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Letzte Aktualisierung: 23.04.2024

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Manege frei für Rigoletto!

Bregenzer Festspiele brillieren mit Neuinszenierung

von Ingeborg Fischer und Karl-Heinz Stier

(23.07.2019) Es bedurfte 73 Jahre nach der Gründung der Bregenzer Festspiele, bis die Arie „La donna e mobile“ auf der Seebühne erklingen konnte, bis Verdis zynischer, bösartiger Hofnarr Rigoletto, der aber auch besorgter und liebender Vater ist, mit seiner Tochter Gilda die Seebühne bereicherte.

Bildergalerie
Das gesamte Bühnenbild mit den beiden Händen und dem Rigoletto - Kopf in der Mitte
Foto: Bregenzer Festspiele
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Vater und Tochter in der Arie der Wiederkennung
Foto: Bregenzer Festspiele
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Die Lakaien des „Zirkusdirektors“ Herzog von Mantua
Foto: Bregenzer Festspiele
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Gilda wird nach der Liebesarie „Caro nome“ aus dem Korb des Fesselbalons entführt
Foto: Bregenzer Festspiele
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Der Herzog von Mantua inmitten seiner Liebesfrauen – beobachtet von Gilda und Rigoletto
Foto: Bregenzer Festspiele
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Gewiss hätten sich in früheren Zeiten vielleicht streng gläubige Opernfreunde über das gewundert, was ihnen dieses Jahr erstmals als Kulturevent geboten wird – das Werk des meistgespielten Opernkomponisten wurde 1851  in  Venedig uraufgeführt - doch wer in  Bregenz Opern-Aufführungen auf der Seebühne als Spielort besucht, muss damit rechnen, dass hier Produktionen bunter ablaufen.

Der Vorwurf mancher Kritiker, es habe „zu viel Spektakel“ gegeben, ist sicher nicht von der Hand zu weisen, aber das Publikum, das in seiner Mehrheit in die Hauptstadt des Vorarlbergs kommt, will meist etwas Außergewöhnliches sehen. Diesmal gehen die Veranstalter ganz neue Rigoletto-Wege. Angesagt und umgesetzt wird eine zirzensische Show des Regisseurs Philipp Stölzl und des Bühnenbildners Heike Vollmer. Ein Conferencier heizt am Anfang das Spiel an. „Manege frei !“ ruft er den 7 000 Zuschauern bei der Begrüßung zu. Es dominieren Action und Unterhaltung – herausgespielt mit populären Arien. Verwunderlich ist das nicht, schließlich ist Stölzl als Filmregisseur(„Nordwand“ und „Medicus“) und Produzent von Musikvideos für Pop- und Rock-Größen (u.a. Madonna und Rammstein) bekannt.

Das zeigt sich schon bei dem besonderen Bühnenbild, das dem Besucher beim Betritt der Zuschauerbühne sofort ins Auge fällt. Dominiert wird es im Zentrum von einem riesigen Clowns-Kopf, der vom beweglichen Unterkiefer bis zur Schädeldecke rund 14 Meter hoch ist. Allein die Augäpfel haben einen Durchmesser von 2,7 Meter. Der Kopf ist  über 11 Meter breit und wiegt alleine rund 35 Tonnen. Wie die Augen und der Unterkiefer so bewegt sich der drehbare Kopf in alle Richtungen, unterstützt von Georg Veits passender Lichtregie. Rechts davon erhebt sich eine 6 Meter große Hand aus dem Bodensee. Sie hält an langer Leine einen Fesselballon, der noch höher schwebt als der Kopf.  Links des Kopfes ist eine zweite Hand, die bis zur Mittelfingerspitze fast 12 Meter misst. Es ist ein Wunderwerk der Technik. Alle Finger und Gelenke können bewegt werden, vom Stinkefinger bis zur Faust. Hände wie Kopf sind mit Holzlatten verkleidet. All das trägt dazu bei, dass das Spiel auf der Seebühne zu einem atemberaubenden Erlebnis wird, wenn Verdis unvergängliche Musik erklingt.

Wer ist dieser Clown, der die Bühne beherrscht? Ist es ein Abbild Rigolettos, des Narren am Hof des Herzogs, der bei Stölzl als Zirkusdirektor die Peitsche schwingt? Wenn der Mächtige Frauen und Töchter seiner Höflinge – in Bregenz sind es Artisten, Spaßmacher, bunte Zirkusgestalten -  missbraucht und entehrt, verschwindet er mit ihnen im großen Mund des Kopfes, der sich dann diskret schließt. Die benutzten Frauen werden dann entsorgt, indem sie in den See geworfen werden. Der Hofnarr (Vladimir Stoyanov) ist bösartig, zynisch, er verlacht die verzweifelten Ehemänner und Väter, verspottet sie, bis einer den buckligen Narren verflucht. Rigoletto erschrickt: „Der alte Mann verfluchte mich“. Der Fluch wird ihn zu Ende der schaurigen Geschichte treffen.

Der Clownskopf auf der Bühne ist  das Vergrößerungsglas all der Emotionen und Gefühle, die die Figuren auf der Bühne durchleiden. Rigolettos Spott wird vom Stinkefinger der riesigen Hand vergrößert, sein Erschrecken ist in dem Gesicht zusehen, wenn die Augen rollen, ein wenig lüstern blickt er, wenn der Herzog von Mantua sich vergnügt.

Weil Rigoletto eine ambivalente Person ist, zwar sarkastisch und höhnisch, aber auch liebender Vater, der seine Tochter Gilda eifersüchtig und besorgt verbirgt vor dem schlimmen Treiben des Herzogs und seines Gefolges. Es gibt innige Szenen wie die Arie „Tochter…mein Vater…“ Das Gesicht des alles beherrschenden Clowns verändert sich zum träumerischen Ausdruck, der sich verstärkt, wenn Gilda (Melissa Petit), die in der Kirche dem Herzog begegnet ist, ihn für einen Studenten hält und sich  verliebt hat, mit dem Ballon hochsteigt. In atemberaubender Höhe singt sie  ihre  Liebesarie  „Caro nome – geliebter Name“. Es ist bewundernswert, was von der Protagonistin an Schwindelfreiheit abverlangt wird, wenn sie mit ihrem weich kolorierenden Sopran die Gilda-Rolle im Ballonkorb perfekt präsentiert.

Für die Zuschauer im weiten Halbrund vor der Seebühne ist es nicht leicht, die handelnden und singenden Figuren auszumachen. Es gibt viel Gewimmel und Getümmel, burleske Gestalten klettern auf dem großen Kopf herum, hangeln an Seilen, machen Salti und vieles mehr, was leider die Aufmerksamkeit von Verdis Musik ablenkt. Die gewaltige Technik, mit dem der Kopf und die Hände bewegt werden, tut ihr Übriges.

Wenn der Zirkus-Hofstaat mit seinen Höflingen dann Gilda, die sie für die Geliebte Rigolettos halten, entführen – und das sogar mit Hilfe des törichten Rigoletto, dessen Augen verbunden sind  und der keine Ahnung hat, um wen es sich handelt. Man liefert sie dem gewissenlosen Herzog aus, der Mund schließt sich einmal wieder. Gilda ist in den Gemächern dem Wüstling ausgeliefert. Grinst der Clownskopf, schaut er mitleidig oder triumphiert er?

Rigoletto – verzweifelt seine Tochter suchend, fleht die Entführer in der  Arie „Cortigiani, vil razza dannata“ an, sie zurückzugeben. Leider geht diese bewegende Szene im Getümmel auf der Seebühne unter. Aber Vladimir Stoyanov singt die Bariton-Rolle ohne Fehl und Tadel, die Wiener Symphoniker unter Enrique Mazzola unterstützen die Sänger auf ihren Orchesterplätzen im Opernhaus durchweg durch eine erstaunliche Koordination des Orchesterklangs mit dem Gesang.

Zwangsläufig verliert der Clownskopf seine  doch eigentlich etwas befremdlichen Kindchen-Schema-Züge, erst verschwinden die rollenden Augäpfel, die Nase bricht ab, und auch den Hofnarren wird das Verderben treffen.

Seine Rache am Verführer und Vergewaltiger der Tochter trifft nicht diesen, sondern ihn selbst. Der Fluch erfüllt sich, als Rigoletto den Herzog durch Sparafucile, (Miklos Sebestyen) einen finsteren Auftragsmörder, umbringen lassen will.

Der leichtfertige Frauenverächter will mit Sparafuciles Schwester Maddalena (Katrin Wundsam) ein paar Liebesstunden genießen und lässt sich in die Spelunke locken. Er trällert den Ohrwurm „La donna e mobile, während Stuntfrauen an Fäden hängend und mit vielen Plastikbrüsten dekoriert wie „Puppet on a string“ tanzen. Stephen Costello war Herzog, Zirkusdirektor, Verführer ohne große Präsenz. Seine Stimme aber überzeugte. Metallisch, klar, fast böse klang sie, so wie die Figur, die er verkörperte. Gilda sieht den Verrat des Mannes, der sie entehrt hat, liebt ihn aber immer noch in pupertärer Unschuld. 

Der Kopf auf der Seebühne verfällt vollends, sogar die Zähne werden herausgebrochen, er ist nur noch Totenschädel. Während sich Gilda für den Herzog opfert und statt seiner erdolcht wird, strömen Sturzbäche von  Bodenseewasser aus den leeren Augenhöhlen. Der Clown weint?

In einen Sack gesteckt, wird die Tochter vom Mörder an  Rigoletto übergeben. Er glaubt, dass seine Rache nun erfüllt ist. Da ertönt die Canzone des vermeintlich Erstochenen: „La donna e mobile“. Der arme Narr, der noch auf den Sack eingeprügelt hat, erkennt, dass der Verführer lebt und  dass sich seine Tochter sterbend darin befindet.

Umgesetzt ist diese grausige, schaurige Szene in Bregenz mit Lichteffekten, grollendem künstlichen Donner, unterstützt von der aufwühlenden Musik Verdis. Die Besucher schauten wirklich besorgt zum Himmel, ob mal wieder ein Unwetter die Premiere stören wird.

Es war berührend, während des letzten Duetts – Rigoletto-Gilda - den Fesselballon noch einmal  hochgehen zu sehen, in dem eine zweite Gilda dem Himmel entgegen schwebte, während sie auf der Bühne in den Armen des Vaters stirbt. Man kann es Kitsch nennen oder auch eine liebevolle Idee, die Tragik der Handlung zu unterstreichen. Ganz wie man will. Dennoch: der Abend war bombastisch und atemberaubend. Und man sollte Bregenz zumindest einmal erlebt haben.

Die nächsten Vorstellungen: 23. bis 28.Juli, 30. und 31.Juli. im August: 1. bis 7., 9. bis 11., 13. und 14. sowie  16. bis 18. August - insgesamt sind es 27 Vorstellungen. Auch im nächsten Jahr wird die Anzahl der Aufführungen nicht weniger werden. Was danach kommt, steht scheinbar schon fest. Wie aus der Festspielleitung zu hören ist, soll dann „Madame Butterfly“ aufgeführt werden. Wir sind gespannt, was dann als Spektaculum angeboten wird!