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Letzte Aktualisierung: 28.03.2024

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Schuldig sind alle

„Ein Inspektor kommt“ im Fritz–Rémond-Theater

von von Ingeborg Fischer und Karl-Heinz Stier

(24.10.2016)  Im Hause des erfolgreichen Unternehmers Arthur Birling wird die kleine Verlobungsfeier seiner Tochter Sheila mit Gerald Croft, dem Sohn eines reichen Geschäftspartners, jäh unterbrochen: Ein Inspektor kommt! Und er stellt Fragen, unangenehme Fragen. Denn ein junges Mädchen, namens Eva Smith, hat Selbstmord begangen, und der Kriminalinspektor ermittelt. Die traute, harmonische Familienfeier ist schockiert.


Sybil Birling, die Mutter, Eric Birling, der Sohn, Inspektor Coole, Arthur Birling und Tochter Sheila
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Man stellt sich allerdings gleich die Frage als Zuschauer, ob hier ein Polizist ermittelt oder eine höhere moralische Instanz in die Familien-Idylle hineinplatzt, um jeden der dort anwesenden Personen mit in die Verantwortung für den Tod der jungen Frau zu ziehen. Denn alle scheinen den Lebensweg des Mädchens gekreuzt, negativ beeinflusst, ja zerstört zu haben. Ob durch Kündigung des armseligen Arbeitsplatzes in der Firma Birling, ob durch die Macht es guten Namens der Familie, ob durch Bräutigam oder Sohn, die ein sexuelles Abenteuer suchten oder die scharfsinnige Frau Birling, die als Vorsitzende des Vereins „Frauen in Not“ dem Mädchen Hilfe verweigert.

Jeder wird vom Inspektor entlarvt, moralisch angeklagt, er stellt Zusammenhänge her, um Geständnisse von Schuld, um das Übernehmen von Verantwortung heraus zu kitzeln. Und man hat das Gefühl, dass alle der Familienmitglieder zumindest zunächst von Schuldgefühlen geplagt sind. Das hält jedoch nicht lange an.

Der Autor des Schauspiels legt hier gnadenlos offen, dass die Menschen verantwortlich füreinander sein sollen und müssen und diese Lektion müsste unbedingt gelernt werden.

Wie das Theaterspiel von John B. Priestley am Rémond-Theater von den Schauspielern auf die Bühne gebracht wird, bedarf allerdings ein wenig Kritik. Um es deutlich zu sagen: „Weniger wäre mehr!“ Am überzeugendsten kommt Benedict Freitag als Inspektor Goole über die Bühne zum Zuschauer. Kühl, aber an den richtigen Stellen leidenschaftlich, zeichnet Freytag nicht so sehr einen Kriminalisten, sondern den moralischen Ankläger, den die Figur ja auch darstellen soll.


Inspektor, Verlobter, Tochter
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Vater, Mutter, Sohn Birling (Christian Fischer, Iris Atzwanger und Daniel Heck) ohrfeigen, stoßen, schreien, ja würgen sogar in einer Szene. Das kam ziemlich unglaubhaft rüber. Carolin Freund als Sheila Birling, die als einzige nachdenklich und zum Ende auch betroffen sein durfte, spielte die verletzte und schuldbewusste junge Braut wohltuend zurückhaltend. Istvan Vince als Verlobter Gerald Croft agierte ebenfalls nicht zu laut, brachte zunächst seine Betroffenheit und dann wieder seine Arroganz deutlich dem Publikum nahe. Bleibt noch als Hausmädchen (Barbara Pierson) zu erwähnen.

Der überraschende Schluss des modernen Theaterklassikers, der auch etwas ratlos macht, sei nicht verraten. John B. Priestley überrascht mit einer unerwarteten Pointe.

Regie: Thomas Weber-Schallauer, Bühne: Bettina Neuhaus, Kostüme: Ulla Röhrs

„Ein Inspektor kommt“ ist bis zum 27. November im Rémond-Theater Frankfurt zu sehen
Tel. 069/444004, info@fritzremond.de

Fotos: Helmut Seuffert