Das Online-Gesellschaftsmagazin aus Frankfurt am Main

Letzte Aktualisierung: 23.04.2024

Werbung
Werbung

Göttlich Golden Genial. Weltformel Goldener Schnitt?

Ausstellung im Museum für Kommunikation Frankfurt bis 23. Juli 2017

von Ilse Romahn

(10.04.2017) Wer ihn sucht, wird ihn auch finden: auf der Schale der Ananas, im Werk da Vincis, im Gesicht von Marilyn Monroe oder in der Architektur des Alten Rathauses Leipzig. Im Internet begegnet er uns in Katzenfotos oder der Aufnahme einer Prügelei im ukrainischen Parlament. Der Goldene Schnitt scheint allgegenwärtig – und tatsächlich geht von dem Proportionsverhältnis, das im 19. Jahrhundert zur universellen Konstante des Harmonischen erhoben wurde, eine ungebrochene Faszination aus.

Bildergalerie
Marilyn Monroe. Das auf den Proportionen des Goldenen Schnitts basierende Gesichtsraster wurde von einem Schönheitschirurgen entwickelt und soll zeitlose Schönheit garantieren. Um dies zu verifizieren, wird die Maske an Schönheitsikorenen wie Marilyn Monroe überprüft.
Foto: Alfred Eisenstaedt/Getty Images
***
Spielbrett für Mühle, Schach und den "Langen Puff" (Ausschnitt), Augsburg, vor 1596. Die Intarsien aus Obstbaumholz, Ebenholz, Elfenbein und Perlmutt zeigen ein komplexes Muster aus geometrischen Körpern.
Foto: KHM-Museumsverband
***

Steckt hinter allem Schönen also ein mathematisches Prinzip? Oder ist die angebliche Weltformel nur ein schöner Mythos?
Erstmals geht nun eine Ausstellung dem Phänomen aus verschiedenen Perspektiven auf den Grund. Multimedial und interaktiv erkundet „Göttlich Golden Genial. Weltformel Goldener Schnitt?“ bis zum 23. Juli 2017 faszinierende Formwelten und hinterfragt kritisch Geschichte wie auch Anwendungen des Goldenen Schnitts. Von den geometrischen Grundlagen über die als Wachstumsmuster der Natur geltende Fibonacci-Folge bis zu Le Corbusiers Proportionssystem „Modulor“: Rund 250 Exponate aus Architektur, Kunst, Design, Natur und Musik zeigen, wie die „göttliche Teilung“ bei den verschiedensten Entstehungsprozessen funktioniert. Dass unsere Sehgewohnheiten auch durch Normungen geprägt werden, veranschaulichen alternative Formate wie das neuzeitliche DIN- oder das japanische Tatami-Maß.

Auf der Suche nach dem Goldenen Schnitt analysieren die Besucherinnen und Besucher mit einer goldenen Schablone Exponate, vergleichen eigene Gesichtszüge holografisch mit den Goldenen Proportionen, puzzeln goldene Flächen und spielen auf einer speziell für die Ausstellung konzipierten Orgel goldene Musik. Schließlich tauchen sie ein in eine konsequent nach den Regeln des Goldenen Schnitts gestaltete virtuelle Realität. Ob diese das Versprechen ästhetischer Vollkommenheit einlösen kann?

Vom Mythos…
Den Auftakt der Ausstellung bilden Objekte aus Kunst, Natur und Mathematik, an denen sich das Faszinosum „Goldener Schnitt“ entzündet. Im Arrangement einer Wunderkammer treffen diese geheimnisvoll inszeniert aufeinander: Ein Turboschneckenhaus steht hier neben einem zwölfseitigen Zauberwürfel; zwischen goldener Ananas und Sonnenblumenblütenboden sitzt ein Kaninchen – und alle laden sie ein zur genaueren Betrachtung, zum Wundern und Staunen. Der daran anschließende Goldene Weg führt die Besucherinnen und Besucher tiefer in die Welt des Goldenen Schnitts. Er lokalisiert die vermeintlichen Anfänge in der Antike, verfolgt die Entwicklung der mathematischen Formel, die zum Verhältnis 1:1,618... führt, und klärt zugleich über tradierte Fehlinterpretationen auf. Ein besonderes Augenmerk gilt Kunst-Klassikern der Renaissance, hinter deren kompositorischer Ausgewogenheit gerne goldene Proportionen vermutet werden. So offenbaren Wackelbildversionen von Dürers „Selbstbildnis im Pelzrock“ oder da Vincis „Mona Lisa“ bei genauerem Hinsehen die vermuteten Kompositionslinien. Mit den Ausführungen des italienischen Mathematikers Luca Pacioli zur „divina proportione“, zur göttlichen Proportion, setzte in der Renaissance vielleicht eine erste umfangreiche Auseinandersetzung mit dem Goldenen Schnitt ein. Vor allem die darin enthaltenen Illustrationen da Vincis inspirierten italienische wie deutsche Künstler und fanden als geometrische Körper Eingang in die Intarsien-, Fresken- und Buchkunst des 16. Jahrhunderts. Dies führt auch das älteste und zugleich wertvollste Exponat der Ausstellung eindrucksvoll vor Augen: ein klappbares, mit geometrischen Einlegearbeiten aus Obstbaumholz, Ebenholz, Elfenbein und Perlmutt verziertes Holzspielbrett für Mühle, Schach und den „Langen Puff“ (vor 1596).

Dass es zwischen Wachstumsmustern der Natur und dem Goldenen Schnitt einen Zusammenhang gibt, zeigt die Ausstellung unter anderem anhand einer gehäkelten Ananas, deren aufgestickte Zahlen auf die Fibonacci-Reihe verweisen. Bei dieser nach Leonardo da Pisa, genannt Fibonacci, benannten Reihe entsteht jede Zahl aus der Addition der beiden vorhergehenden Zahlen, also 1, 1, 2, 3, 5, 8,13 usw. Teilt man zwei benachbarte Fibonacci-Zahlen durcheinander, ergibt sich eine Annäherung an Phi (1,618…), also den Goldenen Schnitt.

Im 19. Jahrhundert gelangte das Proportionsverhältnis ins Bewusstsein des gebildeten Bürgertums – und zwar nicht länger als mathematisches Phänomen, sondern als Weltformel für Schönheit und Ästhetik. Dies schlägt sich in der künstlerischen Praxis, vor allem aber in populären Abhandlungen dieser Zeit nieder: Neben Originalen der Maler Adolph von Menzel und Adolf Hölzel verdeutlicht in der Ausstellung eine Bildercollage die „Nachmesswut“ und zugleich die damalige Sehnsucht nach einer Formel, die alles zu fassen vermag. Es wurde vermessen, was Flora und Fauna, Kunst und Architektur hergaben – ob Eichenblätter, Kuheuter, antike Statuen oder griechische Tempel. Um das Auffinden der Proportionen zu erleichtern, wurden Werkzeuge wie der Goldene Zirkel entwickelt. Den zeichnerischen Vermessungen der Vergangenheit stellt die Ausstellung mit Goldenen Spiralen versehene aktuelle Fotografien gegenüber, darunter auch den Schnappschuss aus der Silvesternacht 2015/16 in Manchester. Deren virale Verbreitung zeigt: Die Suche nach einer Weltformel hat auch im 21. Jahrhundert nicht an Reiz verloren.

…zur Anwendung
Welche Bedeutung hat die Formel Goldener Schnitt nun aber in der Gestaltungspraxis? Diese Frage beleuchtet die Ausstellung im Bereich der Werkschau. Hier können die Besucherinnen und Besucher an einer Werkbank zunächst eine Goldene-Schnitt-Schablone herstellen, mit der sich Objekte auf goldene Proportionsverhältnisse überprüfen lassen.

Ob Le Corbusiers Proportionssystem „Modulor“, ein Modell der Berliner St.-Canisius-Kirche, Jo Niemeyers kinetisches Objekt „Infinitiy“ oder der WM-Fußball „Telstar“ aus dem Jahr 1974: Gestaltete Artefakte aus den Bereichen Grafik- und Produktdesign, Architektur und Fotografie lassen die Gäste in faszinierende Formwelten der Moderne eintauchen. Entwurfsskizzen geben dabei Einblicke in Entstehungsprozesse und lassen mathematische Grundlagen erkennen. So basieren die Proportionen von Mark Brauns Keramikvasen „Les Trois“ auf der Fibonacci-Reihe. Darüber hinaus wird der Goldene Schnitt in seiner Funktion als gezielt eingesetztes Marketinginstrument beleuchtet und hinterfragt, welche Rolle er im Dialog zwischen Designer und Konsument tatsächlich spielt. Einen dadaistisch ins Absurde verdrehten Blick auf die oft schon mythische Überhöhung des Goldenen Schnitts liefert das gleichnamige Kunstwerk von Timm Ulrichs aus dem Jahr 1969: ein mit einem goldenen Messer im Goldenen Schnitt zerteiltes Toastbrot.

Dem Nachweis des Goldenen Schnitts am menschlichen Körper widmet sich die Schönheitsinsel. Gesucht und gefunden wird er hier unter anderem in den Gesichtszügen Marilyn Monroes. Inwieweit das eigene Gesicht goldenen Regeln entspricht, können Besucherinnen und Besucher bei einem Blick in einen Rasterspiegel überprüfen.

Abgesehen von den visuellen Dimensionen thematisiert die Ausstellung auch weniger bekannte Facetten des Goldenen Schnitts: Die Gorschel, eine eigens für die Ausstellung entwickelte Orgel, lädt zum Spielen von Melodien ein, deren Tonintervalle im goldenen Verhältnis angelegt sind.

Konkurrenzmaße
Neben den goldenen Proportionen gibt es weitere prägende Proportionen, die die sichtbare Welt und unsere alltägliche Umgebung modellieren. Im Ausstellungsbereich Normung erfahren die Besucherinnen und Besucher, warum sich ein Porzellanservice am genormten Papierformat orientiert und was die Europalette mit der japanischen Tatami-Matte verbindet. Wie Bildschirmformate unsere Sehgewohnheiten beeinflussen, wird angesichts der Entwicklung von der zylindrischen Versuchsröhre aus dem Jahr 1927 über das jahrzehntelang prägende 4:3-Format bis hin zum hochkant genutzten Smartphone deutlich. Am Ende tauchen die Besucherinnen und Besucher mit Hilfe einer VR-Brille ein in eine konsequent nach den Regeln des Goldenen Schnitts gestaltete virtuelle Realität. Sieht so die goldene Zukunft aus?

Zur Ausstellung finden begleitend Führungen und Workshops für Schulklassen statt.

Der gleichnamige Ausstellungskatalog mit 224 Seiten und zahlreichen farbigen Abbildungen erscheint im Hirmer Verlag und ist im Museum (19,90 €) sowie im Buchhandel (29,90 €) erhältlich.

Museumsöffnungszeiten: Dienstag bis Freitag 9 – 18 Uhr, Samstag, Sonn- und Feiertag 11 – 19 Uhr. Eintritt ab 6 Jahre 1,50 Euro, ab 16 Jahre 4 Euro, für Gruppen ab 10 Personen ist der Eintritt freitags frei.

Museum für Kommunikation Frankfurt, Schaumainkai 53, www.mfk-frankfurt.de