistet werden kann. Denn Getreide, Kartoffeln und Gemüse können nur auf ackerbaufähigen Böden angebaut werden. Deren Fläche aber ist begrenzt und geht aufgrund von Bodendegradation seit Jahren zurück. Wiederkäuer, wie Rinder, Kühe, Schafe und Ziegen lassen sich dagegen auch auf Weiden und Grasländern halten, die nicht als Ackerland nutzbar sind, das sind aktuell 40 Prozent dar Landnutzungsfläche.

Daher benötigt man für eine Mischkost zwar absolut gesehen mehr Fläche, aber der Bedarf an hochwertigem Ackerland ist geringer als bei Veganern. Eine Mischkost mit leichtem Fleisch- oder Milchanteil von Wiederkäuern ist also dem verfügbaren Angebot an globalen Naturräumen besser angepasst. „Laborfleisch“ kann man im Vergleich dazu nicht vom Grün- und Grasland „ernten“ und somit das Grünland und dessen Humusspeicher auch nicht schützen.

Derzeit gibt es keine Gewissheit, dass Laborfleisch industrielles Fleisch ersetzen könnte. Die ersten Konsumenten dieser Produkte in den USA scheinen aus Gruppen zu stammen, die den Fleischkonsum der industriellen Landwirtschaft bereits aufgegeben haben und sich dieses

derzeit kostspielige Produkt leisten können. Mittelfristig geht vom Laborfleisch ein deutlich geringerer Druck aus, die industrielle Fleischproduktion zu ersetzen, als von der von vielen Verbrauchern bevorzugten ökologischen, artgerechten Tierhaltung (die – das ist auch klar - noch weiterentwickelt werden muss!). Dies kann sich natürlich mit der Zeit ändern, insbesondere wenn die Kosten sinken, aber es liegen keine Daten zur Wahrscheinlichkeit dieser unterschiedlichen Szenarien vor.

Patente

Wir Grüne haben uns stets gegen die Patentierung von Saatgut und Grundnahrungsmitteln ausgesprochen, da dies die Ernährungssicherheit und Ernährungssouveränität gefährdet. Dies ist ein weiteres wichtiges Problem beim „Laborfleisch“. Diese Produkte werden zwar bisher hauptsächlich von KMU und Start-ups hergestellt. Die sehr hohen Investitionen stammen jedoch aus der traditionellen Lebensmittelindustrie sowie von anderen Akteuren wie der Bill and Melinda Gates-Stiftung oder Investmentfonds, dies sich marktreife Produkte sicherlich patentieren lassen werden, um ihr Investment und vor allem ihr „return on investment“ zurück zu gewinnen. Einige Beispiele:

• Beyond Meat hat den US-Fleischgiganten Tyson als einen seiner Hauptinvestoren und sie sammeln gerade Geld an der Börse (sie streben 100 Millionen Dollar an).

• Mosa Meat wird von Google-Gründer Sergey Brin unterstützt. Sie haben dieses Jahr 75 Millionen Dollar zusätzlich aufgebracht.

• Die in den USA ansässigen Impossible Foods (Erfinder des Impossible-Burger) werden von der Bill and Melinda Gates Stiftung gesponsert und sammelten dieses Jahr 114 Millionen Dollar für die weitere Entwicklung.

• Cargill und Richard Branson investierten gemeinsam in das Startup Memphis Meat.

Was sagen die NGOs?

Einige Tierschutzorganisationen der EU (z. B. CIWF, HSI, GAIA), die gegen den weltweiten Anstieg des Fleischkonsums kämpfen, haben begonnen, im Labor gezüchtetes Fleisch als eine der besten verfügbaren Techniken für die Lösung der durch die industrielle Tierhaltung verursachten Probleme zu befürworten

Umwelt-NGOs sind jedoch zurückhaltender. Sie thematisieren den technischen und Energieaufwand, die Unsicherheiten, die Untergrabung der Wertschätzung der ökologischen Tierhaltung und der Reduktion des Fleischkonsums sowie die Frage der Patentierung. Friends of the Earth USA hat einen Bericht veröffentlicht, der sich frontal der Technologie sowie anderen Verwendungen der synthetischen Biologie in Lebensmitteln entgegen setzt. Sie fordern stattdessen eine bessere Unterstützung der wissenschaftlichen Forschung im Bereich des ökologischen Landbaus und der Agrarökologie, die sie als die wirklich wirksamen Alternativen zur industriellen Tierhaltung betrachten. Die NGO für Kleinbauern La Via Campesina hat keine offizielle Position, aber direkt kontaktiert, sagten sie, sie lehnen das Konzept Kunstfleisch ab.

Schlussfolgerungen

– Es gibt keinen Grund, die Position der Grünen / EFA bezüglich der Verwendung von GVO in Lebensmitteln und in der Landwirtschaft insbesondere für diese Verwendung zu ändern.

– Was die Zellkulturen angeht, so muss klar sein, dass diese ohne geschlachtete Tiere bisher nicht zu erzeugen sind. Es fehlen bisher belastbare Daten zu den Umwelt- und Klimaauswirkungen, den potenziellen Auswirkungen auf die biologische und agroökologische Tierhaltung sowie für Innovationen auf dem Markt für pflanzliche Ernährung. Die Fragen nach Patentierung und Eigentumsverhältnissen sind ebenfalls ungeklärt.

– Vorwurf der Innovationsfeindlichkeit: Die Grünen haben immer das Vorsorgeprinzip verteidigt. Dieses ernst zu nehmen bedeutet NICHT, innovationsfeindlich zu sein. Vor einigen Jahrzehnten befürwortete die grüne Bewegung Biogas und Agrotreibstoffe recht unkritisch, daraus sollten wir lernen. Wir brauchen definitiv mehr Daten, um diese Technologie umfänglich zu bewerten.

Das ändert aber nichts daran, dass für uns Grüne feststeht:

1. Ohne Tierhaltung sind 40 Prozent der globalen Landnutzungsfläche für die menschliche Ernährung nicht nutzbar. Tiere gehören zur einer nachhaltigen Landwirtschaft, aufgrund der Bodenfruchtbarkeit und der Notwendigkeit der Nutzung der Grasländer für die Welternährung.

2. Laborfleisch trägt im Gegensatz zur Weidehaltung nicht aktiv zum Klima- und Bodenschutz, zur Grundwasserneubildung und zur Artenvielfalt bei.

Die Diskussion über Laborfleisch als die vermeintlich einfache Lösung, lenkt das Augenmerk von den insgesamt komplexen weltweiten Problemen durch die Tierhaltung ab. In der jetzigen Form geht die weltweite Tierhaltung mit Tierleid und Klimaerwärmung einher. Wir beobachten neue Innovationen mit Interesse, aber stellen das Ziel einer flächengebundenen, artgerechten Tierhaltung in den Vordergrund.