Das Online-Gesellschaftsmagazin aus Frankfurt am Main

Letzte Aktualisierung: 25.04.2024

Werbung
Werbung

SUR/FACE. Spiegel

Faszinierende Ausstellung im Museum Angewandte Kunst bis 1. Oktober 2017

von Ilse Romahn

(10.07.2017) Als reflektierende Fassaden von Bankentürmen, in Boutiquen, Fitnessstudios und Empfangshallen, in unseren Wohnungen und auf unseren Smartphones – spiegelnde Oberflächen sind heute allgegenwärtig. Wie erklärt sich die aktuelle Hochkonjunktur spiegelnder Materialien? Wie werden Spiegeleffekte im Design eingesetzt, wie werden sie in der Kunst reflektiert? Und wie beeinflusst uns die omnipräsente Spiegelerfahrung?

Bildergalerie
Andy Warhol, Silver Clouds, 1966
Foto: Museum Angewandte Kunst
***
Dan Graham, Pyramid, 1999
Foto: Museum Angewandte Kunst
***

Die Ausstellung SUR/FACE. Spiegel im Museum Angewandte Kunst richtet bis zum 1. Oktober 2017 den Fokus auf das Phänomen des Spiegelns in Kunst, Design und Architektur der Gegenwart. Auf 1.200 Quadratmetern zeigt die Schau Designobjekte etwa von Ron Arad, Ettore Sottsass und Oskar Zieta gemeinsam mit künstlerischen Arbeiten u.a. von Monir Shahroudy Farmanfarmaian, Isa Genzken oder Andy Warhol. Über 100 Exponate aus Spiegelglas, hochpolierten Metallen oder reflektierendem Kunststoff ziehen den Blick der Besucherinnen und Besucher auf sich, lenken ihn, irritieren bisweilen, schaffen neue Perspektiven. Spiegelnde Oberflächen öffnen illusionistisch Räume, deuten ins scheinbar Endlose und werfen den Blick zurück auf die (sich) Betrachtenden.

Spiegelbilder existieren nie autonom, sie entstehen erst durch ihren räumlichen Kontext, durch Blick und Blickwinkel des Schauenden. SUR/FACE. Spiegel kreiert Raumkonstellationen, in denen die Besucherinnen und Besucher als Erzeuger individueller Bedeutungen im Mittelpunkt stehen. Durch den Effekt des Spiegelns können sie mit den Objekten und der Architektur in den Dialog treten und werden mit ihrer individuellen Wahrnehmung nicht zuletzt immer wieder auf sich selbst zurückgeworfen. In der charakteristischen Architektur des Richard Meier-Baus inszeniert die Ausstellung mit Blick auf die Bankentürme der Frankfurter Skyline zwei weiträumige, abstrahierte Wohnsituationen, die an Lofts oder temporäre Residenzen erinnern. Darin bilden reflektierende Designobjekte und Möbel unterschiedliche Interieurs, die an alltägliche Lebenswelten angelehnt sind. So begegnen den Besucherinnen und Besuchern in der Ausstellung gleichsam vertraute wie verfremdete Räume täglicher „Spiegelmomente": Vom öffentlichen Raum einer verspiegelten Lobby führt der Rundgang durch privatere Räume wie Wohn- oder Esszimmer bis in die intimsten Bereiche des Wohnens wie Schlaf- und Badezimmer. In Relation zu den Interieurs treten Kunstwerke, die, zumeist selbst spiegelnd, das Spiegeln thematisieren.

Ehemals eine rare Kostbarkeit, haben Spiegel seit Beginn ihrer industriellen Herstellbarkeit im 19. Jahrhundert einen Siegeszug in Architektur und Design der Moderne angetreten und sich zu einem selbstverständlichen Element unserer Umwelt entwickelt. Der Blick in den Spiegel dient der Selbstwahrnehmung und -beobachtung, er ermöglicht die tägliche Körperpflege, das Inszenieren des Äußeren und emanzipiert uns vom prüfenden Blick eines Anderen. Unzählige Male täglich nutzen wir das Spiegelbild zur Selbstvergewisserung und zur reflexartigen Überprüfung unseres Aussehens. Zugleich simulieren spiegelnde Flächen den Blick des Anderen. Als Medium der Selbsterkenntnis ist der Spiegel Inhalt zahlreicher philosophischer und psychoanalytischer Studien: Sigmund Freud leitete seine Theorie der Melancholie vom Mythos des Narziss ab, laut Jacques Lacan konstituiert sich mit dem Erkennen des eigenen Spiegelbildes im „Spiegelstadium" die psychische Funktion des Ichs, Jean-Paul Sartre sieht die Entstehung des Selbstbewusstseins im „Blick des Anderen" begründet.

Der Spiegel changiert heute mehr denn je zwischen der Möglichkeit der kontemplativen Selbstwahrnehmung und dem puren Sinnesreiz. Spiegelnde Oberflächen faszinieren in ihrer makellosen Perfektion und wecken Begehren. Als reine Oberfläche zeigen Spiegel keine Spuren handwerklicher Bearbeitung und verraten nichts über ihre Materialität. Sie spielen den Blick zurück, während sie sich durch die Widerspiegelung der Umwelt nahezu unsichtbar in sie einfügen. Als visuelle Verdopplung der Realität deutet der Spiegel auf das Virtuelle hin, als populäre Ästhetik auf Tendenzen der Entmaterialisierung im zeitgenössischen Design.

Begleitend zur Ausstellung erscheint ein Lesebuch, das vor den Hintergründen der Designtheorie, der Psychoanalyse sowie der Kunst- und Kulturgeschichte die spiegelnde Oberfläche vertiefend erkundet. Es versteht sich als Reflexion des kuratorischen Konzepts und des Prozesses der Ausstellungsentwicklung. In den Texten fließen die Gedanken und Recherchen des Kuratorenteams zum Thema Spiegel zusammen.

SUR/FACE. Spiegel wird großzügig gefördert vom Kulturfonds Frankfurt RheinMain und unterstützt von Pro Helvetia, Schweizer Kulturstiftung.

Beteiligte KünstlerInnen, DesignerInnen und Labels
Künstlerinnen und Künstler
John M. Armleder, Bernadette Corporation, Monica Bonvicini, Tom Burr, Keren Cytter, Latifa Echakhch, Olafur Eliasson, Monir Shahroudy Farmanfarmaian, Sylvie Fleury, Isa Genzken, Dan Graham, Olaf Holzapfel, Mischa Kuball, Josephine Meckseper, Olaf Nicolai, Tobias Rehberger, Thomas Rentmeister, Katharina Sieverding, Amalia Ulman, Andy Warhol, Pae White, Claudia Wieser, Heimo Zobernig

Designerinnen, Designer und Labels
0cp, Marco Acerbis, Alessi, Alfi, Neven Allgeier + Benedikt Fischer, Michael Anastassiades, Ron Arad, Aranda\Lasch, Arclinea, Artemide, Barber & Osgerby, Leonie Barth, BD Barcelona Design, Boffi, Ayzit Bostan, Ronan + Erwan Bouroullec, Braun, Maria Bruun, Uli Budde, Campana Brothers, Cassina, Achille Castiglioni, Karen Chekerdjian, Nina Cho, Václav Cigler, Antonio Citterio + Toan Nguyen, Claesson Koivisto Rune, Decor Walther, De Padova, Daft Punk + Daft Arts, Wilton C. Dinges, Tom Dixon, Doshi Levien, Beatrice Durandard, Duscholux, e15, Edra, Emeco, Jean-Baptiste Fastrez, Felicia Ferrone, Flos, FontanaArte, Enrico Franzolini, Fredrikson Stallard, Robert Lee Fritz, Naoto Fukasawa, Glas Italia, Stine Goya + John Kørner, Benjamin Graindorge, Johanna Grawunder, Halb/Halb, Makio Hasuike, Haw-lin Services, Sebastian Herkner, Ulla + Martin Kaufmann, KEF, Rodney Kinsman, Mathias Kiss, Tomáš Král, Romain Lagrange, Ligne Roset, Jonas Lindstroem, Kai Linke, Ross Lovegrove, Magis, Vico Magistretti, Philipp Mainzer, Maison Margiela, Richard Meier, Roberto Menghi, mischer’traxler, Jasper Morrison, MYKILOS, MYKITA, nuuna, Paustian, PB 0110, Pulpo, Pussykrew, Karim Rashid, Rooms, Daniel Rybakken, Klaus Schmidhuber, Scholten & Baijings, Tijmen Smeulders, Soft Baroque, Ettore Sottsass, Philippe Starck, Elisa Strozyk, Sucuk und Bratwurst, Jonah Takagi, Technogym, Oswald Mathias Ungers, Maiken Walther, Reinhold Weiss, Wilkens & Söhne, Verreum, Voon Wong + Benson Saw, Oskar Zieta.

Matthias Wagner K,
Ausstellungsmacher, Kurator und Biennaleleiter, ist seit 2012 Direktor des Museum Angewandte Kunst und verantwortet dessen Neukonzeption seit Frühjahr 2013. Wagner K kam über das Theater und die Bildende Kunst zu Vermittlung und Präsentation von Kunst und Kultur. Er kuratierte u.a. Ausstellungen zu Design, Architektur, Mode und zur Kulturgeschichte des Lichts sowie dessen Verwendung in der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts. 2006 wurde er als Kurator an die Nordischen Botschaften Berlin, 2009 zum künstlerischen Leiter der ersten „Nordic Fashion Biennale" berufen und zeichnete als Chefkurator verantwortlich für das Kunst- und Kulturprogramm Islands, dem Ehrengast der Frankfurter Buchmesse 2011.

Attraktves Rahmenprogramm
Öffentliche Führungen am Sonntag, 23.7., 15 Uhr und am Sonntag, 30.7., 15 Uhr
Weitere Termine unter www.museumangewandtekunst.de.

Workshops
Dienstag/Mittwoch, 8./9.8., jeweils 10-15 Uhr

Sommerferienprogramm
Spieglein, Spieglein an der Wand…Spiegel können so unterschiedlich sein wie ihre BetrachterInnen. Man findet sie als Schmuck, auf Möbeln oder in der Architektur. In der Ausstellung SUR/FACE. Spiegel sammeln die TeilnehmerInnen Ideen für die Gestaltung eines eigenen Spiegels, dessen Rahmen sie aus Ton herstellen und individuell gestalten. Nach ihrem Spiegelbild modellieren sie am zweiten Tag eine kleine Porträtfigur aus Ton.
Von 6 bis 10 Jahren. Anmeldung erforderlich.
Donnerstag/Freitag, 10./11.8., jeweils 10-15 Uhr

Die Suche nach dem Ich
Wo man nur hinschaut, lassen sich Spiegelungen entdecken: in der Natur, in der Stadt, in Wohnungen und Geschäften. Mit jedem Blick nehmen wir dabei wahr, wie wir aussehen. Doch was verbirgt sich hinter unserem Äußeren? Nach dem Besuch der Ausstellung SUR/FACE. Spiegel gehen die TeilnehmerInnen auf die „Suche nach dem Ich": Mit Theaterpädagogin Kalliope Noll erarbeiten sie gemeinsam ein Theaterstück über ihr Leben, in das jede und jeder mit viel Spaß und Fantasie eigene Vorstellungen einbringt.

Mit diesem Angebot will das Museum Angewandte Kunst Begegnungen von Kindern und Familien aus allen Teilen der Welt unterstützen. Der Workshop wird ermöglicht durch das Kooperationsprojekt Places to See und das Kulturamt Frankfurt und ist für alle teilnehmenden Kinder kostenfrei.
Von 10 bis 14 Jahren. Anmeldung erforderlich.
Sonntag, 3.9., 15-16.30 Uhr