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Letzte Aktualisierung: 23.04.2024

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Suchthilfe und Altenhilfe – neue Kooperation und Fortbildungen für Pflegekräfte

von Ilse Romahn

(10.12.2018) Wie sollen Pflegekräfte mit alten Menschen umgehen, die riskant Alkohol, Nikotin oder Medikamente konsumieren? Woran können sie erkennen, dass es sich um Wechselwirkungen von Alkohol und Medikamenten handelt, wenn Patienten verwirrt sind oder sich unwohl fühlen?

2017 haben das Drogenreferat der Stadt Frankfurt und Träger der Suchthilfe in Kooperation mit dem Jugend- und Sozialamt und Trägern der Altenhilfe ein Pilotprojekt für Schulungen von Pflegekräften zum Thema Sucht im Alter aufgelegt.

Seither bieten der Suchtberater und Verhaltenstherapeut Harald Spörl von der Stiftung Waldmühle der Inneren Mission und Martin Meding, Psychologe und Leiter der Evangelischen Suchtberatung Frankfurt am Main, Weiterbildungen in stationären und ambulanten Einrichtungen des Frankfurter Verbands für Alten- und Behindertenhilfe an. Dazu gehören konkrete Fallbesprechungen auf Grundlage selbst erarbeiteter Beobachtungsbögen, und das Angebot, die betroffenen alten Menschen mit einer zugehenden Beratung weiter zu begleiten, wenn sie dies wünschen.

Die Resonanz bei den Pflegekräften von ambulanten Diensten oder in Pflegeheimen ist durchweg positiv und die Nachfrage nach Schulungen ist groß, bestätigt Bernd Nagel, Geschäftsführer der Stiftung Waldmühle: „Die Pflegekräfte erleben unser Angebot und die Fallbesprechungen als Entlastung.“ „Gleichzeitig“, sagt Meding, „bekommen wir als Suchtberater Zugänge zu einer Betroffenengruppe, die für gewöhnlich in den Beratungsstellen der Suchthilfe eher unterrepräsentiert ist“.

Gesundheitsdezernent Stefan Majer lobte das Projekt im Gesundheitsausschuss als „klassische Win-Win-Situation für alle Beteiligten“ und kündigte an, den „Piloten“ als reguläres Angebot für Pflegekräfte in der Altenhilfe, ebenso für Seniorinnen und Senioren und deren Angehörigen weiterzuführen. „Wir wollten mit dem Projekt Pflegekräfte in der Altenhilfe unterstützen, Zugänge zum Suchthilfesystem schaffen und die Lebenssituation von Seniorinnen und Senioren mit Suchtproblemen in Frankfurt verbessern helfen.“ Dass es gelungen ist, Sucht- und Altenhilfe zusammenzubringen, nennt Majer den Schlüssel zum Erfolg dabei.

Die Schulungen, die die beteiligten Kooperationspartner 2016 entwickelt und voriges Jahr zunächst als Pilotprojekt in Kooperation mit dem Frankfurter Verband gestartet haben, sollen nun als reguläres Angebot weiterlaufen und Schritt für Schritt auch anderen Trägern und Interessierten angeboten werden.

„Der Bedarf ist da“, bestätigt Meding: „Pflegekräfte in den Schulungen erzählen, dass sie es immer wieder mit Seniorinnen und Senioren zu tun haben, die riskant oder abhängig Alkohol trinken, rauchen oder medikamentenabhängig sind.“ Erfahrungen, die sich mit bundesweiten Erhebungen decken: Nach Angaben der Deutschen Hauptstelle haben etwa 14 Prozent der Pflegebedürftigen, die ambulant oder stationär betreut werden, ein Alkohol- oder Medikamentenproblem. Laut Robert-Koch-Institut trinken etwa 27 Prozent der Männer über 65 Jahren und 18,5 Prozent der Frauen Alkohol in riskanter Weise.

Zwei Millionen der über 60-Jährigen sind abhängige Raucher, registriert das Statistische Bundesamt, mindestens eine Million Menschen im Rentenalter sind mutmaßlich medikamentenabhängig und etwa jeder siebte ältere Deutsche konsumiert Psychopharmaka mit Alkohol und setzt sich damit gesundheitlichen Gefahren aus.

Das Thema „Sucht im Alter“ muss aus der Tabuzone, der Weg ist noch lange nicht zu Ende, fordert Majer. „Das Thema Sucht im Alter braucht Offenheit und Öffentlichkeit.“ Dazu soll auch die Infobroschüre „Achtsam mit Alkohol, Medikamenten oder Tabak“ beitragen, die das Drogenreferat und das Jugend- und Sozialamt für Seniorinnen, Senioren, deren Angehörige und Pflegekräfte bereits in zweiter Auflage verbreiten. „Vieles spielt sich nur hinter verschlossenen Türen ab“, sagt Majer, werde von Betroffenen und Mitbetroffenen – aber auch von Ärzten und Pflegekräften – oft nicht erkannt oder bagatellisiert. Andere scheuten sich aus Schamgefühl oder aus Angst, die eigene Autonomie zu verlieren, professionelle Hilfe und Unterstützung anzunehmen. „Wir wollen mithelfen, dass Seniorinnen und Senioren möglichst lange selbstbestimmt leben können.“ Majer bezeichnet deshalb gerade die neue zugehende Suchtberatung als wichtig. „Gerade auch sozial schwache, gesundheitlich eingeschränkte und isoliert lebende Ältere sollen von Präventions- und Interventionsangeboten erreicht werden.“ (ffm)