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Letzte Aktualisierung: 28.03.2024

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Knapp dem Tod entronnen: Der ehemalige KZ-Häftling Heinz Hesdörffer kämpft gegen das Vergessen

von Ulf Baier

(17.12.2018) Es gibt nur noch wenige Zeitzeugen der nationalsozialistischen Judenverfolgung, die von ihrem Leidensweg berichten können. Heinz Hesdörffer, geboren 1923, macht dies noch regelmäßig. Sein Engagement, gegen das Vergessen zu kämpfen, geht noch darüber hinaus. Er bedachte das nach ihm benannte Bildungswerk in seiner Geburtsstadt Bad Kreuznach – es will zur Auseinandersetzung mit dem Holocaust anregen – in seinem Testament.

Heinz Hesdörffer
Foto: Stadt Frankfurt / Salome Roessler
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Mit Jugendlichen drehte er einen Film über sein Leben und fuhr dafür an die Orte seines Leidens. Dazu war er in der Bildungsstäte Anne Frank aktiv. Für sein Engagement erhielt Hesdörffer am Freitag, 14. Dezember, aus den Händen von Oberbürgermeister Peter Feldmann das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik.

Seine Erinnerungen schrieb er in dem Buch „Bekannte traf man viele – Aufzeichnungen eines deutschen Juden aus dem Winter 1945/46“ auf. Während des Gespräches ist immer wieder die tätowierte Häftlingsnummer an seinem Unterarm zu sehen.

Nach dem Holocaust ging er nach Südafrika und machte sich im Schmuck- und Andenkengeschäft selbstständig. Später zog er zu seinem Sohn in die USA. Das Erlebte ließ ihn nicht mehr los. „Ich wollte nie mehr nach Deutschland zurück“, sagt er. 2009 führte ihn sein Weg dann doch in das Land seiner Peiniger, der Grund war „das gute Klima“ in Frankfurt. Dort wohnt er in der Henry und Emma Budge-Stiftung in Seckbach, einer in Deutschland einzigartigen Einrichtung für Juden und Nicht-Juden.

Die Stadt kannte er aus der Schulzeit, ging er doch hier für ein Jahr ans Philantropin und wohnte bei Verwandten in der Weberstraße im Nordend. Zuvor musste er als Jude das Gymnasium in Kreuznach verlassen. Als Schüler erlebte er in Frankfurt 1938 die „Reichspogromnacht“. „Wir hatten Glück. Die SA hat nicht genügend Kommandos gehabt“ und verschonte sein Haus, erinnert er sich. Anders war es jedoch dem Elternhaus an der Nahe ergangen: „Bei Mutter und Bruder war alles zerschlagen.“

Im Frühjahr 1939 flüchteten Hesdörffer und sein drei Jahre jüngerer Bruder in die Niederlande. Die Hoffnung, aus dem später deutsch besetzten Staat in ein sicheres Land auszuwandern, zerschlug sich. 1942 wurde er ins dortige Konzentrationslager Westerbork deportiert, ebenso wie zuvor sein Bruder. Er sollte ihn und seine in Deutschland gebliebene Mutter nie wieder sehen. Im Januar 1944 passiert das, was er als „den schlimmstem Tag“ beschreibt: „Ich dachte, das ist die Fahrt in den Tod!“, sagt er nach langer Pause. Der spätere Zeitzeuge sollte nach Auschwitz transportiert werden. Doch kurz vor der Abfahrt ging die Tür auf und man befahl ihm, auszusteigen. Kameraden hatten den Obersturmführer überzeugt, Hesdörffer von der Transportliste zu streichen.

Auschwitz-Birkenau blieb ihm dennoch nicht erspart, nachdem er von Westerbork nach Theresienstadt verlegt wurde. Die Nazis brachten ihn – eingepfercht mit 70 Menschen in einem Viehwagen – im Mai 1944 in das Vernichtungslager. Aber jetzt hatte er keine Angst. Er war optimistisch, Auschwitz zu überleben, da Deutschland Arbeitskräfte brauchte. Zugleich gab ihm der Vormarsch der Alliierten Hoffnung. Das Kriegsende ließ allerdings noch auf sich warten. „Mein Schutzengel wird allerdings dafür gesorgt haben, dass ich zurück kam“, sagt Hesdörffer. Im Juli 1944 gehörte er dann zu den wenigen, die Auschwitz lebend verließen.

Im Lager Schwarzheide in der Niederlausitz musste Hesdörffer unter körperlichen Qualen Bombenschäden am dortigen petrochemischen Werk beseitigen und Verteidigungsstellungen ausheben. Doch die Rote Armee kam immer näher. Die SS brachte Hesdörffer am 19. April 1945 in das Lager Oranienburg-Sachsenhausen. Von dort schickten die Schergen die vollends erschöpften und ausgemergelten Häftlinge einen Tag später auf einen Todesmarsch Richtung Mecklenburg.

Wer erschöpft zusammenbrach, den töteten die SS-Posten. „In den Straßengräben lag alle paar Meter ein toter Kamerad, auf dem Weg erschossen“, erinnert sich Hesdörffer in seinem Buch. Auch ihm drohten die Füße mehrfach, „ihren Dienst zu versagen“. Doch er überwand immer wieder Erschöpfung und Schmerz. Am 30. April flüchteten die SS-Wachen, der Treck befand sich im Dorf Grabow. Als zwei Tage später die sowjetischen Truppen einrückten, fanden sie den Zug ausgemergelter Menschen – darunter auch den auf 35 Kilo abgemagerten Heinz Hesdörffer.

Es ist ihm ein persönliches Anliegen, diese Erinnerungen weiter zu geben. Natürlich freut er sich über den Verdienstorden, aber wichtiger ist ihm: „Ich will gesund bleiben, damit ich an Schulen mit der vierten und fünften Generation reden kann.“ Jedes Mal verlässt er den Vortragsraum mit einem guten Gefühl. „Sie werden dafür sorgen, dass so etwas nicht mehr passieren kann“, sagt Hesdörffer. Kritischer sieht er allerdings die jüngsten Entwicklungen am rechten Rand der Republik: „Traurig, aber wahr“, lautet sein Fazit. Um so größer seine Motivation, gegen das Vergessen zu kämpfen. (ffm)