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Letzte Aktualisierung: 28.03.2024

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Vom Seeteufel zum Friedensengel

Martin Niemöller: Mit dem Kreuz gegen das Hakenkreuz

von Norbert Dörholt

Unter den mutigen Kirchenmännern, die in Deutschlands dunkelster Stunde trotz staatlicher Repression ihre Stimme gegen das nationalsozialistische Unrechtssystem erhoben, nimmt der protestantische Pastor Martin Niemöller eine exponierte Rolle ein.



Vom U-Boot-Kommandanten zum Widerstandskämpfer. Das Leben von Martin Niemöller ist jetzt spannend in 320 Seiten zusammengefasst.
Foto: Verlag
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Michael Heymel, ehemaliger Pfarrer der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) und wissenschaftlich-theologischer Mitarbeiter am Darmstädter Zentralarchiv der EKHN, hat nun eine lesenswerte Biografie über diesen »deutschen Protestanten von Weltrang« verfasst, in der er den gebrochenen Lebensweg Martin Niemöller fesselnd nachzeichnet. In Niemöllers Vita – so legt der Autor überzeugend dar – spiegeln sich die großen Themen des 20. Jahrhunderts: zwei Weltkriege, der Zusammenbruch des wilhelminischen Kaiserreichs, Aufstieg und Fall des totalitären NS-Staates, der Holocaust, die Teilung Deutschlands in zwei deutsche Staaten, die Stellung der Kirchen zum Weltgeschehen, die fortschreitende Globalisierung und die Verantwortung für das Leben in der einen Welt, für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung.

Unter den mutigen Kirchenmännern, die in Deutschlands dunkelster Stunde trotz staatlicher Repression ihre Stimme gegen das nationalsozialistische Unrechtssystem erhoben, nimmt der protestantische Pastor Martin Niemöller eine exponierte Rolle ein.


Vom U-Boot-Kommandanten zum Widerstandskämpfer. Das Leben von Martin Niemöller ist jetzt spannend in 320 Seiten zusammengefasst.
Foto: Verlag
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Michael Heymel, ehemaliger Pfarrer der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) und wissenschaftlich-theologischer Mitarbeiter am Darmstädter Zentralarchiv der EKHN, hat nun eine lesenswerte Biografie über diesen »deutschen Protestanten von Weltrang« verfasst, in der er den gebrochenen Lebensweg Martin Niemöller fesselnd nachzeichnet. In Niemöllers Vita – so legt der Autor überzeugend dar – spiegeln sich die großen Themen des 20. Jahrhunderts: zwei Weltkriege, der Zusammenbruch des wilhelminischen Kaiserreichs, Aufstieg und Fall des totalitären NS-Staates, der Holocaust, die Teilung Deutschlands in zwei deutsche Staaten, die Stellung der Kirchen zum Weltgeschehen, die fortschreitende Globalisierung und die Verantwortung für das Leben in der einen Welt, für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung.

Der 1892 im westfälischen Lippstadt geborene Niemöller war zeitlebens ein Patriot, ein Mann, der seinem Vaterland Deutschland dienen wollte. In Treue zu Kaiser und Vaterland verstand er seinen ersten Beruf als Marineoffizier, in dessen Funktion er als U-Boot-Kommandant feindliche Frachtschiffe torpedierte. In der Weimarer Republik, deren Gegner er war, wollte er seinem Volk dienen, indem er wie sein Vater evangelischer Pfarrer wurde. Der Pastor aus Berlin-Dahlem gehörte zu den vielen Kirchenmännern, die Ende der 1920-er Jahre den aufkeimenden Nationalsozialismus nicht prinzipiell ablehnten. Protestanten sympathisierten traditionell eher mit einer starken Obrigkeit.

Auch noch zu Beginn des ›Dritten Reiches‹, von dem er zunächst eine nationale Erneuerung erwartet hatte, war Niemöller patriotisch eingestellt. Erst allmählich wurde ihm bewusst, dass hier Pflichttreue und Gehorsam missbraucht, Volk und Land von politischen Verführern in die Irre geleitet wurden. Der kirchliche Widerstand formierte sich im September 1933 im Pfarrernotbund. Er wurde zum Sammelbecken für kircheninterne Oppositionelle, die als Theologen oder mutige Gemeindepfarrer aufgrund ihrer christlichen Überzeugung teilweise schon früh auf Distanz zum Führerstaat gegangen waren und sich gegen das nationalsozialistische System auflehnten. Ende Mai 1934 wurde dann in Wuppertal-Barmen die »Bekennende Kirche« gegründet – eine Oppositionsbewegung evangelischer Christen, die gegen die Gleichschaltung von Kirche und Staat, gegen den Arierparagraphen, gegen die rassendogmatische Umdeutung des Glaubens, die Vergöttlichung Hitlers und gegen die Verherrlichung der Blutsgemeinschaft des auserwählten deutschen Volkes ihre mahnende Stimme erhob.

Niemöller, der als Wortführer der »Bekennenden Kirche« unerschrocken von der Kanzel heran mit dem Kreuz in der Hand gegen das Hakenkreuz predigte, wurde für sein unerschütterliches Eintreten zwischen 1937 und 1945 in den Konzentrationslagern Sachsenhausen und Dachau interniert. Vor dem üblichen Schlimmsten blieb er bewahrt. Der dem Tode Entkommene schenkt sich weder Ruhe noch Besinnung. Nicht Verzweiflung wie nach 1918, vielmehr zukunftsorientierter Aktivismus inmitten von Ruinen und Hunger kennzeichnen seine Verfassung. Niemöller übernahm das Außenamt der Evangelischen Kirche und wurde einer der sechs Präsidenten des Weltkirchenrats. Er ließ sich nicht zum Bischof, sondern zum »Kirchenpräsidenten« von Hessen und Nassau wählen, weil dieser Titel bescheidener sei, sagte er.

Als religiöser Pazifist begehrte Niemöller gegen die deutsche Wiederbewaffnung auf, kritisierte die Positionen der Kirche im Kalten Krieg sowie die Rüstungspolitik der Großmächte scharf. Er, der die Frage »Was würde Jesus dazu sagen?« in den Mittelpunkt seines Denkens stellte, lehnte Krieg generell als christlich unverantwortbar ab. Deshalb galt für den religiösen Pazifisten Niemöller die Ableistung von Militärdienst als mit dem christlichem Glauben unvereinbar und die Ausbildung zum Soldaten als »die Hohe Schule für Berufsverbrecher«. Sucht man nach einem Begriff, mit dem sich Beständigkeit und Wandel in der Lebensgeschichte Martin Niemöllers erschließen, bietet sich am ehesten der der Konversion an. In Niemöllers Denken findet eine Reihe von Bekehrungen statt, die aus dem jungen, untadelig tapferen preußischen Offizier, aus dem kampffreudigen, mutigen Dahlemer Pastor schließlich den wildumstrittenen Pazifistenführer im Niemandsland der Weltpolitik machten.

Wann und warum sich diese oder jene Haltung und Gesinnung in ihm auszubilden begann, das kann man nun in dem flüssig geschriebenen und hervorragend recherchierten Buch von Michael Heymel nachlesen. (Michael Heymel: Martin Niemöller. Vom Marineoffizier zum Friedenskämpfer, Lambert Schneider, Darmstadt 2017, 320 S., 29,95 €.)

Von Theodor Kissel, Sörgenloch