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Letzte Aktualisierung: 16.04.2024

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Wie Frankfurt Großstadt wurde

Frankfurts wächst, nicht erst in jüngster Vergangenheit – seit jeher musste die Stadtregierung für Wohnraum sorgen

von Thomas Scheben

(18.04.2018) Mit wenigen kurzen Unterbrechungen wächst die Bevölkerung Frankfurts seit 150 Jahren kontinuierlich an. Immer wieder stand die Stadtregierung vor der Notwendigkeit, schnell und in großer Zahl Wohnungen bereit zu stellen. Zur Beseitigung der Wohnungsnot wurden auch Siedlungen und neue Stadtteile geplant und errichtet.

Bildergalerie
Idyllisches Neubaugebiet am Riedberg - Wohnhäuser im Jahr 2015
Foto: Stadt Frankfurt - Christian Christes
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Damals notwendig, heute Bausünde. Der Frankfurter Berg
Foto: Stadt Frankfurt - Stefan Maurer
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Im Europaviertel werden 2014 neue Wohngebäude gebaut
Foto: Stadt Frankfurt - Christian Christes
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Für viele war die Eingliederung der bislang Freien Reichsstadt Frankfurt in die preußische Provinzialverwaltung im Jahr 1866 ein Schock, der das Wirtschaftsleben und damit auch die private Bautätigkeit zeitweilig zum Erliegen brachte. Die Oberbürgermeister Heinrich Mumm von Schwarzenstein und Johannes Miquel trieben zunächst den Ausbau der städtischen Infrastruktur voran. Die Erschließung neuer Wasserquellen in Spessart und Vogelsberg und der Ausbau der Kanalisation, die Eröffnung des Schlachthofes, der Ausbau des Verkehrsnetzes durch neue Schienenstränge in die Umgebung, die Kanalisierung des Mains bis zum Rhein und der Hafenausbau zur Kohleanlieferung, dazu innerstädtische Brückenbauten, neue Markthallen, Errichtung der Oper sowie der Ausbau des Zoos schufen in dieser Gründerzeit die Voraussetzungen, unter denen Frankfurt immer mehr die Züge einer aufstrebenden Handels- und Industriemetropole annahm. Die Einwohnerzahl war von 78.000 am Ende der reichsstädtischen Zeit bis 1880 auf 140.000 angewachsen.

Frankfurt wird Großstadt
Die Jahrzehnte vor dem Ersten Weltkrieg waren eine Zeit raschen wirtschaftlichen und sozialen Wandels. In den über zwei Jahrzehnten seiner Amtszeit strebte Oberbürgermeister Franz Adickes danach, dem städtischen Gemeinwesen im Bündnis mit den treibenden Kräften in Handel und Gewerbe unter Vermittlung zwischen den verschiedenen Meinungen und Interessen einen Weg in die Zukunft zu bahnen. Er erkannte, dass in der Stadtplanung der Schlüssel zur künftigen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung lag, und man daher diese Entwicklung nicht den egoistischen ökonomischen Interessen einzelner gesellschaftlicher Gruppen überlassen dürfe. Der Magistrat trat daher der Grundstücks- und Bauspekulation entgegen, ließ die Stadt in Zonen für Wohnbau, Erholungsflächen, Gewerbe und Mischgebiete sowie Verkehrswege einteilen und die Gestaltung der Bauten durch eine Bauordnung regeln; diese „Zonenbauordnung“ von 1891 markiert den Beginn städtischer Gesamtplanungen in Frankfurt am Main.

So siedelten sich entlang der heutigen Kleyerstraße die ersten Industriebetriebe an, darunter die Adlerwerke, Braun und Teves. Aus den parallel dazu gebauten Arbeiterwohnungen entstand das damals noch offiziell „südwestliche Außenstadt“ genannte spätere Gallus. Städtische Wohnungsbaugesellschaften betrieben dort – wie den Namen Hellerhof AG und Frankenallee AG zu entnehmen ist – den Bau familiengerechter Wohnanlagen mit Kleinwohnungen auch für die weniger betuchten Arbeiterfamilien in der Nähe ihrer Arbeitsplätze. Durch die städtischen Bauprojekte und die strengen Auflagen für private Bauherren konnte die andernorts zur Verelendung ganzer Stadtviertel führende Zusammenpferchung der Einwohner in ungesunden Massenquartieren in Frankfurt vermieden werden. Das wohlhabendere Bürgertum und der Mittelstand siedelten sich im Nord-, Ost- und Westend sowie in Sachsenhausen an, wo die Stadt Baugrund günstig an Privatinvestoren abgab, die dafür aber sehr rigide Bauvorschriften zu befolgen hatten.

Verträge sicherten das Wachstum
Am Ende von Adickes‘ Amtszeit im Jahr 1912 war die Einwohnerzahl bereits auf 425.000 angestiegen. Hier zeigte sich jedoch schnell, dass die Eingliederung in das preußische Staatsgebiet der Stadt keineswegs nur Nachteile bescherte: Frankfurt konnte wachsen. Als souveräner Staat hätte es sein Territorium nur durch eine – völlig undenkbare – Aggression gegen seine Nachbarstaaten erweitern können; jetzt taten es ein paar Verträge und Verwaltungsakte. Die engen Stadtgrenzen und die naserümpfende Abneigung beträchtlicher Teile des Handels- und Finanzbürgertums gegen eine Industrialisierung hatten dazu geführt, dass Industriebetriebe sich zunächst vorwiegend im Umland niedergelassen hatten; das „Eschborn“ der Gründerzeit war Bockenheim, das 1895 zu Frankfurt kam. Insgesamt wurden in wilhelminischer Zeit 16 Vororte eingemeindet. Da nur ein Fünftel des Einwohnerzuwachses auf die Eingemeindungen, der Rest auf Zuzug und den nicht zuletzt auf die verbesserte Gesundheitslage zurückzuführenden Geburtenüberschuss entfiel, bestand die Wohnungsknappheit fort. Adickes dehnte seine Baupolitik und die Bauverordnungen auch auf die neuen Vororte aus und konnte nun – als eigentlichem Ziel der Expansionspolitik – mit einer um ein Drittel vergrößerten Stadtfläche für Industrieansiedlung und Siedlungsbau sehr viel großflächiger planen. Dazu, vor allem aber um den Anstieg der Immobilienpreise und der Bodenspekulation entgegenzuwirken, erwarb der Magistrat in großem Umfang Land vor allem in den Außenbereichen und gelangte so den Besitz von rund 20 Prozent des früheren Landkreises Frankfurt.

Citybildung und Altstadtverfall
Zusätzlichen Druck auf den Wohnungsmarkt übte die einsetzende Citybildung aus, wodurch in der Innenstadt immer mehr Wohnraum durch Geschäftsbauten wie Banken, Handels- und Kaufhäuser verdrängt wurde. Auch mussten kommunalen Bauprojekten und dem Straßenbau, wie der 1905 angelegten Braubachstraße, Wohngebäude weichen. Die eigentliche Altstadt zwischen Dom und Römer indes wurde zunehmend zum Sanierungsfall. Die engen Gassen waren dunkel und feucht, die Fachwerkhäuser so heruntergekommen und sanierungsbedürftig, dass sie nur noch an Geringverdiener zu vermieten waren. Die zahlreichen Sanierungsbemühungen vor allem in den 20er Jahren vermochten das Problem bis zur Zerstörung der Altstadt 1944 indes nicht grundlegend zu lösen.

Ernst May und das Neue Frankfurt
Nach der Zäsur des Ersten Weltkrieges setzte Oberbürgermeister Ludwig Landmann die Baupolitik seiner Vorgänger fort. Wie sie war der vormalige Wirtschaftsdezernent überzeugt, dass Wohnungsbau und Siedlungswesen zu den zentralen Aufgaben der Stadt gehören, die diese auch eigenverantwortlich zu lösen hatte. Bereits vor dem Krieg begonnene oder geplante Projekte wie die Kuhwaldsiedlung, der Riederwald oder die Ferdinand-Hoffmann-Siedlung in Sindlingen wurden fortgeführt oder neu in Angriff genommen. Daneben erfüllten die öffentlichen Investitionen der 20er Jahre den Zweck, die durch Wirtschaftskrise und Inflation gebeutelte Wirtschaft wieder anzukurbeln. Zu diesen Projekten gehörte neben der Großmarkthalle, der Vollendung des Waldstadions und dem weiteren Hafenausbau auch der soziale Kleinwohnungsbau.

Dazu stattete der Magistrat den 1925 ernannten Baudezernenten Ernst May mit weitreichenden Vollmachten aus. Für ihn ging es nicht nur um die Vermehrung der Wohnungen, sondern auch um eine Verbesserung der Wohnstandards. Insofern war das mit seinem Namen untrennbar verbundene „Neue Frankfurt“ ein umfassendes Stadtplanungsprogramm. Im Vordergrund standen zwar die Wohnungsbauaktivitäten, die zwischen 1925 und 1930 die ärgste Wohnungsnot und den drängenden Modernisierungsstau beseitigten. Zusätzlich setzte des „Neue Bauen“ ästhetische Maßstäbe weit über das rein bauliche Design hinaus und erhob als gesellschaftliche Reformbewegung einen weitreichenden Gestaltungsanspruch.

May setzte Standards
Unter Mays Regie entstanden 12.000 Wohnungen in öffentlich-privater Partnerschaft, 2000 mehr als geplant. Die Wohnungen erfüllten nicht nur das Grundbedürfnis des Wohnens, sie setzten auch Standards im Wohnungs- und Siedlungsbau, beispielsweise mit der Frankfurter Küche. Zusätzlichen Raum für diese Vorhaben gewannen die Planer durch eine weitere Welle von Eingemeindungen namentlich nach Westen, die Frankfurt bis zur Gründung Groß-Berlins zeitweilig zur größten Flächenstadt Deutschlands machten.

Es entstand – so May – „ein Kranz ideal gelegener Siedlungen“. Sie sollten, so formulierte es May im Generalplan von 1930, „als losgelöste Siedlungskomplexe in das Freiland der Umgebung eingebettet“ werden. Entlang des Stadtrandes markierten sie nicht nur den Beginn des städtischen Raums, sondern bildeten auch jede für sich einen deutlichen Abschluss gegen die anschließenden Freiflächen. Diese „Trabanten“ stellten jedoch keine autarken neuen Stadtbezirke dar, sondern waren weiterhin auf das Stadtzentrum bezogen. Sie erhielten, wie die Römerstadt oder die Goldsteinsiedlung zeigen, eine Mischung aus mehrgeschossigen Großbauten, intimeren Kleinformen, breiten Straßen und schmalen Wegen, die unter dem Schlagwort „Licht, Luft und Sonne“ den Bewohnern großzügige, aber dennoch überschaubare Räume boten.

So viele Neubauwohnungen wie nirgendwo sonst
Zwar hatten die Siedlungen Wohnraum in Frankfurt erschwinglich gemacht, durch hohe Mieten zur Deckung der Baukosten jedoch nicht unbedingt für Arbeiter. Vielfach war es die Mittelschicht, die selbst die gutbürgerlichen Quartiere verließ, um eines der modernen Häuser oder eine der Wohnungen mit Warmwasser, moderner Küche, Selbstversorgergärten und lichtdurchfluteten Zimmern zu beziehen. Damit auch Geringverdiener am „Neuen Frankfurt“ partizipieren konnten, wurden raumsparende Klein- und Kleinstwohnungen von 45 bis 65 Quadratmeter in Zwei- und Vierfamilienreihenhäusern oder mehrgeschossigen Serienbauten entwickelt, wie in den späteren Bauabschnitten in Praunheim, Westhausen oder der Hellerhofsiedlung. Die Sparzwänge der Wirtschaftskrise, veränderte Prioritäten der NS-Zeit und letztlich die Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges setzten dieser Phase intensiven Planens und Bauens ein Ende. Tatsächlich aber war Frankfurt zu Beginn der 30er Jahre die Stadt, die die umfangreichste Bautätigkeit im Rahmen des „Neuen Bauens“ vorzuweisen hatte und galt mit ihrer Symbiose aus historischem Stadtbild und zeitgenössischen Bauensembles als eine der attraktivsten Städte überhaupt; keine deutsche Stadt hatte einen vergleichbaren Bestand an Neubauwohnungen aufzuweisen. Einige laufende Projekte wie die Siedlung Dornbusch-Ost wurden in den 30er Jahren noch beendet, neue Siedlungen wie am Frankfurter Berg und in Unterliederbach blieben jedoch die Ausnahme.

Hatten 1943 noch fast 550.000 Einwohner in Frankfurt gelebt, waren bei Kriegsende 1945 nur noch 265.000 Menschen in der Stadt. Nach 1945 wurde der Wohnungsbau im Rahmen des Wiederaufbaus erneut aufgenommen. Bereits 1948 waren 36.000 von 80.500 zerstörten und 53.000 stark beschädigten Wohnungen wiederhergerichtet. 1954 war mit 170.000 Wohneinheiten der Vorkriegsstand annähernd erreicht und alsbald schon übertroffen; allerdings hatte die Stadt auch 70.000 Einwohner mehr als vor dem Krieg.

Wiederaufbau und „die Unwirtlichkeit der Städte“
Mit dem Wiederaufbau einher ging indes auch eine planerische Neuausrichtung. Anstatt die zerstörten Teile auf den alten Grundrissen wiedererstehen zu lassen, verfolgte Oberbürgermeister Walter Kolb die Vision einer aufgelockerten, autogerechten Stadt, was eine grundlegende Umstrukturierung des Verkehrsnetzes erforderte. Ebenso veränderte sich die Wohnungsbaupolitik. Hatte man in der Ära Mays in markanter Absteckung des Stadtrandes unter Einschluss innerstädtischer Freiflächen große Siedlungen errichtet, dockte man nach 1945 Siedlungsgebiete an bereits bestehende Ortsteile an. Diese Projekte waren mit etwa 500 bis 1.500 Wohnungen in der Regel auch sehr viel bescheidener dimensioniert als die oft mehr als doppelt so großen Großprojekte der 20er Jahre, denn neue Trabantenstädte waren ausdrücklich nicht erwünscht. Der eigentliche Wiederaufbau war Ende der 50er Jahre abgeschlossen und in ein erneutes rapides Anwachsen der wieder aufblühenden Wirtschaftsmetropole gemündet. 1959 zählte Frankfurt schon 639.000 Einwohner, 1963 dann schon 690.000. Anstatt allerdings wie geplant bis 1970 die Linie von 700.000 zu überschreiten, sank die Stadtbevölkerung auf dann 642.000 herab – die Menschen bauten im grünen und vor allem billigeren Umland. Von Kriegsende bis Ende der 60er, noch vor dem Bau der Nordweststadt wurden in Frankfurt etwa. 30.000 Wohnungen in neuen Siedlungen errichtet, ein rundes Drittel des gesamten Wohnungsbaus.

Erste Großsiedlungen mit urbanem Mikrokosmos entstehen
An der Wohnraumknappheit änderte sich dennoch wenig. Unter dem Schlagwort „Urbanität durch Dichte“ sollten nunmehr neue Großsiedlungen entstehen, wie die Nordweststadt mit 15.890 Wohneinheiten, die die alten Ortsteile Heddernheim, Praunheim und Niederursel integrierte und 1962 von den ersten Einwohnern bezogen wurde. Als „Gebaute Sozialpolitik“ in Anlehnung an Ernst May – er selbst war ebenso wie einige seiner früheren Mitarbeiter an dem Projekt beteiligt – sollte sie nicht nur Wohnraum, sondern einen gesamten urbanen Mikrokosmos mit Einkaufszentrum, Schwimmhalle, Schulen, Heizwerk, und U-Bahnlinie zur Verfügung stellen. Dieses Nordwestzentrum als neue künstliche Stadtteilmitte wurde 1968 fertig, blieb jedoch wie viele andere Zentren dieser Art hinter den Erwartungen zurück – „Urbanität“ ließ sich offensichtlich nicht baulich erzwingen. Immerhin vermied die Nordweststadt die einförmige Tristesse anderwärtiger Trabantenstädte.

Angesichts dieser Dimensionen waren Siedlungen daher sehr prägend für das Stadtbild. Im großen Ganzen wurden Fehler im Siedlungsbau anderer Großstädte wie Überkonzentration, Massenmenschenhaltung, Monofunktionalität weitgehend vermieden, andererseits dem immensen Flächenverbrauch der „Häuslebauerei“ entgegengewirkt. Dennoch zog die sterile Eintönigkeit der lakonischen Baukultur der 50er und 60er Jahre mit ihrer trostlosen Langeweile heftige Kritik aus verschiedenen Wissenschaftszweigen auf sich. Generell wurde der deutsche Städtebau, einer zu geringen Achtung vor der verbliebenen historischen Bausubstanz und der Schaffung „unbewohnbarer Betonwüsten“ geziehen. Das Frankfurt jener Jahre war Anlass für Mitscherlichs Buch „Von der Unwirtlichkeit unserer Städte“.
Tatsächlich wurden nach der Nordweststadt bis etwa 1980 noch rund 8.000 Wohnungen in zehn Siedlungsgebieten geschaffen. Die Anonymität und Monotonie einiger dieser monumentalen Baugruppen wie am Frankfurter Berg, Ben-Gurion-Ring oder im Mainfeld mit abgestuften Hochhäusern der 60er und 70er Jahre leistete der Entstehung sozialer Brennpunkte Vorschub, die inzwischen durch aufwändige sozialpolitische Maßnahmen angegangen werden. Hinzu kommen Probleme mit der Betonarchitektur dieser Zeit, die vielfach Bauschäden mit entsprechendem Sanierungsbedarf aufweist.

Neue Flächen, neue Chancen
Die 70er und 80er Jahre leiteten eine Phase des Umdenkens ein; demographische und gesellschaftspolitische Veränderungen, schließlich auch die große Politik gewannen zunehmend an Einfluss auf Stadtplanung und Baupolitik. Anfang der 70er Jahre stellte der legendäre „Häuserkampf“ in der Auseinandersetzung mit der Bodenspekulation und der Bebauung des Westends die Frage nach der „Abkopplung des Sozialen von der Ökonomie“ beim Bauen neu; im Ergebnis wurde der Stadtumbau zu einer Hochhauslandschaft zugunsten des Erhalts alter Gebäude aufgegeben. Unter dem Eindruck der zeitweiligen Stagnation der Bevölkerung lenkte Frankfurt Mittel in die Aufwertung der Innenstadt um, womit die Schaffung des Museumsufers und der Bau der Ostzeile auf dem Römerberg ermöglicht wurde. Wie schon der Widerstand im Westend markiert auch die Ostzeile zugleich den Beginn der Suche nach historischen Identitätsankern in der sich rasch wandelnden Stadtlandschaft.

Zum vorerst – und vermutlich dauerhaft – letzten Mal eröffnete die Hessische Kommunalreform von 1972 mit der Eingemeindung einiger noch dörflich geprägter Kommunen am Nordrand der Stadt die Möglichkeit zu großflächigen Planungen und ermöglichte den Bau der Wohnstadt „Am Bügel“ zwischen Bonames und Nieder-Eschbach.

US-Truppen und Betriebe machen Platz für Wohnbebauung
Das Ende des Ost-West-Konflikts, Globalisierung und das Zusammenwachsen Europas bescherten der Stadt nicht nur einen abermaligen Zuwachs auf deutlich über 700.000 Einwohner. Der Abzug der US-Truppen mobilisierte indes auch neue Wohnungsreserven. Die Stadt erwarb 1998 rund 1.600 Wohnungen aus US-Beständen, und an zahlreichen Stellen im Frankfurter Norden wurden Housing-Areas, Funktionsgebäude und Kasernenanlagen der Amerikaner umgebaut oder wichen Neubauten.

Daneben war es vornehmlich der wirtschaftliche Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsmetropole, der vormalige Wirtschaftsgelände für Wohnzwecke freimachte: Die Westhafenbebauung, der Schlachthof und der Auszug des einstigen Bockenheimer Unternehmens Hartmann & Braun schufen Raum, der zum Teil für neue Mischnutzungen aus Büro- und Wohnflächen umgewidmet wurde. Denn auch die strikte Trennung zwischen Wohn- und Arbeitsbereichen hatte sich als Irrweg der Stadtplanung erwiesen. Ein solcher war auch der Bau der Bürostadt Niederrad gewesen. Die künstliche Stadt gilt heute als Negativbeispiel der Bauwut jener Jahre. Die Separation von Wohnen und Arbeiten für inzwischen rund 35.000 Beschäftigte erzeugte neue Pendlerströme, und abends gleichen die leeren Straßen denen einer Geisterstadt. Nach nunmehr 50 Jahren wird eine Umkehr eingeleitet. Zumindest Teile des heutigen Leerstandes sollen zu Wohnungen für bis zu 8.000 Nutzer umgebaut, das Quartier durch die Umbenennung zum „Lyoner Viertel“ auch vom Image her aufgewertet werden.

Zwei neue Stadtbezirke und eine neue Altstadt
Wohnen und Arbeiten enger zusammenführen soll auch der neu entstehende Stadtbezirk Riedberg, dessen Entwicklung im Jahr 2001 begann, und der bis 2020 fertiggestellt sein soll. Nach und nach entsteht eine komplette Bebauung mit Ein- und Mehrfamilienhäusern, Eigentums- und Mietwohnungen, Geschäften, Parks und Grünverbindungen, Restaurants, Büros, Kindereinrichtungen, Schulen und einem Medizinischen Zentrum, Hotels und Dienstleistungsbetrieben, die bei Fertigstellung in 6.000 Wohneinheiten rund 16.000 Einwohnern rund 8 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt eine Heimat bieten soll. In unmittelbarer Nähe entstehen etwa 3.000 Arbeits- und 8.000 Studienplätze auf dem Campus Riedberg der Goethe-Universität Frankfurt mit seinen angegliederten Instituten, Forschungszentren und Unternehmen.

Unmittelbar an die Innenstadt anschließen wird das Europaviertel auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs. Im Jahr 2005 wurde mit der Erschließung begonnen und bis 2019 soll das Projekt mit Büros, Hotels, Wohnungen, einer Schule und sozialer Infrastruktur, Parks sowie Einkaufs- und Freizeitmöglichkeiten fertiggestellt sein. Auch hier sollen für rund 10.000 Einwohner Wohnen und Arbeiten auf einem der 30.000 Arbeitsplätze in räumlicher Nähe möglich sein.

Und auch im ältesten Teil Frankfurts, der 1944 im Bombenhagel untergegangenen Altstadt, werden bald wieder Menschen wohnen können. Der Abriss des nicht mehr sanierungsfähigen Technischen Rathauses eröffnete den Weg zur Neuerstehung eines an historischen Vorbildern orientierten Bauensembles zwischen Dom und Römer, in dem im September 2018 die ersten Bewohner die Eröffnungsfeier verfolgen können.