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Letzte Aktualisierung: 19.04.2024

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Herrschaft im Planquadrat

Das Prinzip der römischen Urbanisierungspolitik

von Dr. Theodor Kissel

(03.09.2019)  »Ihr habt das ganze Reich angefüllt mit Städten […], die in Glanz und Anmut erstrahlen«, preist um die Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr. Aelius Aristides die zivilisatorische Leistung der Römer. Eine kulturhistorisch aufschlussreiche Studie bietet jetzt erhellende Einblicke in die Welt römischer Urbanisierungspolitik.

So bauten die Römer.
Foto: Nünnerich Asmus Verlag
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Was der aus Kleinasien stammende Redner zur Blütezeit der Herrschaft Roms zum Ausdruck brachte, ist unter Althistorikern längst communis opinio: Das Imperium Romanum war ein verstädtertes Reich, das durch und in Städten regiert wurde. Die Stadt war demnach jene Siedlungsform, auf der die Römer ihre Herrschaft gründeten. Politischer und ideologischer Bezugspunkt der reichsweit mehr als 2000 Städte war die Kapitale Rom, mit der diese durch römische Fernstraßen verbunden waren.

David Macaulay, weltbekannt für seine zahlreichen Bücher, in denen er geschichtliche Themen bildhaft erklärt, gibt einen glänzenden Überblick über die spannungsreiche Geschichte der römischen Stadt von der Zeit der Republik bis zur hohen Kaiserzeit. Kenntnisreich und anschaulich schildert er, welche politischen, sozialen und wirtschaftlichen Einflüsse die Gestalt der römischen Stadt prägten, die heute noch vielerorts im modernen Stadtbild sichtbar sind.

Kennzeichen dieser urbanen Siedlungen ist neben ihrer Lage an den von Rom ausgehenden Überlandstraßen die klare, nach einem einheitlichen Muster angelegte Struktur. Diese zeichnet sich durch ein streng axialsymmetrisches Straßenraster mit zwei Hauptachsen – »cardo« (Nord-Süd-Achse) und »decumanus« (Ost-West-Achse) – aus, die am zentral gelegenen Hauptplatz, dem Forum, zusammenliefen. Viele dieser schachbrettartig angelegten Rasterstädte wurden ab dem 4. Jahrhundert v. Chr. nach und nach als »coloniae« von Rom aus gegründet, in deren urbanem Erscheinungsbild sich nach einem Wort von Aulus Gellius (um 130-180 n. Chr.) die »Größe und Majestät des römischen Volkes widerspiegelt«.

Dabei hatte der römische Schriftsteller, wie Macaulay zu Recht betont, nicht den Stadtplan Roms im Sinn, sondern die politische und ideologische Zugehörigkeit dieser »Abbilder Roms im Kleinen« zur Kapitale und zum Imperium Romanum. Diese kam in allen römischen Städten auf überaus konkrete Weise in den Bautypen zum Ausdruck, in denen sich das politische und wirtschaftliche Leben abspielte.

Hier, fernab Roms, entstanden mit Forum, Curia (Ratsgebäude), Comitium (Versammlungsplatz) und Basilica (als profaner Vielzweckbau für Rechtsprechung, Wirtschaft und Bildung) jene genuin römischen Architekturformen, die von Britannien bis nach Nordafrika in der ganzen westlichen Hälfte des Imperium Romanum nachgeahmt wurden. Diese Gebäudetypen bestimmten – zusammen mit den Tempeln zur Pflege Götterkults – das Erscheinungsbild einer römischen Stadt, zu denen im Laufe der Zeit eine Reihe von Unterhaltungs-, Freizeit- und Vergnügungsbauten, wie Theater, Arenen und Thermen hinzukamen.

Doch Macaulays erschöpft sich beileibe nicht nur in der Beschreibung der architektonischen Ausgestaltung seines Untersuchungsgegenstands. Vielmehr lenkt der Autor seinen fachmännischen Blick auch auf die ideologisch geprägten Vorstellungen, die in der Struktur und Raumordnung der neu gegründeten Städte zum Ausdruck kommen: Die die Stadt durchquerende Fernstraße zeigt die Zugehörigkeit zu einem größeren Ganzen. Dasselbe gilt für die zentrale Position der Kapitolstempel, die die Städte mit Jupiter Optimus Maximus verbinden und so eindeutig als zu Rom gehörig definiert werden.

Gleichzeitig war die Stadt mit ihren kommunalen Nutz- und Vergnügungsbauten auch ein wirksames Mittel, um den unterworfenen Völkern die Annehmlichkeiten der römischen Zivilisation schmackhaft zu machen. Bei dem römischen Historiker Tacitus (um 55-115 n. Chr.) fungiert die Stadt quasi als Werbeprogramm für die römische Kultur. Er beschreibt, wie die Römer die einheimische Bevölkerung in den eroberten Territorien für sich gewannen, indem sie diese ermunterten, Tempel, öffentliche Plätze und Steinhäuser zu errichten – und diese dadurch den Verlockungen der Zivilisation aussetzten. Die Stadt wird so zu einem »Instrument der Romanisierung«, jenem kulturellen Anpassungsprozess, bei dem die unterworfenen Völker Roms aus freien Stücken die eigene Zivilisation zugunsten der römischen aufgaben.

Macaulay versteht es sehr gut, Hintergründe und Auswirkungen der römischen Urbanisierungspolitik zu veranschaulichen und diese in einen größeren kulturhistorischen Kontext zu stellen. Sein mit vielen anschaulichen Zeichnungen angereichertes Buch gerät so zu einer äußerst lohnenswerten Lektüre für all jene, die den Ursprüngen der städtischen Entwicklung in Europa auf den Grund gehen wollen.

(David Macauley: „Eine Stadt nach Plan“, Nünnerich Asmus Verlag, Oppenheim 2019, 120 S., € 20,-. ISBN 9783961760879; der Rezensent Theodor Kissel ist promovierter Althistoriker, Sachbuchautor und Wissenschaftsjournalist; er lebt in der Nähe von Mainz.)