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Letzte Aktualisierung: 25.04.2024

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Mirabeau – der adlige Revolutionär

Die Geschichte der frühen Phase der Französischen Revolution

von Norbert Dörholt

Unter den zahlreichen Akteuren, die auf die eine oder andere Weise den Verlauf der Französischen Revolution beeinflusst haben, zählt Honoré-Gabriel Riquetti Comte de Mirabeau (1749-1791) zu den ganz Wenigen, die nicht kopf- und planlos in jene am Ende des 18. Jahrhunderte stattfindende große Umwälzung hineinschlitterten.



Hätte der bornierte Ludwig XVI. auf Mirabeau gehört, wäre viel Blutvergießen vermieden worden.
Foto: Verlag
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Mit großer erzählerischer Kraft und analytischem Sachverstand beleuchtet Johannes Willms, vormaliger Feuilletonchef und Kulturkorrespondent der Süddeutschen Zeitung in Paris, die Geschichte der frühen Phase der Französischen Revolution und würdigt die herausragende Rolle, die sein Protagonist, der aus Südfrankreich stammende Comte de Mirabeau, dabei spielte.

Unter den zahlreichen Akteuren, die auf die eine oder andere Weise den Verlauf der Französischen Revolution beeinflusst haben, zählt Honoré-Gabriel Riquetti Comte de Mirabeau (1749-1791) zu den ganz Wenigen, die nicht kopf- und planlos in jene am Ende des 18. Jahrhunderte stattfindende große Umwälzung hineinschlitterten.


Hätte der bornierte Ludwig XVI. auf Mirabeau gehört, wäre viel Blutvergießen vermieden worden.
Foto: Verlag
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Mit großer erzählerischer Kraft und analytischem Sachverstand beleuchtet Johannes Willms, vormaliger Feuilletonchef und Kulturkorrespondent der Süddeutschen Zeitung in Paris, die Geschichte der frühen Phase der Französischen Revolution und würdigt die herausragende Rolle, die sein Protagonist, der aus Südfrankreich stammende Comte de Mirabeau, dabei spielte.

Anschaulich beschreibt der Autor die Mechanik des vorrevolutionären Frankreich, in dem sein Protagonist groß wurde. Basierend auf profunder Sachkenntnis zeichnet Willms eine glänzende Charakterstudie eines Mannes, der für seine Intelligenz und Rhetorik ebenso berühmt war, wie für seine lockere Moral, sein ausschweifendes Leben und seine immensen Schulden. Als junger Mann war er, wegen Ehebruchs verfolgt, in die Schweiz geflohen, schaffte es aber, das dafür verhängte Todesurteil annullieren zu lassen. Danach lebte er einige Zeit in England, wo er sich mit dem Parlamentarismus auseinandersetzte.

Diese Lehrjahre in England beeinflussten nicht nur das Denken des französischen Adligen, sondern auch dessen literarisches Schaffen. So belegen seine programmatischen Schriften, die alle vor 1789 veröffentlicht wurden, dass Mirabeau die Revolution in seiner Heimat nicht nur ersehnte, sondern auch den Untergang des Ancien Régime voraussah. »Als die Revolution eintrat, war er deshalb der Einzige, der wusste, was er politisch wollte«, so Willms: Eine neue, zukunftsorientierte Ordnung für Frankreich, dessen tragende Säulen die Geltung der bürgerlichen Grund- und Freiheitsrechte und die repräsentative Versammlung der Bürger in der Nationalversammlung waren.

Mirabeau gehört zu jenen Adligen, die auf die Seite des Dritten Standes wechselten. Als Wortführer des Dritten Standes und dank seiner Rednergabe auch in der Nationalversammlung einer der dominierenden Männer, avancierte der wortgewaltige Graf in der Anfangsphase der Revolution zum Volkshelden, als er im Juni 1789 mit einem entschlossenen und psychologisch geschicktem Auftritt die Auflösung der Nationalversammlung durch die Gewalt der Bajonette verhinderte.

Willms schildert Mirabeau als einen weitsichtigen Mann, der als Abgeordneter des Dritten Standes beharrlich für einen Schulterschluss von Monarchie und Volk eintrat und aus dem absolutistisch regierten Frankreich Ludwigs XVI. eine konstitutionelle Monarchie machen will, in der Dynasten ebenso klare Schranken gesetzt werden wie Parlament und Regierung. Nur so werde nach Ansicht des Marquis der König seinen Thron behalten können und die Revolution jenem Terror entgehen, dessen Exzesse Mirabeau hellsichtiger kommen sieht als jeder andere.

Dass er am Ende mit seinem Ansinnen scheiterte, lag an der Borniertheit des Königs, der in seinem feudal verhafteten Denken nicht einsehen wollte, dass nur ein neues, von der Revolution akzeptiertes Verständnis seiner Rolle den weiteren Bestand der Monarchie gewährleisten konnte. Hierin liegt auch die Tragik dieses »Helden der Morgenröte der Revolution«, dem es nicht gelang, die revolutionäre Dynamik in gemäßigte Bahnen zu lenken, so dass die Revolution schon bald nach Mirabeaus Tod unter der Schreckensherrschaft Robespierres ihre eigenen Kinder fraß.

»Ich nehme die letzten Trümmer der Monarchie mit ins Grab«, soll Mirabeau auf dem Sterbebett gesagt haben. 300.000 Menschen folgten im April 1791 seinem Sarg. Aber schon zwei Jahre später, als der Grande Terreur in Paris wütete, wurden seine sterblichen Reste wieder aus der Ruhmeshalle der Revolution, dem Panthéon, entfernt: Es war bekanntgeworden, dass der stets klamme Mirabeau dem König gut dotiert zu Diensten gewesen war.

Willms erzählt Geschichte in bester feuilletonistischer Tradition. Stilistische Brillanz und historischer Scharfsinn prägen seine Ausführungen, die dem Leser einen neuen Blick auf die Frühphase der Französischen Revolution eröffnen und die historische Rolle, die Mirabeaus dabei spielte, würdigen. Wer sich über diese für die europäische Geschichte so bedeutsame Systemtransformation informieren will, ist bei dem gut lesbaren Buch von Willms bestens aufgehoben. (Johannes Willms: Mirabeau oder Die Morgenröte der Revolution. C.H. Beck, München 2017, 397 S., 26,95 €)

Dr. Theodor Kissel, Sörgenloch