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Letzte Aktualisierung: 19.04.2024

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Schrebergärten reloaded

von Helmut Poppe

(18.03.2019) Grüne Hochhausgärten für Tausende statt Schreber-Parzellen? Neue Trends könnten Wohnraumnot in Frankfurt richtungsweisend mindern.

Bildergalerie
Städtsiches Terrassengrün
Foto: Acrosfukuoka02 wikimedia
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Hof und Garten in den 20ern
Foto: museum angewandte kunst, frankfurt
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Roof Top Garden Singapur
Foto: colin wikimedia
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Stadtgärtner schon früher in Frankfurt in innovativem Umfeld
Foto: museum angewandte kunst, frankfurt
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Innovation bedeutet nicht Altes auf den Komposthaufen zu entsorgen sondern Altes mit Neuem in unerwarteten Konstellationen zu mischen. So oder ähnlich interpretieren  Transformations-Gurus moderne Wandelprozesse. Einmal in dieser Richtung nachgedacht: warum nicht an, auf und vor neuen grünen Wohnanlagen Gartenarbeiten verrichten, auf Dächern Gemüse ziehen, Insekten locken und sich auf lauschig-bepflanzten Balkonen und Terrassen erholen? Ist die Zeit der Kleingärten abgelaufen? Sind Schrebergärtner nicht zu egoistisch angesichts der vielen Wohnungssuchenden?

Allenthalben  denken Gruppen, die Namen  wie „Meine Stadt-nn-2030“ oder ähnlich tragen über neue Formen des urbanen Lebens nach. Große Themen hierbei sind  der große demografische Druck, der ziemlich unerwartet entstanden ist und eine hohe Wohnungsnot. Sagten vor wenigen Jahren Prognosen eher eine Schrumpfung auch der Städte voraus, ziehen stattdessen  immer mehr Menschen in die Ballungsräume. Dort werden nicht alle nach dem Motto „hier jeder findet jeder einen Job“ einen solchen finden, vielmehr haben sich die Qualifikationsanforderungen deutlich geändert. Ungelernte stehen vor dem Dilemma, wenn überhaupt nicht nur bezahlte Arbeit zu finden sondern auch keine bezahlbare Wohnung. Die genannten Arbeits- und Nachdenkgruppen stoßen immer wieder auf die Schwierigkeit der Kommunen Neubauflächen auszuweisen. Die Kleingärtner, welche  nicht unerhebliche Flächen im Stadtgebiet belegen, verteidigen ihre Parzellen mit Hacke und Spaten – oder fast.

Wer sind sie eigentlich? Wahr ist, dass junge Altersgruppen in die Gartenlauben nachrücken, wobei man die Frage stellen darf, wie lange sie es dort aushalten. Die straffen Regeln auf den Kolonien will nicht jeder der Jungen einhalten. Insgesamt macht laut einer statista-Umfrage die Altersgruppe der 55 Jährigen und älter fast zwei Drittel aus. 82 % der Kleingärtnerhaushalte sind Mieterhaushalte, denen eine  eigene Parzelle wohnungsnahen Ausgleich für fehlendes Grün bietet. 96 % aller Kleingärtner brauchen maximal eine halbe Stunde bis zu ihrem Garten.  An Kosten entstehen moderate 300 € im Jahr für  Pacht, Versicherung und Kommunalabgaben. Erstaunlicherweise wird durchschnittlich nicht einmal die Hälfte der gepachteten Fläche für den Anbau genutzt, der Rest geht auf Laube und das ‚Drumherum‘ bei einer durchschnittlichen Parzellengröße von 200 Quadratmetern oder etwas mehr. Insgesamt kann man als Trend bei den Freizeitgärtner sehen: die Alten halten an ihrer Pacht fest, Junge kommen nach, bleiben aber nicht unbedingt lange. Ein starker Trend in der Gesamtbevölkerung stellen Ökologie und das Verlangen nach Grün dar. Wichtig wird zunehmend, dass Lebensstile, die das Teilen und sich Selbstverwirklichen umfassen in den letzten Jahren deutlich zugelegt haben. Der Klimawandel wird langsam aber stetig unsere Lebensstile beeinflussen. Dies wird sich in bewussterem Energieverbrauch, in der Ernährung aber auch in der Art des Wohnens ausdrücken.

Diese Trends sind es, die es vor allem wegen der großen Wohnungsnot nahe legen, Kleingärten und die Lust auf das Grüne in der Stadt neu zu denken.

In Paris, London und New York werden Prognosen zufolge in der Zukunft selbst im beginnenden Herbst noch Temperaturen von 30 Grad gemessen, der Straßenbelag wird weiß gestrichen sein, um Sonnenstrahlen zu reflektieren, Schattenspendende Panels werden Städter vor zu großer Sonneneinstrahlung schützen, Sprenkleranlagen werden den Stadtbewohnern kühlendes Nass zu wedeln. Für die neuen Baustile bedeutet dies, zunehmende Begrünung zur Kühlung der Außenflächen von Wohnhäusern  wie man es jetzt schon in Singapur, Montreal  oder auch in Paris sieht. Bienenzucht und Gemüseanbau auf Hochhausdächern werden kein kurzfristiger Modetrend sein. Neue Werte, Trends aber auch die Notwendigkeit, andere Ernährungsquellen zu entwickeln sprechen dafür.  Die  neuen Formen der Begrünung wollen gehegt und gepflegt sein. Warum nicht – auch wenn diese Überlegung revolutionär erschienen mag –  die jetzigen Kleingärtner motivieren, sich  in Stadthaus- Gärtner zu wandeln, „urban roof top gardeners“ zu werden? Sie hätten gepachteten Zugang zu bestimmten Bereichen de Anlagen, würden diese bewässern, pflegen und beernten.  In einem überschaubaren  Teilgebiet Frankfurts spontan gewählt, nämlich südlich der Westerbachstraße, könnten mit  10 neu errichteten  Hochgebäuden mit bis 20 Etagen grüne Außen- und Dachflächen mit einigen 100.000 Quadratmetern neu entstehen und dort zu innovativ und  anders zu bebauender Grünfläche einladen . Bei  dem Rechenbeispiel stehen mit  jetziger klassischer Kleingartennutzung 250 Parzellen mit deutlich weniger als einem halben Quadratakilometer zu „beackernder“ Grünfläche gegenüber.

Wie lautet die Bilanz solch einer überschlägigen Rechnung?

Neuer Wohnraum für einige Tausend Menschen wäre geschaffen mit vermutlich schöneren Außenanlagen, einem Blick für alle auf natürliches Grün und auch Spielplätzen für Kinder. Die Bewohner und Vorbekommende würden auf bewachsene Terrassen der Wohnanlagen  schauen, die sich wohltuend von dem momentan vorherrschenden  Betongrau unterscheiden.  Andersartige Gartenbau-Nutzflächen entstünden an den durch Vegetation gekühlten Gebäuden, auf den Dächern und vor den neuen Gebäuden. Der  Anbau bestimmter Obstsorten und von Gemüse wäre möglich. Dem gegenüber stünde die Aufgabe von etwa 250 Parzellen für etwa 700 eher ältere und  derzeit doch eher privilegierte Schrebergärtner bei dem genannten Beispiel.
Ist das Zukunftsmusik, überzogene Fantasie oder wird solch ein Szenario angesichts heißer werdender Städte sowieso ein Muss?

Auch in Berlin fehlt es an Bauland, und  dort hat man sich entschlossen von 2020 an 15 Kleingartenkolonien aufzulösen und bis zum Jahr 2030 mit Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser und Turnhallen zu bebauen. Wird dies in Frankfurt gerade angesichts des sich abzeichnenden Klimawandels mit neuen Formen der Begrünung und deren Nutzung geschehen? Werden am Main städtebaulich zukunftsweisende Innovationen eingeleitet?

Dass hier bei uns in der Vergangenheit viel Revolutionäres entwickelt und in die Welt getragen wurde, kann man im museum angewandte kunst sehen, aus dem wir hier einige Bilder mitgebracht haben. Lesen Sie dazu einen eigenen Beitrag „Moderne am Main 1919-1933“.
Diese Ausstellung ist zu empfehlen, wie das gesamte Museum überhaupt!