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Letzte Aktualisierung: 19.04.2024

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Wie aus Gerüchten Tatsachen werden

Schlechte Krisenkommunikation kostet Reputation

von Norbert Dörholt

(27.05.2019) Derzeit pfeifen so manchen Firmenlenkern raue Winde ins Gesicht: Die Bayer-Aktionäre verweigerten erst kürzlich dem Vorstand wegen der Monsanto-Affäre die Entlastung, am Donnerstag bekam die Deutsche Bank ihr Fett weg – Zitat eines Aktionärs: „Für eine Deutsche-Bank-Aktie kann man sich nicht mal mehr eine Schachtel Zigaretten kaufen“ –, und die Vorstandsetagen deutscher Automobilhersteller sehen den kommenden Hauptversammlungen ebenfalls mit gemischten Gefühlen entgegen.

Dr. Hans-Dieter Klose genießt als Krisenberater auch international eine hohe Reputation. Dank seiner Schulungen ist schon zahlreichen Unternehmen Schlimmeres erspart geblieben.
Foto: Privat
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Viele Anleger haben viel Geld verloren und, was für die Unternehmen noch schlimmer ist – das Vertrauen in sie. Das kann der Anfang vom Ende sein, denn, wie es so schön heißt, die Hoffnung stirbt zuletzt, dann aber ist der Patient so gut wie tot. Aber ist es auch tatsächlich das Ende, wenn das Kind nun mal in den Brunnen gefallen ist? Gibt es vielleicht doch noch Mittel und Wege, um wenigstens das Schlimmste zu verhindern? Denn Schadenfreude oder Ingrimm, die nicht wenige Leser und Hörer beim Konsumieren solcher Nachrichten in den Medien befällt, sind zwar menschlich nachvollziehbar, retten aber keine Arbeitsplätze – die aber letztlich der Dreh- und Angelpunkt allen Wohl und Wehes sind, letztlich also auch unser aller Wohls, sprich des Gemeinwohls.

Dieser nicht uninteressanten Frage also wollte Frankfurt live auf den Grund gehen und hat sich deshalb an einen ausgewiesenen Fachmann in Sachen Krisenkommunikation mit der Bitte gewandt, unseren Lesern Einblick in die Strategien zu geben, wie man mit dem geringstmöglichen Schaden aus solch einer oft aus Überheblichkeit oder Dilettantismus selbst verschuldeten Situation wieder herauskommt. Wir baten den renommierten Frankfurter Krisenberater Dr. Hans-Georg-Klose (hansgeorg.klose@t-online.de), unseren Lesern zu schildern, wie in solchen Fällen am besten vorzugehen ist. Dabei hatten wir insofern Glück, als dieser international gefragte und entsprechend ausgelastete Krisenmanager gerade an einem Beitrag für die Zeitschrift CHEManager arbeitete, aus dem er uns mit freundlicher Genehmigung des Verlags relevante Passagen zukommen ließ. Hier seine in der Tat spannend zu lesenden Ausführungen zu diesem ebenso sensiblen wie komplexen Thema:

„Anfang 2019 dauerte es Wochen, bis Boeing-Chef Dennis Muilenburg sich endlich zu zwei Abstürzen des Flugzeugtyps 737 Max zu Wort meldete. Vorher hatte man sich mehr um die Vermeidung eines Flugverbots und die Fehlerlosigkeit der eigenen Software gekümmert. Das Ergebnis war ein massiver Vertrauensverlust der Kunden, der Mitarbeiter und nicht zuletzt der Börsen. Diesem Totalversagen folgte ein schwerwiegender Reputationsverlust, Ausgang offen.

Vier Jahre zuvor brauchte Lufthansa-Chef Carsten Spohr nur wenige Stunden, um sich des Themas anzunehmen und das Gesicht der Krise nach innen und außen darzustellen. Das war trotz der Katastrophe – ein Pilot des Tochterunternehmens German Wings hatte eine Maschine zum Absturz gebracht – ein wichtiger Schritt zum Erhalt der Reputation und des Vertrauens der Mitarbeiter und Kunden.

Aus Fehlern lernen

Was für die Großen der Luftfahrtbranche gilt, aber ebenso für Banken oder Automobilhersteller, stimmt gleichfalls für kleinere und mittelständische Unternehmen, beispielsweise auch in der für Deutschland wichtigen Chemie- und Pharmaindustrie. Denn Erfolg oder Misserfolg entscheiden sich lange vor einem Ereignis. Oder wie Judith von Gordon-Weichelt, Kommunikationschefin bei Boehringer Ingelheim, sagt: ´Es muss der Wille da sein, aus Fehlern zu lernen und Prozesse zu verändern.´ Denn Ereignis- oder Krisenmanagement ist nicht Sache der Sicherheitsfachkräfte oder der Kommunikationsabteilung, so wie Cyber Security nicht einfach bei der IT-Abteilung abgeladen werden kann. Das Management der Krise fängt oben an, im Management, in der Chefetage oder im Büro des Standortleiters.

Mitarbeiter sind Öffentlichkeitsarbeiter

Dabei müssen sehr viele Stakeholder bedient und beobachtet werden, was allzu oft nur in Öffentlichkeitsarbeit und mit herkömmlichen PR-Instrumenten umgesetzt wird. Vergessen oder zu spät und zu schlecht informiert sind oft die eigenen Mitarbeiter, vom Blaumann bis zum Vorgesetzten, vom Außendienstler bis zum Betriebsrat. Judith von Gordon-Weichelt sagt dazu: ´Jeder Mitarbeiter ist auch Botschafter und Botschafter wollen sich damit identifizieren können, wofür sie stehen. Keiner möchte Botschafter eines Unternehmens sein, das sich unbeliebt gemacht hat. Also kümmern Sie sich um Ihre Leute, informieren Sie schnell und authentisch, transparent und dialogorientiert.´

Dabei müssen gar nicht alle Fragen beantwortet, alle Zweifler überzeugt werden. Da aber jeder Mitarbeiter auch als Öffentlichkeitsarbeiter unterwegs ist, braucht er Informationen und klare Botschaften. Dann zückt er auch nicht sein Handy, lädt keine Unfallbilder hoch oder twittert über den aus seiner Sicht völlig überforderten Chef.

Aus Vermutungen werden Gerüchte

Ob ein Unternehmen in einer Krise steckt oder nicht, entscheiden übrigens nicht die Führungskräfte. Maßgebend sind die öffentliche Wahrnehmung und damit die öffentliche Meinung über das Unternehmen und das Auftreten seiner Unternehmensvertreter. Dabei ist ein vertrauensvoller Kontakt zu Politik, Medien und Nachbarschaft entscheidend, denn aus Vermutungen werden schnell Gerüchte, aus Gerüchten Tatsachen. Dagegen helfen nur die klare Botschaft, das schnelle Bedauern und der sichtbare Wille zur Aufklärung.

Doch gerade ein schlechter Umgang mit Nachbarn, Journalisten oder Mitarbeitern geht zu Lasten der eigenen Reputation. Eine schwer verständliche Pressemeldung oder die unbedachte Äußerung gegenüber Politik und Behörden führt schnell zu Nachfragen und Misstrauen. Ausreden wie Zeitmangel oder mangelnde Ressourcen sind dabei wenig glaubhaft. Und wer im Vorfeld seine Hausaufgaben nicht gemacht und Fakten nicht verfügbar hat, der missachtet die einfachsten Regeln der Krisenkommunikation.

Schulen und trainieren

Bei jeder Krise sind die handelnden Personen, die Gesichter der Verantwortlichen der entscheidende Faktor zum Erhalt der Reputation. Diese kommunikativen Frontmänner und Frontfrauen müssen natürlich auch geschult und trainiert werden, sollten stressresistent und klar in ihrem Auftreten sein. Doch auch sie sind lediglich die Speerspitze eines firmeninternen Krisenmanagements, das auch nicht von jetzt auf gleich funktionieren und erfolgreich sein kann. Krisenhandbücher, Krisenstäbe, Trainings und Übungen sind nötig, um im richtigen Moment die richtigen Entscheidungen treffen zu können. Diese Vorbereitung wird den Produktaustritt oder den Datenklau nicht unbedingt verhindern, aber dank der Prävention die Folgeschäden minimieren.

Die Klassiker an Chemie- und Pharmastandorten sind Brände, Stoffaustritte oder Transportunfälle. Doch heutzutage reden wir auch über Compliance, Cyber-Attacken, Force Majeure und Social Media. Wie damit umgehen? Wo fängt präventives Krisenmanagement an? Was kann und muss ich als Unternehmens- und Standortleiter oder auch Experte für Umweltschutz, Sicherheit oder Kommunikation tun?“

Diese Fragen und viele mehr beantwortet übrigens –aktueller kann solch ein Termin kaum sein – das Praxisforum Krisenmanagement am 3. und 4. Juni 2019 im Dechema-Haus in Frankfurt. Zwei Tage sind vollgepackt mit Erfahrungsberichten und praktischen Tipps zum Aufbau einer klaren Struktur und klaren Zuständigkeiten. Erfahrene Praktiker und leidgeprüfte Firmenchefs etwa berichten über Mediendruck und Verantwortung in der Krise. Denn eine gute Prävention ist besser als die beschädigte Reputation.

Praxisforum Krisenmanagement

Neben klassischen Unfällen sind es immer stärker Themen wie Compliance oder Social Media, die einer Organisation ohne Krisenmanagement klare Grenzen aufzeigen. Die Teilnehmer des 2. Praxisforums Krisenmanagement lernen von Kollegen anderer Firmen, können sich austauschen und vernetzen sowie die Instrumente eines präventiven Krisenmanagements kennen- und anwenden lernen. So also bereiten sich die Firmen kommunikativ auf eventuelle Krisenfälle vor.