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Letzte Aktualisierung: 28.03.2024

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„Hatz und Hetze keine Stimme geben!“

ZDF-Intendant Dr. Peter Frey im Interview mit Shams Ul-Haq über AfD und Pressefreiheit

von Norbert Dörholt

(04.06.2021) Seit elf Jahren ist Dr. Peter Frey Chefredakteur des öffentlich-rechtlichen Senders Zweites Deutsches Fernsehen (ZDF). Unter seiner Führung hat das ZDF den Schritt in die digitale Welt getan und das Durchschnittsalter der Zuschauer gesenkt. Das erforderte viel Fingerspitzengefühl, zum Beispiel bei Themen wie Umgang mit der AfD und der Meinungsfreiheit allgemein. Dazu nimmt er im Interview mit dem Frankfurter JournalistenShams Ul-Haq offen Stellung.

Shams Ul-Haq im Gespräch mit ZDF-Intendant Dr. Peter Frey
Foto: Sven Hasselbach
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Shams Ul-Haq ist Fachgruppenleiter für Internationale Beziehungen beim Deutschen Presseverband DPV und der Bundesvereinigung der Fachjournalisten bdfj sowie Chefredakteur Digital des „journalistenblatt“, das vom Journalistenzentrum Deutschland herausgegeben wird und in dem dieses Interview ebenfalls erschienen ist. Er gilt als Terrorismusexperte und arbeitet seit vielen Jahren als freier Print- und TV-Journalist unter anderem für das ZDF. Er ist ebenfalls als Buchautor tätig (www.shamsulhaq.de, @shamsulhaq22). Das Foto schoss Sven Hasselbach, seit über zehn Jahren selbständig als freiberuflicher Fotograf in den Bereichen People, Stills, Corporate, Reportage und Architecture (svenhasselbach.com).

Shams Ul-Haq: Seit Kurzem gibt es eine neue Liste von „Reporter ohne Grenzen“. Was sagen Sie dazu, dass Deutschland herabgestuft wurde?

Peter Frey: Wenn ich es richtig verstanden habe, ist die Ursache dafür, dass es mehr Angriffe auf Journalisten gegeben hat als im letzten Jahr. Die Pressefreiheit in Deutschland leidet nicht aufgrund staatlicher Unterdrückung oder Einschränkung der Meinungsfreiheit durch staatliche Akteure, sondern dadurch, dass es im Zuge der Pandemie und zum Teil militanter Proteste der Coronaleugner massiv zu Angriffen auf Journalisten kommt. Bei der Demonstration in Stuttgart gab es gewalttätige Übergriffe auf Teams von ARD und ZDF. Kollegen mussten sich absichern und wurden von Sicherheitsleuten begleitet, damit sie dort ihrer Arbeit nachgehen können.

Ich halte das für einen Skandal. Es bringt uns auch in ein Dilemma, weil Journalismus als Begegnung mit den Bürgern und den Menschen nicht gut funktioniert, wenn Journalisten zu ihrem Schutz von Polizisten begleitet werden müssen. Wir müssen hier zu einer anderen Atmosphäre kommen. Und ich hoffe, wenn Corona mal vorbei ist, dass sich das wieder entspannt. Es ist ja auch ein Zeichen dafür, dass die Polarisierung in unserer Gesellschaft zugenommen hat. Und das ist eine Aufgabe für uns, die Frage zu stellen, welchen Beitrag wir leisten können, um da wieder raus zu kommen. Und dazu gehört sicher, noch mehr ins Gespräch mit Bürgern zu kommen.

Shams Ul-Haq: Stichpunkt „ins Gespräch kommen“. Die Pandemie-Leugner sind ebenfalls Bürger dieses Staates. Und sie sind sauer.

Peter Frey: Ja, und das versuchen wir. Ich habe ja schon dieses Dialogformat im Morgenmagazin erwähnt am Beispiel Husum. Das ist unser Versuch, eben in die ländlichen Regionen hinein zu gehen. Nicht nur in Westdeutschland an der Küste, sondern auch in Ostdeutschland, wo die Situation aufgrund von Arbeitslosigkeit oder anderen Umständen noch schwieriger und prekärer ist.

In einer ZDFzoom-Folge haben wir uns gerade speziell mit diesem Thema beschäftigt: In einer neuen Folge von „Am Puls Deutschlands“ ist Jochen Breyer den Fragen nachgegangen, wie es um die Meinungsfreiheit steht und ob der Meinungskorridor im Freundeskreis, im Job, in den Medien enger wird. Er hat auf Menschen getroffen und zu Wort kommen lassen, die das Gefühl haben, nicht mehr alles sagen zu dürfen, zum Beispiel beim Thema Corona, in der Flüchtlingsfrage oder der Berichterstattung der Medien. Wir hören außerdem andere Positionen an, indem wir der AfD eine Stimme geben in der Berichterstattung aus den Parlamenten.

Auf der anderen Seite orientieren wir uns im ZDF an Programmrichtlinien. Sie weisen darauf hin, dass wir als Sender der Verständigung dieser Gesellschaft dienen müssen. Das bedeutet natürlich, dass man bestimmte Stimmen, die eine andere Republik wollen, die bestimmte Gruppen diskriminieren, die Minderheiten verachten, die sich antisemitisch äußern, dass wir solche Äußerungen einordnen müssen in unserem Programm und mit denen auch sehr vorsichtig umgehen. Es ist unsere Aufgabe, eine Grenze zu ziehen, und wer unsere parlamentarische Demokratie abschaffen will, der hat nicht automatisch Anspruch darauf, auf unserem Sender präsent zu sein.

Shams Ul-Haq: Wenn man die AfD mehr zu Wort kommen lässt, glauben Sie, dass beim Dialog eine Lösung möglich sein wird? Die Partei wird weiterhin gewählt und ist in allen Bundesländern vertreten.

Peter Frey: Das sind ja keine neuen Phänomene mehr. Wir haben die parlamentarische Arbeit der AfD immer gespiegelt, die Parteichefs wurden zu Sommerinterviews eingeladen. Hat das zu einer Deradikalisierung geführt? Ich fürchte: nein. Im Gegenteil, die Partei ist radikaler geworden, jedenfalls in bestimmten Teilen. Wir müssen im Gespräch bleiben, aber wir müssen auch unsere Konsequenzen daraus ziehen, wenn Gespräche nicht fruchtbar sind.

Ich habe mich dazu bekannt, dass wir ihnen die Chance geben, in unserer Berichterstattung vorzukommen, vor allem, wenn sie in den Parlamenten vertreten sind. Und trotzdem ist es eine schwierige Aufgabe für uns, weil zum ersten Mal eine Partei in den Parlamenten vertreten ist, die – jedenfalls in ihrem „Flügel“ – die Grundwerte unseres parlamentarischen und demokratischen Systems teilweise in Frage stellt. Daraus müssen wir dann auch unsere Schlüsse ziehen. Wir sind nicht verpflichtet, Hass und Hetze in unserem Programm eine Stimme zu geben.

Shams Ul-Haq: Rassismus im Journalismus hat auch in Deutschland zugenommen. Wie sehen Sie das, auch außerhalb des eigenen Senders?

Peter Frey: Sie müssten dafür Belege nennen. Ich müsste mich mit bestimmten Fällen auseinandersetzen können, aber fürs ZDF würde ich den Rassismus-Verdacht eindeutig zurückweisen. Ich würde sogar sagen, nicht nur in Bezug auf unsere Mitarbeiter, sondern auch, was unser Publikum angeht, halten sich kritische oder gar negative Reaktionen auf unsere Kollegen mit Migrationshintergrund oder mit nicht-weißer Hautfarbe deutlich in Grenzen. Dass Kolleginnen und Kollegen wie Dunja Hayali, Jana Pareigis oder Mitri Sirin ZDF-Sendungen präsentieren ist vielmehr Normalität geworden.

Shams Ul-Haq: Was würden Sie noch gerne beim ZDF ändern bevor Sie gehen?

Peter Frey: Das Thema Diversität ist und war mir mein ganzes Berufsleben ein wichtiges Anliegen. Auch das Thema Europa ist mir wichtig. Ich glaube, wir müssen noch bewusster einen Beitrag dafür leisten, dass eine europäische Öffentlichkeit entsteht und wir die Politik nicht nur aus einer nationalen und deutschen Perspektive betrachten. Und ich glaube, die Medien müssen ihren Beitrag dazu leisten, dass Polarisierung nicht noch mehr zum Geschäftsmodell wird.

Ich bekenne mich ausdrücklich dazu, dass gerade die Öffentlich-Rechtlichen eine wichtige Aufgabe haben, diese Gesellschaft zusammenzuhalten. Nicht durch Harmoniesoße, sondern durch zivilisierten Streit. Streit muss sein, Konflikte müssen auch sein, die müssen auf den Tisch gepackt werden. Aber es kommt darauf an, wie man die Themen adressiert und wie man miteinander spricht.

Shams Ul-Haq: Wollen Sie wirklich nächstes Jahr aufhören oder überlegen Sie es sich, wie Frau Merkel?

Peter Frey: Wenn ich mich an Frau Merkel orientiere, höre ich nächstes Jahr ganz bestimmt auf.

Shams Ul-Haq: Haben Sie tief in Ihren Gedanken einen Nachfolger?

Peter Frey: (lacht) Wenn ich den hätte, würde ich darüber nicht sprechen.

Shams Ul-Haq: Das heißt, Sie haben jemanden?

Peter Frey: … wenn ich den oder die hätte.

Shams Ul-Haq: Ist das ein Hinweis?

(alle lachen)

Peter Frey: Nein, eine Selbstverständlichkeit.

 

Über Dr. Peter Frey

Dr. Peter Frey (geb. 1957) ist seit dem 1. April 2010 Chefredakteur des ZDF. Ihm unterstehen die die fünf Hauptredaktionen Aktuelles, Politik und Zeitgeschehen, Wirtschaft, Recht, Service, Soziales, Umwelt, Sport und Neue Medien, der Programmbereich Info, Gesellschaft und Leben sowie die Senderedaktionen Frontal 21 und Tagesmagazine Berlin (ZDF-Morgenmagazin, ZDF-Mittagsmagazin). Auch die Inland- und Auslandstudios sowie der digitale Spartenkanal ZDFinfo gehören zu seinem Ressort. Dr. Frey arbeitet seit 1981 beim ZDF, zunächst als Freier Journalist, später als Redakteur in verschiedenen Redaktionen. Er war u.a. stellvertretender Leiter des Studios in Washington, Leiter der Auslandsredaktion sowie Leiter des ZDF-Hauptstadtstudios Berlin. Im Herbst 2022 geht er in den Ruhestand, wird sich aber weiterhin dem Journalismus widmen.

www.zdf.de