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Letzte Aktualisierung: 25.04.2024

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Lore Kramer. Ich konnte ohne Keramik nicht leben

von Ilse Romahn

(14.06.2018) Die Keramiken von Lore Kramer (geb. 1926 in Berlin als Lore Koehn) sind dem praktischen Gebrauch gewidmet. Ihre Schalen, Vasen, Teller, Dosen und Tassen entstanden nicht im freien Atelier, sie sind Produkte ihrer über dreißigjährigen Lehrtätigkeit an der heutigen Hochschule für Gestaltung Offenbach.

Kleine Ballonflaschen, Feinsteigzeug freigedreht und glassiert, 1965 - 1980
Foto: Anna Bischoff, MAK
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So entstand ein beeindruckendes Werk, das trotz seiner herausragenden Qualität bislang unentdeckt blieb. Das Museum Angewandte Kunst widmet ihm vom 31. Mai bis 26. August 2018 die erste umfängliche Ausstellung. Die Schau spürt Lore Kramers Zugang zum plastischen Arbeiten nach, sie zeigt ihr Zeichentalent und befasst sich mit ihrer Tätigkeit an der Werkkunstschule Offenbach, aus der die Hochschule für Gestaltung hervorging.

Lore Kramers gestalterischer Maßstab ist die Zweckmäßigkeit und Aufrichtigkeit der Form. Diese Maximen teilt sie mit ihren Professoren Otto Lindig und Gerhard Marcks, ehemals Werk- und Formmeister am Staatlichen Bauhaus Weimar, ebenso wie mit ihrem Ehemann, dem Architekten Ferdinand Kramer (1898–1985). Viele ihrer Objekte sind multifunktional oder lassen sich variantenreich kombinieren und stapeln. Handwerkliche Perfektion erreicht die Keramikerin beim Experimentieren an der Drehscheibe und mit Glasuren, die sich – vom populären Zeitgeschmack abwendend – unaufgeregt, aber klar und in leuchtenden Farben zeigen. Ihr Formenrepertoire fußt auf einem profunden kulturhistorischen Wissen, dem sie mit Begeisterung in immer neuen, gewagten Versuchen materielle Gestalt verleiht. Ihre Vorbilder finden sich unter den Arbeiten der Größen moderner Gestaltungsreform, in der ostasiatischen Keramik sowie in der lokalen traditionellen Handwerkskunst.

Nach der künstlerischen Grundlehre an der Stuttgarter Kunstakademie, einer Ausbildung zur Keramikerin an der Landeskunstschule in Hamburg, dem Studium der Bildhauerei in Stuttgart und Köln sowie zahlreichen Lehr- und Praxisstationen im In- und Ausland, wird Lore Kramer 1956 Leiterin der Keramikklasse der Werkkunstschule Offenbach. Anhand ihrer eigenen passionierten Arbeit veranschaulicht sie die verschiedenen Techniken und die Möglichkeiten der keramischen Produktion. Gemeinsam mit den Studierenden erprobt die Werkstattleiterin die Zusammensetzung und das Verhalten der Tonmassen. In langen Versuchsreihen wird die Entwicklung eigener Glasuren vorangetrieben. Als Fachklassenleiterin ist es ihr wichtig, ein Verständnis für die Verfahren industrieller Keramikproduktion zu vermitteln. Die Studierenden entwickeln eigene Modelle und Formen, üben das Eindrehen von Tassen und das Überdrehen von Tellern und lernen das Ausgießen von Keramikteilen in standardisierter Größe und Scherbendicke. In Lore Kramers eigener Arbeit spielt das Serielle eine entscheidende Rolle. In beeindruckender handwerklicher Präzision schafft sie Gruppen beinahe identischer Gefäße – etwa auf der Scheibe gedrehte, passgenaue Stapeldosen. Für Waechtersbach Keramik entwirft sie 1970 das platzsparende Service 3-in-1 sowie Vasen und Doppelschalen.

Mit der Umstrukturierung zur Kunsthochschule zu Beginn der 1970er Jahre wird aus der Offenbacher Werkkunstschule die heutige Hochschule für Gestaltung. Das Curriculum wird angepasst, traditionelle Ausbildungszweige wie die Keramik gehören fortan nicht mehr zum Studienangebot. Bereits während der Keramiklehre bestrebt, durch Vorträge, Museumsbesuche und Exkursionen die handwerkliche Praxis in einen kulturhistorischen Kontext einzubetten, setzt Lore Kramer ihre Tätigkeit an der Hochschule als Professorin im Fachbereich Produktgestaltung mit dem Schwerpunkt Designgeschichte fort. Zeitgleich mit der Emeritierung Lore Kramers 1988 wird ihre Lehrwerkstatt geschlossen, Arbeiten aus vierzig Jahren Keramikpraxis, die fußbetriebene Töpferscheibe und zahlreiche Gipsformen werden eingelagert.

Im Museum Angewandte Kunst sind rund 300 Keramiken in verschiedenen Techniken sowie zahlreiche Zeichnungen Lore Kramers zu sehen. Glasurproben und weiteres Material aus Lore Kramers Werkstatt geben vertiefende Einblicke in ihre Arbeitsweise. Ergänzt wird die Ausstellung durch Keramikobjekte aus der Museumssammlung, die gemeinsam mit Lore Kramer ausgewählt wurden. Die Objekte in Irdenware, Steingut und Porzellan umspannen 4000 Jahre Keramikgeschichte aus Japan, China, Korea, Iran und Deutschland.

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog mit 100 farbigen Abbildungen und Texten von Lore Kramer, Matthias Wagner K, Annika Sellmann und Markus Frenzl.

www.museumangewandtkunst.de