„Denken ist wichtiger als twittern“
Tagung der EKHN Stiftung mit Heribert Prantl, Gabriele Britz, Jagoda Marinić und anderen
Der Münchener Publizist Heribert Prantl hat die besondere Rolle der Pressefreiheit und des unabhängigen Journalismus in einer modernen Demokratie hervorgehoben. Das Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung sagte am Wochenende in Frankfurt am Main, dass es angesichts des zunehmenden Populismus nicht genüge, sich vor der herabregnenden „glühenden Asche“ des Hasses zurückzuziehen.

Foto: EKHN Stiftung
Er warb bei einer Tagung der Stiftung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) an der Goethe-Universität am Samstag für eine demokratische Haltung in Redaktionen. Sie müssten in der Gesellschaft auch dafür eintreten, „was man nicht verändern will“. Zeitungen seien zudem öffentliche Foren, um über die Zukunft der Gesellschaft zu debattieren.
Journalist Prantl warnt vor Erregungsspirale
Nach Worten von Prantl ist „Denken wichtiger als twittern“. Er warnte vor einer „Erregungsspirale“, die vor allem durch das Internet in die Medien gekommen sei. Dagegen seien brauche es ausgedehnte Räume zur Auseinandersetzung mit Themen. Dies könnten die Qualitätsmedien bieten, die er als „Lebenselixier der Gesellschaft“ betrachtete. Prantl bezeichnete die Pressefreiheit als „Leuchtturm-Grundrecht“, das es zu schützen gelte. Gerade in Zeiten von US-Präsident Donald Trump, der täglich mit Lügen Politik mache, sei deutlich geworden, dass Aufklärung und Demokratie „nicht vom Himmel“ falle. Es sei wichtig, sie immer wieder neu zu verteidigen.
Verfassungsrichterin Britz blickt auf Minderheiten
Bundesverfassungsrichterin Gabriele Britz plädierte auf dem Symposium für den Fortbestand einer freien Presse und unabhängigen Justiz. Sie würden aber aktuell durch Populisten öffentlich stark attackiert. Beide seien jedoch zwingende Voraussetzung für ein Funktionieren des Rechtsstaats, sagte die Richterin im Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts und Jura-Professorin an der Universität Gießen. Britz erläuterte auch die besondere Rolle von Minderheitsrechten in einer Demokratie. „Die Herrschaft der Mehrheit besteht immer nur auf Zeit. Aus der jetzigen Minderheit kann die künftige Mehrheit werden. Deshalb muss die Mehrheit immer offen für Alternativen und Minderheitsmeinungen bleiben“, so Britz.
Publizistin Marinić sieht Migration als Normalfall
Die Perspektive eines Menschen, der sich aufgrund seiner Herkunft zunächst zur Minderheit zählt, wurde auf der Tagung von der Publizistin Jagoda Marinić geschildert. Die gebürtige Kroatin erklärte, dass gegenwärtig die öffentliche Darstellung der Einwanderungssituation in Deutschland als „fake news“ zu betrachten sei. So würde Einwanderung als „massenhaft und bedrohlich“ geschildert, und am Ende stehe meist die Frage der Einheimischen, ob sie diesen „Ansturm“ überstehen könnten. Tatsächlich aber sei Einwanderung in Deutschland „kein Sonder-, sondern der Normalfall.“ Marinić kritisierte, dass viele Deutsche auf der einen Seite ein angeblich mangelndes Interesse von Migranten an gesellschaftlich-politischer Teilhabe kritisierten, andererseits sich aber vor dieser Teilhabe fürchteten. Das zeige sich zum Beispiel daran, dass zehn Millionen Menschen in Deutschland kein Wahlrecht, nicht einmal auf kommunaler Ebene, besäßen.
Europarechtlerin Guérot kritisiert EU
Ulrike Guérot, die als Professorin für Europapolitik und Demokratieforschung an der österreichischen Donau-Universität Krems lehrt, vertrat die These, dass die Populisten mit ihrem Vorwurf, die EU sei zu wenig demokratisch, „leider recht haben“. Guérot verwies darauf, dass EU-Bürger zum Beispiel keinen Anspruch darauf hätten, zu erfahren, wie ihre jeweilige Regierung im EU-Rat bei einer Entscheidung abgestimmt hat. Die Politikwissenschaftlerin forderte die Einführung einer EU-weiten Rechtsgleichheit für alle Bürger. „Erst wenn diese gilt, können wir Europa aufbauen: als einen Markt, eine Währung und eine Demokratie“, sagte Guérot.
Theologe Claussen setzt auf Nüchternheit
Johann Hinrich Claussen, der Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland, erinnerte an vier wesentliche christliche Prinzipien, die seines Erachtens auch für das Gelingen von Demokratie unerlässlich sind: Freiheit, Menschenwürde, Nächstenliebe oder Ehrfurcht vor dem Leben sowie die „Tugend der Nüchternheit“, also die Fähigkeit zu kühler Analyse und klarer Argumentation. Eine Gemeinschaft funktioniere im Dialog: „Kirche ist das unendliche Gespräch der Christen miteinander und mit allen anderen Menschen“, sagte Claussen. Und das gelte auch für die Demokratie. Allerdings „müssen wir uns daran gewöhnen, dass der Ton bei diesen Gesprächen schärfer wird“, warnte der Theologe.
Symposium der EKHN Stiftung
Mehr als 120 Oberstufenschülerinnen und –schüler aus dem gesamten Kirchengebiet waren der Einladung der Stiftung gefolgt und konnten im Hörsaalzentrum der Frankfurter Goethe-Universität an einem Symposium mit dem Titel „Demokratie! Über die Macht des Einzelnen und die Zukunft der Gemeinschaft“ teilnehmen. Zudem kamen mehr als 200 weitere Gäste zu der öffentlichen Veranstaltung. Moderiert wurde sie von Matthias Alexander, Ressortleiter der Rhein-Main-Zeitung der F.A.Z.
Die Schülerinnen und Schüler hatten sich bereits vor dem Symposium in einem zweitägigen Seminar intensiv auf diese Gespräche mit den Fachleuten in Workshops und mit Vorträgen vorbereitet. Es war die fünfte Veranstaltung dieses Formats. Mit dieser Reihe möchte die Stiftung Schülerinnen und Schüler in gesellschaftliche Debatten einbinden und ihnen einen Raum für einen gleichwertigen Diskurs mit Expertinnen und Experten aus Theorie und Praxis geben. Die Geschäftsführerin der EKHN Stiftung, Friederike von Bünau, resümierte, dass sie „ungemein reflektierte und engagierte Jugendlich“ erlebt habe.
Die EKHN Stiftung ist die Kulturstiftung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. Sie initiiert und fördert vielfältige Projekte im Dialog von Kirche und Gesellschaft. Schwerpunkte sind das Gespräch mit Kunst- und Kulturschaffenden, Bildungsprogramme für junge Menschen und Anstöße zu Debatten über Themen der Gegenwart. Alle weiteren Informationen und das ausführliche Programm finden Sie unter www.ekhnstiftungde/symposium2019
EKHN Stiftung, Römerberg 9, 60311 Frankfurt www.ekhn-stiftung.de